Rz. 352

Eine Transformation der Betriebsvereinbarungen in die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Beschäftigten scheidet gem. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB aus bzw. endet, wenn die Rechte und Pflichten beim Erwerber in einer Kollektivvereinbarung (Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag) geregelt sind bzw. werden.

 

Rz. 353

Dabei ist unerheblich, ob die verdrängende bzw. ablösende Kollektivvereinbarung bereits im Zeitpunkt des Betriebsübergangs besteht – dann verhindert sie die Transformation der Veräußererbetriebsvereinbarung von vorne herein – oder ob sie erst zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen wird – dann beendet sie die Fortwirkung der transformierten Normen.[411]

 

Rz. 354

Eine Betriebsvereinbarung kann auch durch eine Gesamt- oder Konzernbetriebs­vereinbarungen abgelöst werden, sofern diese in originärer Zuständigkeit gem. § 50 Abs. 1 BetrVG bzw. § 58 Abs. 1 BetrVG (nicht nur im Auftrag der Betriebsräte bzw. des Gesamtbetriebsrats gem. § 50 Abs. 2 BetrVG bzw. § 58 Abs. 2 BetrVG) abgeschlossen wurde.[412]

 

Rz. 355

Voraussetzung für die Ablösung ist allerdings, dass die Kollektivvereinbarung beim Erwerber denselben Regelungsgegenstand betrifft (sog. Identität der Regelungsgegenstände).[413] Dabei ist es allerdings nicht erforderlich, dass die Kollektivvereinbarung beim Erwerber vollständig deckungsgleich mit der Veräußererbetriebsvereinbarung ist. Es genügt vielmehr, wenn die beim Erwerber geltende Kollektivvereinbarung dieselbe Sachgruppe betrifft.[414]

 

Rz. 356

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG kommt es bei der Verdrängung einer Veräußererbetriebsvereinbarung durch eine denselben Regelungsgegenstand betreffende Kollektivvereinbarung des Erwerbers nicht darauf an, ob die beim Erwerber geltende Kollektivregelung günstiger oder schlechter ist. Im Verhältnis dieser beiden Kollektivvereinbarungen gilt das Ablösungsprinzip, nicht das Günstigkeitsprinzip,[415] so dass auch eine schlechtere Betriebsvereinbarung oder ein schlechterer Tarifvertrag der Transformation einer günstigeren Betriebsvereinbarung entgegensteht bzw. sie ablöst.

 

Rz. 357

Einer Ablösung der Rechte aus einer Betriebsvereinbarung, die im Zuge eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden, durch eine ungünstigere Kollektivvereinbarung beim Erwerber soll nach bisheriger Rechtsprechung des BAG § 613a Abs. 1 S. 3 BGB nicht entgegenstehen. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB sei teleologisch darauf zu reduzieren, das die gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierten kollektivrechtlichen Regelungen lediglich entsprechend ihrem kollektivrechtlichen Ursprung geschützt sind, also vor einer Ablösung durch eine spätere Betriebsvereinbarung im Erwerberbetrieb nicht in weiterem Umfang geschützt sind, als wenn sie kollektivrechtlich weitergegolten hätten.[416]

 

Rz. 358

Das bedeutet, dass ein beim Erwerber geltender Kollektivvertrag der Transformation einer günstigeren, denselben Regelungsgegenstand betreffenden Betriebsvereinbarung entgegensteht bzw. die Wirkung einer solchen bereits transformierten Betriebsvereinbarung beendet, sofern eine solche verschlechternde Ablösung auch ohne den Betriebsübergang beim Veräußerer wirksam gewesen wäre. Besonderheiten gelten auch in dieser Konstellation daher insbesondere bei der Verschlechterung von Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung. Nach der Rechtsprechung des BAG ist bei der Verdrängung einer im veräußerten Betrieb geltenden Kollektivvereinbarung über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch eine beim Erwerber geltende Kollektivvereinbarung nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB der bis zum Betriebsübergang erdiente Versorgungsbesitzstand aufrechtzuerhalten.[417]

 

Rz. 359

Ob die Rechtsprechung zur Ablösung von Betriebsvereinbarungen durch verschlechternde Kollektivvereinbarungen in dieser Allgemeinheit weiterhin Bestand haben wird, ist angesichts der "Scattolon"-Entscheidung[418] des EuGH fraglich.

 

Rz. 360

In diesem Verfahren hat der EuGH in Bezug auf beim Veräußerer tarifvertraglich geregelte Vergütungsgrundsätze entschieden, dass die sofortige Anwendung eines beim Erwerber geltenden Tarifvertrags nicht zum Ziel oder zur Folge haben dürfe, dass den Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnisse im Wege des Betriebsübergangs auf den Erwerber übergehen, insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen als die vor dem Übergang geltenden auferlegt werden.[419]

 

Rz. 361

Zwar lasse die Richtlinie 77/187 dem Erwerber einen Spielraum für die Gestaltung der Integration der übergegangenen Arbeitnehmer in seine Lohn- und Gehaltsstruktur, doch müssten die gewählten Modalitäten mit dem Ziel der Richtlinie vereinbar sein. Dieses Ziel bestehe darin, zu verhindern, dass sich die Lage der übergegangenen Arbeitnehmer allein aufgrund des Betriebsübergangs verschlechtert.[420]

 

Rz. 362

Die Reichweite der "Scattolon"-Entscheidung und ihre Auswirkungen auf die Rechtsprechung des BAG sind noch nicht absehbar. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt wies einige Besonderheiten auf, die bei der Bewertung der ...

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