Rz. 36

Eine ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133 157 BGB) kommt zum Tragen, wenn

der Vertrag oder die AGB-Klauseln eine nicht bedachte Lücke enthalten oder eine solche Lücke später entsteht; diese kann auch durch den Wegfall einer nach AGB-Recht unwirksamen Klausel entstehen[120] – selbst dann, wenn die Unwirksamkeit bzw. fehlende Einbeziehung der AGB-Klausel für den Verwender vorhersehbar war;[121] und
gesetzliche Bestimmungen, die nach § 306 Abs. 2 BGB an die Stelle der unwirksamen Klausel treten sollen, nicht existieren (so z.B. bei Leistungsbeschreibung; Vergütung/Preis- oder Zinsänderung) oder keinen angemessenen Interessenausgleich darstellen.[122] Beispiel: Vertragserfüllungs-Bürgschaft "auf erstes Anfordern", bei der eine gesetzliche Regelung, die an die Stelle der (unwirksamen) Bürgschaftsverpflichtung hätte treten können, nicht existierte; und
dies das Vertragsgefüge einseitig unangemessen verschieben würde.[123] Dies kann z.B. bei einer unwirksamen Preisanpassungsklausel (die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ersetzt werden soll) wegen eines – die Auswirkungen vermindernden – Kündigungsrechts des Verwenders(!) zu verneinen sein.[124]

Enthält der Vertrag eine von den Parteien nicht bedachte Lücke (oder entsteht sie später), so ist zu fragen, was die Parteien bei Kenntnis dieser Lücke bei sachgerechter, objektiv-generalisierender Abwägung ihrer Interessen vereinbart hätten.[125] Wegen Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL darf die Lückenfüllung "nicht nur" den hypothetischen Willen berücksichtigen, sondern muss sich auch "an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben" orientieren.[126] Die Lückenfüllung muss für den betreffenden Vertragstyp als Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein.[127] Allerdings ist der BGH bei unwirksamen AGB-Klauseln sehr zurückhaltend, dem Verwender zu helfen.[128] Die neue Regelung darf inhaltlich nicht über das nach §§ 307 ff. Zulässige hinausgehen.[129] Kommen verschiedene "Lösungen" in Betracht, so sollen i.d.R. "Anhaltspunkte" im Vertrag für die "richtige" Lösung erforderlich sein.[130] Bei Massengeschäften ist die Lösung auf einer höheren Abstraktionsstufe zu suchen, ohne dass im Vertrag Anhaltspunkte dafür vorhanden sein müssen.[131]

[120] St. Rspr: siehe nur BGH v. 13.1.2010 – VIII ZR 81/08, NJW-RR 2010, 1202 (Nr. 27); BGH v. 13.4.2010 – XI ZR 197/09, NJW 2010, 1742 (Nr. 18); BGH v. 14.3.2012 – VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865 (Nr. 19 ff.) – alle zu unwirksamen AGB-Gaspreisänderungsklauseln; BGH v. 15.1.2014 – VIII ZR 80/13, NJW 2014, 1877 (LS 1 und Nr. 10).
[121] Siehe BGH v. 13.4.2010 – XI ZR 197/09 NJW 2010, 1742 (LS, Nr. 18), wo diese Einschränkung nicht erwähnt wird. Für Einschränkung aber: BGH v. 11.1.2007 – I ZR 96/04, DB 2007, 1973 (nur LS); OLG Karlsruhe v. 10.5.1984 – 9 U 87/83, MDR 1985, 57.
[126] BGH v. 23.1.2013 – VIII ZR 100/12 (Nr. 30), n.v. – unter Hinw. auf EuGH v. 15.3.2012 – C-453/10, NJW 2012, 1781 (Nr. 31).
[128] BGH v. 5.3.2008 – VIII ZR 95/07, NJW 2008, 1438, 1439 (Nr. 20): grds. kein Vertrauensschutz bei Änderung höchstrichterlicher Rspr. (LS 2).
[130] Siehe BGH v. 26.4.2005 – XI ZR 289/04, ZIP 2005, 1021, 1023; BGH v. 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, NJW 2006, 996, 999; BGH v. 8.5.2007 – KZR 14/04, NJW 2007, 3568 ff. (Nr. 21): Anhaltspunkte unverzichtbar; siehe BGH v. 16.6.2009 – XI ZR 145/08, NJW 2009, 3422, 3425 (Nr. 39). Aber BGH v. 14.3.2012 – VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865 (LS, Nr. 35): Nicht "für jede Einzelheit der “technischen‘ Ausgestaltung der Vertragsergänzung konkrete Anhaltspunkte" erforderlich.

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