Rz. 130

Die Verfahrensgebühr reduziert sich nach Nr. 3101 VV RVG auf nur noch 0,8 Gebühren bei Berufung oder Revision nach Nr. 3201, 3207 VV RVG auf 1,1 Gebühren, wenn sich der Auftrag erledigt, bevor der Rechtsanwalt

die Klage oder das Rechtsmittel,
den ein Verfahren einleitenden Antrag oder
einen Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Antrags oder Rechtsmittels enthält,

eingereicht oder

bevor er ohne Einreichung weiterer Schriftsätze einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat.

Im Umkehrschluss lassen die genannten Tätigkeiten also die vollen Verfahrensgebühren entstehen.

Das Einreichen ist bereits gegeben, wenn der Rechtsanwalt den Schriftsatz zur Post gegeben hat und den Zugang nicht mehr beeinflussen kann. Dies soll sogar dann gelten, wenn der Schriftsatz das Gericht nicht mehr erreicht, weil er z.B. in der Post verloren ging oder wegen eines Streiks nicht oder erst wesentlich später zugestellt wurde.[162]

 

Rz. 131

Allein die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft lässt noch keine volle Verfahrensgebühr entstehen. Ist diese Anzeige jedoch mit einem Antrag oder mit einem ersten Sachvortrag verbunden, wird mit dem Einreichen des Antrages auch hier schon die volle Gebühr fällig.[163]

 

Praxistipp:

Dieser Umstand legt nahe, bereits erste Anträge in der Anzeige der Verteidigungsbereitschaft zu erklären. Dennoch sollte zuvor geprüft werden, ob mit diesem Schritt nicht ein sofortiges Anerkenntnis torpediert wird. Die Kostenfolge des § 93 ZPO tritt nur dann ein, wenn noch vor der Stellung eines Abweisungsantrages ein Anerkenntnis erfolgt. Anderenfalls ist das Anerkenntnis nicht mehr sofort erfolgt.[164]

 

Rz. 132

Die reduzierte Verfahrensgebühr entsteht auch dann, wenn der Rechtsanwalt Vergleichsverhandlungen über in diesem Verfahren nicht rechtshängige Ansprüche verhandelt oder die Einigung nach § 278 Abs. 6 ZPO im Beschlusswege feststellen lässt – sog. Differenzverfahrensgebühr.

 

Beispiel:

Der Rechtsanwalt soll im Klagewege die Räumung einer Mietwohnung durchsetzen. Im Termin zur Räumungssache wird sich dahingehend geeinigt, dass der Mieter die Wohnung freiwillig nach einem halben Jahr räumt und dafür eine Abfindung erhält. Außerdem sollen noch bestehende Forderungen des Vermieters aus Betriebskostennachzahlungen in Höhe von 500,00 EUR erledigt werden. Für die Räumung verdient der Rechtsanwalt mit Klageeinreichung die 1,3 Gebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Die Betriebskostenforderungen sind noch nicht anhängig. Deshalb erhält der Rechtsanwalt hier nur 0,8 Gebühren aus dem Mehrvergleichswert von 500,00 EUR. Insgesamt erhält er jedoch maximal die Gebühren, die sich aus den addierten Streitwerten ergeben, § 15 Abs. 5 RVG.

 

Rz. 133

 

Achtung!

Bei der Vereinbarung einer Abgeltungsklausel für andere Ansprüche ist auch aus gebührenrechtlicher Sicht Aufmerksamkeit geboten. Bestehen hier tatsächlich weitere gegenseitige Ansprüche, die davon erfasst sind, so entfällt auch auf diese die ermäßigte Verfahrensgebühr, selbst wenn diese Ansprüche gar nicht Gegenstand der Verhandlungen waren.

 

Rz. 134

Treffen die Parteien im Vergleichswege die Entscheidung, dass die Kosten des Vergleiches nicht abgegolten werden sollen, so entfällt nicht nur die Erstattungsfähigkeit der Einigungsgebühr aus dem Mehrvergleich, sondern auch die Erstattungsfähigkeit der 0,8 Differenzverfahrensgebühr aus dem Mehrvergleichswert, sowie der anteiligen Terminsgebühr aus dem übersteigenden Wert.[165]

 

Rz. 135

Auch auf die reduzierte Verfahrensgebühr ist die Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 hälftig anzurechnen.[166] Bei schwierigen oder umfangreichen Fällen kann die Verfahrensgebühr unter Anrechnung der maximal möglichen 0,75 Verfahrensgebühr dann schnell auf 0,05 Gebühren sinken.

 

Rz. 136

Fallen die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und die reduzierte Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG in einem Verfahren zusammen, weil der Vergleichswert über den streitgegenständlichen Wert hinausging oder sich vor gerichtlicher Tätigkeit des Anwaltes ein Teil der Angelegenheit erledigt hat, ist an die Kappung der Verfahrensgebühren nach § 15 Abs. 3 RVG zu denken.

[162] Onderka/Schneider in N. Schneider/Wolf, RVG, VV 3101 Rn 24.
[163] Enders, RVG für Anfänger, Rn 1167.
[164] Schneider in Prütting/Gehrlein, ZPO, § 93 Rn 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 93 Rn 88.
[166] BGH, Urt. v. 25.9.2008 – IX ZR 133/07, http://lexetius.com/, 2008, 2684.

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