Rz. 116

Dieses Kapitel ist speziell für diejenigen Leserinnen und Leser vorgesehen, die sich sehr eingehend mit der Bestimmung der Höhe von Rahmengebühren, insbesondere der Geschäftsgebühr im Einzelfall beschäftigen wollen.

 

Rz. 117

 

Hinweis:

Die nachstehenden Überlegungen basieren auf einem Aufsatz von Otto, NJW 2006, 1472 ff., der dort den Versuch unternimmt, praktische Hinweise zur Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Rahmengebühr zu geben. Ministerialrat Klaus Otto hat seinerzeit im Bundesjustizministerium maßgeblich an der Gesetzesfassung des RVG mitgewirkt. Da Anwälte und auch die Gerichte offenkundig große Probleme mit der Ermittlung der für die Bearbeitung einer ganz bestimmten Angelegenheit angemessenen Rahmengebühr haben, ist es zweckdienlich, objektive und nachvollziehbare Kriterien zur Hand zu haben, mit deren Hilfe sich in fast jedem Einzelfall die zutreffende Gebühr innerhalb des Rahmens finden lässt. Zu diesem Zweck werden die grundlegenden Schritte zur Bestimmung der im Einzelfall richtigen Gebühr bei Rahmengebühren hier in der in einem Lehrbuch gebotenen Kürze dargestellt.

 

Rz. 118

Nach § 14 Abs. 1 RVG sind "vor allem" Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit bei der Bestimmung der jeweiligen Gebühr im Einzelfall zu berücksichtigen. Umfang und Schwierigkeit sind daher die wichtigsten Kriterien des § 14 RVG; die übrigen dort genannten Gesichtspunkte (siehe Rdn 111 f.) werden erst sozusagen zur Feinabstimmung herangezogen. Umfang und Schwierigkeit sind im Übrigen nicht das Gleiche.

Der Umfang der Tätigkeit ergibt sich aus dem zeitlichen Aufwand, den der RA in einer Angelegenheit erbringen muss. Der RA wird hierzu wohl die für die Besorgung eines Geschäfts benötigten Arbeitszeiten nachvollziehbar festhalten müssen.
Die Schwierigkeit ergibt sich aus dem Ausmaß der Arbeit und der damit verbundenen Mühe, die der RA in einer Angelegenheit erbringen muss. Eine Tätigkeit ist schwierig, wenn große Probleme zu bewältigen sind, die im Regelfall nicht vorhanden sind. Zu denken wäre hier z. B. an erforderliche Fremdsprachenkenntnisse des RA oder die Tätigkeit in nicht alltäglichen Rechtsgebieten. Dies wird der RA erläutern müssen.

Wann ist nun eine anwaltliche Tätigkeit umfangreich, wann schwierig? Zur Beurteilung dieser Frage wird von der Überlegung auszugehen sein, wie die durchschnittlichen Fälle aussehen, in denen dann die im vorigen Kapitel dargestellte Mittelgebühr zu berechnen wäre.

 

Rz. 119

Da der Umfang als Bemessungskriterium sich aus dem zeitlichen Aufwand des RA ergibt, ist festzustellen, wie hoch der durchschnittliche Zeitaufwand eines RA zur Erledigung eines bestimmten Geschäfts sein wird. Das wäre der Zeitaufwand, bei dem die Erhebung der Mittelgebühr aus Sicht des Gesetzgebers gerechtfertigt wäre. Daher seien die folgenden Überlegungen aus dem oben genannten Aufsatz von Otto als Anhaltspunkte in den Raum gestellt, allerdings sinngemäß umgestellt auf die heute geltenden Beträge:

Bei Betragsrahmengebühren kann im Prinzip davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Umfang der erforderlichen Anwaltstätigkeit bei der Festlegung des jeweiligen Gebührenrahmens bereits berücksichtigt hat. Der Durchschnitt liegt jedes Mal in der Mitte des Rahmens, also bei der Mittelgebühr. Um den durchschnittlichen Zeitaufwand in dem Gebührenrahmen zu ermitteln, nimmt man die für die jeweilige Tätigkeit vorgesehene Mittelgebühr und vergleicht sie mit dem durchschnittlichen Stundensatz (hier 200 Euro/Stunde), der von Anwälten bei Vergütungsvereinbarungen gefordert wird.

Beispiele für Terminsgebühren in Strafsachen:

 
Nr. … VV RVG Mittelgebühr geteilt durch Stundensatz durchschnittlicher Zeitaufwand
4108 302,50 EUR 302,50 : 200 = 1,51 circa 1 1/2 Stunden
4114 352,00 EUR 352,00 : 200 = 1,76 circa 1 3/4 Stunden
4120 583,00 EUR 583,00 : 200 = 2,92 circa 3 Stunden

Sollte nun eine Hauptverhandlung länger oder kürzer dauern als im Durchschnitt, so kann die Terminsgebühr innerhalb des Rahmens höher oder niedriger angesetzt werden. Zur Ermittlung der durchschnittlichen Stundensätze siehe § 4 Rdn 86 f.

Bei Satzrahmengebühren kann zur Feststellung des durchschnittlichen Zeitaufwandes anwaltlicher Tätigkeit hilfsweise die Justizstatistik herangezogen werden. Laut dem Statistischen Bundesamt kann für Zivilsachen in erster Instanz ein durchschnittlicher Gegenstandswert von etwa 6.000 Euro angenommen werden (Berechnung des Durchschnitts nach den Daten des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 10, Reihe 2.1, 2019). Die in der Praxis wichtigste Satzrahmengebühr ist die Geschäftsgebühr (Nr. 2300 Anm. Abs. 1 VV RVG), bei der im Durchschnittsfall ein Gebührensatz von 1,3 vom Gesetzgeber als zutreffend betrachtet wird. Bei einem Gegenstandswert von 6.000 Euro beträgt eine 1,3 Gebühr 507 Euro. Mit Hilfe eines Stundensatzes von 200 Euro pro Stunde lässt sich nun berechnen, welcher Arbeitsaufwand für die Geschäftsgebühr vom Gesetzgeber im durchschnittlichen Fall zugrunde gelegt wurde. Die Rechnung ergibt nach den Vorstel...

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