Rz. 1

Die Geltung des Rechts ist territorial beschränkt. Der deutsche Richter ist an die Bundesverfassung und deutsches Gesetzesrecht gebunden. Deutsches Recht hingegen hat jenseits der Landesgrenzen keine Wirkung. Diese Territorialität des Rechts, würde man sie absolut durchführen, würde in der Praxis bei grenzüberschreitenden Sachverhalten jedoch zu unzuträglichen Folgen führen:

 

Rz. 2

So wären die Beteiligten enttäuscht, würde man die von Deutschen im Ausland erfolgte Eheschließung in Deutschland nicht anerkennen, weil nicht das "Standesamt", sondern eine andere, nach den dort geltenden Vorschriften zuständige Behörde gehandelt und hierbei nicht das deutsche Recht eingehalten hat.
Erwerben in Eupen lebende verheiratete Belgier einen Reithof in Vechta, so würden sich Probleme ergeben, wenn aus belgischer Sicht hierfür der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft des belgischen Rechts gelten würde, im Grundbuch die Erwerber aber jeweils als Alleinberechtigte eingetragen würden.
 

Rz. 3

Zur Behebung dieser Probleme ergeben sich mehrere Möglichkeiten:

Zunächst könnte man ein international vereinheitlichtes Recht schaffen, das entsprechende Divergenzen ausschließt. Ein Beispiel hierfür ist das deutsch-französische Abkommen über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft vom 4.2.2010, das in sämtlichen Beitrittsstaaten einen einheitlich geregelten Güterstand schaffen soll. Vergleichbares gilt aber auch für die Haager Adoptionskonvention vom 29.5.1993, die für grenzüberschreitende Adoptionen ein einheitliches Verfahren schafft. Im europäischen Bereich erfolgt durch die MRK und ihre Auslegung durch den EuGH-MRK eine inhaltliche Angleichung der Rechtsordnungen, z.B. auf dem Gebiet des Nichtehelichenrechts durch einheitliche Auslegung der Europäischen Menschenrechtscharta und der europarechtlichen Freizügigkeitsregeln. Eine Initiative von Professoren arbeitet sogar an einem Entwurf für ein künftiges einheitliches Familienrecht in Europa.[1] Freilich wäre es nach den aktuellen Verhältnissen nicht unbedingt wünschenswert, dass alle Bürger von Helsinki bis Heraklion unter demselben Familienrecht leben; ungeklärt ist zudem, wie ein solches einheitliches Rechtssystem die gerade für das Familienrecht charakteristische fortlaufende Anpassung an geänderte gesellschaftliche Verhältnisse erfahren kann. Diese verlangt gerade, dass einzelne kleinere Einheiten mit neuen Regelungen Erfahrungen sammeln, bevor diese dann sich langsam verbreiten können.
Zu trennen sind hiervon im deutschen Gesetzes- und Richterrecht vorhandene vereinzelt verstreute, materiellrechtliche Regeln, also ein Sonderrecht für grenzüberschreitende Sachverhalte, also z.B. für die Einbeziehung ausländischer Rentenanwartschaften in den Versorgungsausgleich, die Bemessung von Unterhalt für im Ausland lebende Unterhaltsberechtigte und die Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses durch Heiratswillige mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Schließlich gibt es auch zivilverfahrensrechtliche Sonderregeln für grenzüberschreitende Fälle, wie für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die Zustellung von Klagen und anderen Schriftstücken im Ausland, die Ermittlung ausländischen Rechts im Prozess und die Anerkennung und Vollstreckung aus ausländischen Titeln. Dieser Komplex wird als Internationales Zivilprozessrecht (IZPR) bezeichnet.
Das klassische und weiterhin dominierende Mittel zur Bewältigung der genannten Situation stellt das Kollisionsrecht dar, das man auch als IPR im engeren Sinne bezeichnen kann. Das deutsche Recht enthält zur angemessenen Behandlung der Fälle "mit Auslandsberührung" (Art. 3 EGBGB) im EGBGB Sondervorschriften, die bestimmen, welche Rechtsordnung zur Entscheidung dieses Sachverhalts berufen ist. Da diese Vorschriften den Geltungsbereich der Regeln des deutschen und des ausländischen Zivilrechts voneinander abgrenzen, spricht man von "Kollisionsnormen". Charakteristisch für das Kollisionsrecht ist, dass die sich stellende rechtliche Frage (beispielsweise in den in Rdn 2 geschilderten Einleitungsfällen: Ist die Ehe wirksam geschlossen? Wer ist Eigentümer des Grundstücks?) nicht einer materiellen Lösung zugeführt wird (etwa: für die Eheschließung ist das Standesamt zuständig), sondern nur bezeichnet wird, aus welchem Recht sich diese Lösung ergeben soll (also: die Frage, welche Behörde für die Eheschließung zuständig ist, beantwortet das Recht des Ortes, an dem die Eheschließung stattfindet (Art. 11 Abs. 1 Fall 2 EGBGB); die Zuordnung des Vermögens aufgrund Ehe unterliegt dem Recht des Staates, dem beide Eheleute bei Eheschließung angehörten (Art. 15 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB) bzw. in dem sie ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, Art. 26 Abs. 1 lit. a EUGüVO.
 

Rz. 4

Anders als der Name es anzeigt, ist das internationale Familienrecht kein internationales Recht. International sind allein die Sachverhalte. Das internationale Familienrecht war bis vor kurzem wie das übrige Familienrecht we...

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