Rz. 244

Beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen knüpft § 650g Abs. 3 BGB an eine Zustandsfeststellung nach § 650g Abs. 1 oder Abs. 2 BGB eine (widerlegbare) Vermutungswirkung hinsichtlich der Beweislast,[417] "die den Werkunternehmer davon entlastet, auch für Mängel des Werks einstehen zu müssen, die wahrscheinlich nicht von ihm verursacht sind"[418] (Gefahrentlastung). Die Verweigerung einer Werkabnahme durch den Besteller unter Verweis auf Mängel wirft die Frage auf, ob es sich um

"wesentliche Mängel" handelt, die den Besteller zur Abnahmeverweigerung berechtigen, oder nur um
"unwesentliche Mängel", die ihn zur Abnahme verpflichten.
 

Rz. 245

Das Problem wird dadurch verschärft, dass sich das Werk oft schon vor der Abnahme im Einflussbereich des Bestellers befindet und von diesem auch genutzt wird.[419] Während der Mängelbeseitigung durch den Unternehmer können nun weitere Beeinträchtigungen des Werks auftreten – deren Ursachen zwar unklar sind, deren Beseitigung aber dem Unternehmer aufgegeben sind, da dieser auch im Falle von Störungen weiterhin zur Herstellung eines "vollständig mangelfreien Werks" verpflichtet ist[420] und die Gefahr bis zur Abnahme des Werks nach § 644 Abs. 1 BGB trägt.[421] Den Unternehmer trifft also die Beweislast bis zur Abnahme des Werks. "Wurde das Werk zwischenzeitlich durch den Besteller selbst beeinträchtigt, muss er (der Unternehmer) diese Schäden ebenfalls beseitigen, wenn er nicht nachweisen kann, dass sie vom Besteller verursacht wurden".[422]

 

Rz. 246

Diese Risiken versucht die (widerlegliche) Vermutungswirkung des § 650g Abs. 3 BGB zugunsten des Unternehmers abzumildern (Risikoeinschränkung): Ist das Werk

dem Besteller verschafft worden (i.S. eines endgültigen Übergangs des Werks in den Einflussbereich des Bestellers)[423] und ist
in der (gemeinsamen oder einseitigen) Zustandsfeststellung nach § 650g Abs. 1 oder 2 BGB ein "offenkundiger Mangel"[424] nicht angegeben (Voraussetzung ist, dass die gesetzlichen Anforderungen an eine Zustandsfeststellung nach § 650g Abs. 1 [Rdn 225 ff.] bzw. Abs. 2 BGB [Rdn 237 ff.] eingehalten worden sind – wobei der Gesetzgeber "lediglich die Angabe des Tages der Ausfertigung der gemeinsamen Zustandsfeststellung nach Absatz 1 Satz 2, die ebenso wie in § 585b Absatz 1 Satz 3 als “Sollvorschrift’ ausgestaltet wurde" für verzichtbar erachtet),[425]

wird nach § 650g Abs. 3 S. 1 BGB vermutet (doppelte Vermutungswirkung), dass der Mangel

nach der Zustandsfeststellung entstanden und
vom Besteller zu vertreten ist.
 

Rz. 247

Es kommt damit zu einer widerlegbaren (vgl. § 292 ZPO) Beweislastumkehr zugunsten des Unternehmers (aber nur im Verhältnis zwischen den Parteien):[426] Der Unternehmer haftet nicht für Mängel – es sei denn, der Besteller kann den Gegenbeweis führen. Der Unternehmer trägt die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 650g Abs. 3 S. 1 BGB, der Besteller für den Gegenbeweis zu § 650g Abs. 3 S. 1 BGB bzw. zu den Voraussetzungen nach § 650g Abs. 3 S. 2 BGB.

 

Rz. 248

Nach Glöckner[427] werden mit § 650g Abs. 3 BGB wegen

der Begrenzung der Vermutungswirkung auf offenkundige Mängel und
den Zeitpunkt ihres Eintritts

"die Interessen des Bestellers ausrechend gewahrt".

 

Rz. 249

Ein Mangel ist im vorgenannten Sinne dann "offenkundig", wenn er bei einer ordnungsgemäßen Zustandsfeststellung ohne Weiteres hätte entdeckt werden müssen – wobei im Rahmen einer Auslegung des Begriffs "offenkundig" die jeweilige Fachkunde des Bestellers zu berücksichtigen ist.[428]

 

Rz. 250

Die gesetzliche Vermutung nach § 650g Abs. 3 S. 1 BGB gilt nicht (Ausschluss der Vermutungswirkung), wenn der Mangel nach seiner Art nicht vom Besteller verursacht worden sein kann (so § 650g Abs. 3 S. 2 BGB) – was bspw. dann der Fall ist, "wenn es sich um einen Materialfehler handelt oder der Mangel darin besteht, dass das Werk nicht nach den Planungsvorgaben hergestellt wurde"[429] (Planabweichung, Ausführungsfehler oder Verstöße gegen fachliche Regeln).[430]

 

Rz. 251

 

Zusammenfassung:

Der Inhalt der doppelten gesetzlichen Vermutungswirkung nach § 650g Abs. 3 BGB geht also dahin, dass ein "offenkundiger Mangel"

nach der Zustandsfeststellung entstanden und
vom Besteller zu vertreten ist.
 

Rz. 252

 

Beachte:

Über § 650g Abs. 3 BGB können dem Besteller damit auch von Dritten verursachte Schäden zugerechnet werden, wenn der Besteller die Vermutung nicht erschüttern kann – was dem Gesetzgeber aber deshalb als gerechtfertigt erscheint, "weil der Besteller bereits im Besitz des Werkes ist und daher Beeinträchtigungen durch Dritte eher vermeiden kann als der Unternehmer, der dafür bisher einzustehen hat".[431]

[417] Dazu näher jurisPK-BGB/Leicht, § 650g BGB Rn 27 ff.
[418] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 61.
[419] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 61.
[420] Vgl. Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 644 Rn 2.
[421] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 61.
[422] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 61.
[423] Palandt/Sprau, § 650g BGB Rn 6.
[424] "Offenkundig" ist ein Mangel, der im Zeitpunkt der Zustandsfest...

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