Antje Dudenbostel, Saskia M. Schmid
Rz. 526
Eine Transformation der Normen eines Tarifvertrags in die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Beschäftigten scheidet gem. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB aus bzw. endet, wenn die Rechte und Pflichten beim Erwerber in einer Kollektivvereinbarung geregelt sind bzw. werden.
Rz. 527
Dabei ist unerheblich, ob die verdrängende bzw. ablösende Kollektivvereinbarung bereits im Zeitpunkt des Betriebsübergangs besteht – dann verhindert sie die Transformation des Tarifvertrags von vorne herein – oder ob sie erst zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen wird – dann beendet sie die Fortwirkung der transformierten Normen.
Rz. 528
Umstritten ist, ob die Transformation von Tarifnormen nur durch Tarifvertrag oder auch durch eine beim Erwerber geltende, insbesondere verschlechternde (Einzel-, Gesamt- oder Konzern-)Betriebsvereinbarung verhindert oder eine nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierte Tarifnorm durch eine Betriebsvereinbarung beim Erwerber abgelöst werden kann (sog. "Über-Kreuz-Ablösung").
Rz. 529
Das BAG und auch die inzwischen h.M. in der Literatur schließt die Verschlechterung transformierter Tarifnormen durch Betriebsvereinbarungen jedenfalls außerhalb des Bereichs der zwingenden Mitbestimmung aus systematischen und teleologischen Gründen aus. Könnten ungünstigere Regelungen einer beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarung die Transformation tariflicher Regelungen verhindern oder später beseitigen, würden die Betriebsparteien aus Anlass eines Betriebsübergangs in die Lage versetzt, tarifliche Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Ohne den Betriebsübergang würde dies gegen § 4 Abs. 3 TVG verstoßen. Auch eine gemäß § 4 Abs. 5 TVG nur nachwirkende Tarifnorm könne zumindest außerhalb des Bereichs der zwingenden Mitbestimmung nicht durch eine ungünstigere Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Nach dem Normzweck des § 613a BGB und der ihm zugrunde liegenden Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14.2.1977 in ihrer Fassung durch die Richtlinie 2001/23/EG darf die Rechtsstellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern jedoch aus Anlass eines Betriebsübergangs nicht verschlechtert werden.
Rz. 530
Zudem scheitert außerhalb der zwingenden Mitbestimmung die Ablösung von (transformierten) Tarifnormen durch verschlechternde Betriebsvereinbarung meist an § 77 Abs. 3 BetrVG.
Rz. 531
Diese Rechtsprechung hat das BAG auch auf teilmitbestimmte Regelungen, also insbesondere solche über finanzielle Leistungen (betriebliche Lohngestaltung) und mit dem Regelungsgegenstand "Altersversorgung" ausgedehnt.
Rz. 532
Legt man die Argumentation des 1. Senats in der Entscheidung vom 6.11.2007 zugrunde, dürfte für den Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung nichts anderes gelten. Denn auch dort stünde – ohne den Betriebsübergang – § 4 Abs. 3 TVG einer Verschlechterung tarifvertraglich geregelter Ansprüche durch Betriebsvereinbarung entgegen. Das BAG hat dies jedoch bislang stets offengelassen.
Rz. 533
Voraussetzung für die Ablösung ist, dass der Regelungsgegenstand der ablösenden Kollektivnorm und der beim Veräußerer geltenden Tarifnorm deckungsgleich sind. Außerdem setzt die Verdrängung/Ablösung einer transformierten bzw. zu transformierenden Tarifnorm durch einen beim Erwerber geltenden Tarifvertrag nach der Rechtsprechung und der h.M. in der Literatur die kongruente Tarifbindung sowohl des Erwerbers als auch der übergegangenen Arbeitnehmerin/des übergegangenen Arbeitnehmers voraus – entweder aufgrund Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband bzw. in der Gewerkschaft oder aufgrund Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags.
Rz. 534
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG kommt es bei der Verdrängung einer beim Veräußerer geltenden Tarifnorm durch eine denselben Regelungsgegenstand betreffende Kollektivvereinbarung des Erwerbers nicht darauf an, ob die beim Erwerber geltende Kollektivregelung günstiger oder schlechter ist. Im Verhältnis dieser beiden Kollektivvereinbarungen gilt das Ablösungsprinzip, nicht das Günstigkeitsprinzip. Ob das BAG nach der "Scattolon"-Entscheidung des EuGH hieran uneingeschränkt festhalten wird, ist fraglich (zur Bewertung des "Scattolon"-Entscheidung siehe Rdn 359).