Rz. 125

Das Umgangsrecht des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters konnte nach früherer Gesetzeslage allein auf § 1685 Abs. 2 BGB gestützt werden. Durch zwei Entscheidungen des EuGHMR in den Jahren 2010 und 2011 wurde die rechtliche Position leiblicher Väter jedoch gestärkt.[461] Beide Entscheidungen betonten, dass von dem Begriff des "Familienlebens" im Sinn des Art. 8 EMRK nicht nur eheliche Beziehungen geschützt werden, sondern auch "faktische familiäre Beziehungen" (d.h. das Privatleben) umfasst sein können. In den Schutzbereich des Art. 8 EMRK soll gegebenenfalls auch ein nur beabsichtigtes Familienleben einzubeziehen sein. Voraussetzung ist, dass der den Umgang begehrende leibliche Vater die mangelnde Herstellung des Familienlebens nicht zu vertreten hat. Ob seinerseits in tatsächlicher und praktischer Hinsicht enge persönliche Beziehungen bestehen bzw. angestrebt werden, ist nach seinem erkennbaren Interesse an dem Kind und der ihm gegenüber gezeigten Verantwortungsbereitschaft zu beurteilen. Als Kriterien wurden in den konkret entschiedenen Fällen der Wunsch des Vaters nach Kontakten zum Kind genannt, die er sowohl vor als auch nach der Geburt geäußert hatte, und das von ihm eingeleitete Umgangsverfahren, mit welchem er erkennbar Interesse an dem Kind gezeigt habe. In den entschiedenen Sachverhalten hatte der Gerichtshof moniert, dass der leibliche Vater nach geltendem deutschem Recht überhaupt keine Möglichkeit besaß, einen Kontakt zu dem Kind herzustellen. Die verheiratete Kindesmutter und deren Ehemann – der von Gesetzes wegen rechtliche Vater – konnten nach § 1632 Abs. 2 BGB den Umgang verweigern. Der leibliche Vater hatte weder die Möglichkeit der Anerkennung der Vaterschaft (§ 1594 Abs. 2 BGB) noch der Anfechtung der Vaterschaft des Ehemannes der Kindesmutter (§ 1600 Abs. 2 BGB). Diesen Eingriff in das Menschenrecht des leiblichen Vaters aus Art. 8 EMRK hat der Gerichtshof als nicht gerechtfertigt angesehen. Denn die Gerichte lehnten, entsprechend der geltenden deutschen Gesetzeslage, im Falle einer noch nicht bestehender sozial-familiärer Beziehung des leiblichen Vaters zum Kind Umgangskontakte zwischen beiden ab, ohne zu prüfen, ob sie möglicherweise im Einzelfall dem Kindeswohl entsprächen. Diese grundlegenden Erwägungen hat der EuGHMR auch auf die Umgangskontakte des nur möglicherweise leiblichen Vaters erstreckt.[462][463] Das Umgangsbestimmungsrecht des oder beider sorgeberechtigten Elternteile aus § 1632 Abs. 2 BGB (vgl. dazu § 4 Rdn 16 ff.) wird daher nunmehr durch das Umgangsrecht nach § 1686a BGB und eine auf dieser Grundlage nach § 1686a Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 1684 Abs. 3 BGB getroffene gerichtliche Entscheidung eingeschränkt (siehe dazu eingehend § 4 Rdn 16).[464]

[461] EuGHMR, FamRZ 2011, 269 (Anayo/Deutschland), Anm. Rixe, FamRZ 2011, 1363; Anm. Clausius, AnwZert-FamR 22/2011, Anm. 2; Bespr. Willutzki, Das Umgangsrecht des biologischen Vaters – Eine neue Baustelle im Kindschaftsrecht?, ZKJ 2011, 90; EuGHMR FamRZ 2011, 1715 (Schneider/Deutschland) m. Anm. Helms, überholt daher KG FuR 2012, 193 m. krit. Anm. Faber; insgesamt krit. zum Ganzen, Löhnig/Preisner, Zur Reichweite des Einflusses der Rechtsprechung des EuGHMR auf das deutsche Kindschaftsrecht, FamRZ 2012, 489.
[462] EuGHMR FamRZ 2011, 1715 (Schneider/Deutschland) m. Anm. Helms.
[463] OLG Saarbrücken, Beschl. v.18.8.2010 – 6 UF 43/10 (n.v.).
[464] Vgl. BGH FamRZ 2008, 592; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 1042.

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