Rz. 139

Der erste Fall bezieht sich auf den Schenkungsrückforderungsanspruch der §§ 528 ff. BGB. Auf welcher Ebene der Bedürftigkeitsprüfung ein solcher Anspruch in den einzelnen nachrangigen Gesetzen rechtserheblich ist, ist nicht einheitlich zu beantworten.

Z.T. wird angenommen, es handele sich um Vermögen, z.T. wird angenommen, es handele sich um Einkommen, z.T. wird die rechtliche Qualität des Schenkungsrückforderungsanspruchs offengelassen:[121]

Rechtsprechung SGB XII: offengelassen;[122] als Vermögen bewertet;[123] als Einkommen bewertet im BSHG[124]
Rechtsprechung SGB II: als Vermögen bewertet;[125] offengelassen[126]
Rechtsprechung SGB VIII: offengelassen[127]
Rspr. BVG: als Vermögen bewertet.[128]
 

Rz. 140

Im SGB II wäre die Bewertung des Schenkungsrückforderungsanspruchs als Vermögen an sich durch die Änderung des Einkommensbegriffs in § 11 SGB II in 2016 als geklärt anzusehen, wenn man den reinen Anspruch betrachtet, weil nur noch Geld Einkommen darstellen kann, nicht aber mehr Mittel in Geldeswert.[129] Damit käme der Berechtigte in den Genuss des Schonvermögensbetrages nach § 12 SGB II, während es für den Sozialhilfebezieher des SGB XII einen solchen Schonbetrag nicht gibt. Allerdings wird hierzu die Einschränkung vertreten, dass dies nur dann Bestand habe, wenn eine Vermögensverwertung in angemessener Zeit zu erwarten sei. Dann erhalte der Hilfsbedürftige nur noch ein Darlehen nach § 24 Abs. 5 SGB II. Falls das nicht der Fall sei, handele es sich um eine gewöhnliche Geldforderung im Sinne von § 270 BGB und die Erfüllung des Anspruches (so für den Pflichtteils- und Vermächtnisanspruch)[130] sei dann Einkommen.

 

Rz. 141

Im BAföG[131] ist Einkommen nach § 21 BAföG an den steuerrechtlichen Einkommensbegriff gebunden, so dass ebenfalls nur die Qualität als Vermögen in Betracht kommt, was im Endergebnis wegen des Vermögensfreibetrages nach § 29 BAföG als Abzugsposten und der Verteilung des gesamten Vermögensbetrages auf 12 Kalendermonate nach § 30 BAföG zu einem völlig abweichenden Ergebnis gegenüber dem SGB II und dem SGB XII führt, das ja auf Bedarfsdeckung abzielt.

 

Rz. 142

Im SGB XII wird z.T. von der Kommentarliteratur angenommen, man müsse eine Schenkung vorab einer Sittenwidrigkeitsprüfung unterziehen. Erst wenn die Sittenwidrigkeit der Schenkung[132] verneint werde, könne man überhaupt einen Schenkungsrückforderungsanspruch prüfen.[133]

 

Rz. 143

Im BAföG entspricht dies einer zusätzlich von der Rechtsprechung entwickelten Fallkategorie, wonach Vermögen, das rechtsmissbräuchlich verschenkt oder mit Verbindlichkeiten belastet wurde, dem Auszubildenden fiktiv weiter als Vermögen zuzurechnen ist.[134] Dabei muss die Schwelle der Nichtigkeit gem. §§ 134, 138 BGB nicht überschritten sein.[135] Die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Vermögensübertragung wird an den Indikatoren

Rechtsgrundlosigkeit
Unentgeltlichkeit und
zeitliche Nähe der Übertragung zur Beantragung der Ausbildungsförderung

festgemacht.[136]

 

Rz. 144

Dem wiederum steht gegenüber, dass die Rechtsprechung sowohl im SGB VIII wie auch für das BAföG entschieden hat, dass der Hilfesuchende vor dem ersten Leistungsbezug weitestgehend frei ist, was er mit seinem Vermögen tut, und dass es keine vorgelagerte Obliegenheit zur sparsamen Verwendung der Mittel gibt. Man bewegt sich also auf einem schmalen Grat.

 

Rz. 145

Ob die Argumentation einer neben dem Schenkungsrückforderungsanspruch noch bestehenden sittenwidrigen Schenkung greifen kann, hängt m.E. von der Ausgestaltung der Regressregeln des jeweiligen Gesetzes ab.

[121] Zur alten Rspr. nach dem AFG vgl. z.B. BSG v. 19.1.2005 – Az.: B 11a/11 AL 215/04 B Rn 12 zu § 137 AFG; BSG v. 17.3.2005 – Az.: B 7a/7 AL 10/04 R Rn 25 zu § 193 AFG; LSG Niedersachsen-Bremen v. 11.3.2008 – Az.: L 7 AS 143/07 Rn 24 zu SGB II.
[123] BSG v. 16.4.2013 – Az.: B 14 AS 71/12 R Rn 27; LSG Baden-Württemberg v. 19.10.2017 – Az.: L 7 SO 1320/17 mit dem Hinweis, dass identische Termini im Recht in mehreren gleichartigen Gesetzen auf gleiche Inhalte hindeuten; LSG Baden-Württemberg v. 28.3.2017 – Az.: L 7 SO 85/14; VGH München v. 22.2.2016 – Az.: 12 C 16.65.
[124] BVerwG v. 25.6.1992 – Az.: 5 C 37.88, MittBayNot 1993, 42 ff.
[125] LSG NRW v. 18.2.2020 – Az.: L 2 AS 1130/16; LSG Niedersachsen-Bremen v. 11.3.2008 – Az.: L 7 AS 143/07, juris Rn 24; SG Stade v. 5.4.2007 – Az.: S 18 AS 107/07, juris Rn 21.
[127] VG Braunschweig v. 21.11.2002 – Az.: 3 A 193/01, juris Rn 31.
[128] VG Gelsenkirchen vom 18.11.2020 – Az.: 11 K 9430/17 unter Bezugnahme auf OVG NRW v. 14.10.2008 – Az.: 16 A 1409/07.
[129] Münder/Geiger, LPK-SGB II § 12 Rn 7.
[130] Münder/Geiger, LPK-SGB II § 12 Rn 34 und 36.
[131] Vgl. OVG Sachsen v. 17.2.2010 – Az.: 3 L 222/07, juris Rn 42; VGH München v. 18.4.2007 – Az.: 12 B 06/2380, juris Rn 24 f.; VG München v. 12.3.2009 – Az.: M 15 K 07/2693, juris Rn 41 ff.; VG Frankfurt v. 11.9.1985 – Az.: III/4 E 4069/81.
[132] M.E. übera...

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