Leitsatz (amtlich)

Eine vom Besteller ggü. dem Bauunternehmer verwendete Klausel, nach der ein Bareinbehalt von 5 % der Schlussrechnungssumme auf die Dauer der Gewährleistungsfrist einbehalten wird, der allein durch Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, ist unwirksam. Eine ergänzende Vertragsauslegung dahin, dass die Ablösung durch eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft erfolgt, kommt bei der gebotenen objektiv-generalisierenden Betrachtungsweise nicht in Betracht (im Anschluss an BGH, Urt. v. 9.12.2004 - VII ZR 265/03, BGHReport 2005, 413 m. Anm. Schwenker = MDR 2005, 566 = BauR 2005, 539).

 

Normenkette

AGBG § 9 Abs. 1; BGB §§ 133, 157D

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 03.02.2004; Aktenzeichen 9 U 3458/03)

LG München I

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG München v. 3.2.2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Herausgabe von Bürgschaftsurkunden, die sie auf Grund von Sicherungsvereinbarungen in Bauverträgen übergeben hat.

Die Parteien schlossen in den Jahren 1994 bis 1998 verschiedene Verträge, in denen sich die Klägerin als Generalunternehmerin verpflichtete, Bauleistungen zu erbringen. Die Verträge enthielten unter § 15 nahezu gleich lautende Regelungen, wonach der Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung i.H.v. 5 % der Brutto-Schlussrechnungssumme für die Dauer der Gewährleistungsfrist vereinbart war. Der Sicherheitseinbehalt sollte Zug um Zug gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen, unwiderruflichen Gewährleistungsbürgschaft ausgezahlt werden. Die Bürgschaft musste den Verzicht auf die Einrede der Vorausklage, der Anfechtbarkeit und Aufrechenbarkeit enthalten und auf erstes Anfordern hin fällig sein.

Die Klägerin hält diese Vereinbarungen zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche für unwirksam. Sie hat die Beklagte auf Herausgabe von fünf im Einzelnen bezeichneten Bürgschaftsurkunden in Anspruch genommen und daneben auf Zahlung von Werklohn. Das LG hat die Beklagte durch Teilurteil zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunden verurteilt. Nachdem eine Bürgschaftsurkunde herausgegeben worden ist, ist der Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt worden. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Soweit der Rechtsstreit für erledigt erklärt worden ist, hat das Berufungsgericht der Beklagten die Kosten auferlegt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht führt aus, die Bestimmungen in § 15 der Generalunternehmerverträge seien Allgemeine Geschäftsbedingungen. Die Beklagte habe nicht schlüssig dargetan, dass sie i.S.d. § 1 Abs. 2 AGBG ausgehandelt worden seien. Der Vortrag, die Beklagte habe ernsthaft eine Bereitschaft erkennen lassen, der Klägerin eigene Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Vertragsinhalts, auch bezüglich der hier streitgegenständlichen Klausel, einzuräumen, sei kein substantiierter Vortrag von Tatsachen, sondern eine Bewertung ohne konkret fassbaren Tatsachengehalt. Eine Beweisaufnahme sei deshalb nicht veranlasst.

Die Regelung in § 15 der Verträge benachteilige die Klägerin unangemessen. Sie sei unwirksam. Eine ergänzende Vertragsauslegung komme nicht in Betracht. Soweit sich die Beklagte darauf berufe, die Parteien hätten zur Schließung der Vertragslücke eine Bürgschaft vereinbart, auf die nicht auf erstes Anfordern zu zahlen gewesen wäre, handele es sich um eine behauptete hypothetische Tatsache. Ein insoweit irgendwie manifestierter Wille sei nicht dargetan. Die Behauptung könne nur als Äußerung, zu welchem Ergebnis die ergänzende Vertragsauslegung gelangen müsse, verstanden werden, ohne dass das Gericht in seiner rechtlichen Beurteilung daran gebunden wäre.

II.

Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

1. Die Revision stellt nicht in Frage, dass § 15 der Verträge von der Beklagten verwendete, für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen sind.

2. Die Beklagte hat nicht schlüssig dargetan, dass die Bedingungen in § 15 Vertrag ausgehandelt worden sind, so dass sie gem. § 1 Abs. 2 AGBG keine Allgemeine Geschäftsbedingungen und damit einer Inhaltskontrolle entzogen wären.

Ein Aushandeln i.S.d. § 1 Abs. 2 AGBG erfordert mehr als Verhandeln. Von einem Aushandeln kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen "gesetzesfremden Kerngehalt", also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (st.Rspr., BGH, Urt. v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 [321 f.] = BGHReport 2003, 594 m. Anm. Siegburg = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647, m.w.N.).

Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt worden sind. Die Beklagte hat vorgetragen, bei Abschluss der jeweiligen Verträge habe man sich nicht darauf beschränkt, die Vertragsinhalte zu erörtern und die Verträge gemeinsam zu lesen; vielmehr habe die Beklagte die ernsthafte Bereitschaft gehabt und erkennen lassen, der Klägerin eigene Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Vertragsinhalts, auch bezüglich der streitgegenständlichen Klausel, einzuräumen. Die Klägerin habe sich in keiner Weise dagegen gewandt, die Vereinbarung von Bürgschaften auf erstes Anfordern zu akzeptieren. Im Hinblick darauf, dass diese Sicherungsform auf Grundlage der damaligen Rechtsprechung ohne weiteres zulässig und auch üblich gewesen sei, sei hierüber nicht im Einzelnen verhandelt worden.

Danach hat die Beklagte in der Vertragsverhandlung die Ausgestaltung der Sicherungsabrede nicht zur Disposition gestellt. Vielmehr ist über Möglichkeiten, die Beklagte anderweitig abzusichern, überhaupt nicht geredet worden. Eine allgemein geäußerte Bereitschaft, Vertragsklauseln auf Anforderung des Vertragspartners zu ändern, erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Aushandelns der konkreten Klausel i.S.d. § 1 Abs. 2 AGBG (BGH, Urt. v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 [321 f.] = BGHReport 2003, 594 m. Anm. Siegburg = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., § 1 Rz. 50, m.w.N.). Im Übrigen ist dem Vortrag der Beklagten nicht zu entnehmen, auf welche Weise sie der Klägerin die Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt haben will.

3. Die Sicherungsvereinbarungen in § 15 der Verträge sind unwirksam, weil sie die Klägerin unangemessen benachteiligen, § 9 Abs. 1 AGBG (st.Rspr.: BGH, Urt. v. 5.6.1997 - VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27 = MDR 1997, 929; Urt. v. 16.5.2002 - VII ZR 494/00, BGHReport 2002, 977 = MDR 2002, 1366 = BauR 2002, 1392 = ZfBR 2002, 677 = NZBau 2002, 493; Urt. v. 9.12.2004 - VII ZR 265/03, BGHReport 2005, 413 m. Anm. Schwenker = MDR 2005, 566 = BauR 2005, 539). Eine ergänzende Vertragsauslegung dahin, dass der Auftragnehmer berechtigt ist, den Sicherheitseinbehalt durch eine selbstschuldnerische, unbefristete Bürgschaft abzulösen, kommt nicht in Betracht. Sie verbietet sich im Hinblick auf die vielfältigen Möglichkeiten einer Sicherung des Auftraggebers, wie sie insb. durch § 17 VOB/B vorgegeben sind und auch in der Praxis verwendet werden. Das hat der Senat im Anschluss an seine ständige Rechtsprechung nach Erlass des Berufungsurteils bestätigt (BGH, Urt. v. 9.12.2004 - VII ZR 265/03, BGHReport 2005, 413 m. Anm. Schwenker = MDR 2005, 566 = BauR 2005, 539, m.w.N.).

4. Die Ausführungen der Revision geben keinen Anlass, davon abzuweichen. Unerheblich ist die Behauptung der Beklagten, die Vertragsparteien hätten in Kenntnis der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede eine Ablösung durch selbstschuldnerische, unbefristete Bürgschaft vereinbart. Die ergänzende Vertragsauslegung, die durch eine Vertragslücke infolge einer unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung veranlasst ist, hat sich an einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu orientieren, der am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet sein muss (BGH, Urt. v. 7.3.1989 - KZR 15/87, BGHZ 107, 273 [277] = MDR 1989, 1079; Urt. v. 12.7.1989 - VIII ZR 297/88, MDR 1990, 44 = CR 1990, 31 = NJW 1990, 115 [116]). Es kann dahinstehen, inwieweit dieser Maßstab die Behauptung erlaubt, die Vertragsparteien hätten den Vertrag mit einem bestimmten anderen Inhalt geschlossen, wenn sie die Unwirksamkeit gekannt hätten. Diese Behauptung wäre jedenfalls ohne konkrete Umstände, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, spekulativ und nicht berücksichtigungsfähig. Solche Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1373061

DB 2005, 1683

BGHR 2005, 1100

BauR 2005, 1154

EBE/BGH 2005, 196

NJW-RR 2005, 1040

IBR 2005, 423

IBR 2005, 460

WM 2005, 1188

WuB 2005, 579

ZfIR 2005, 578

MDR 2005, 1103

BrBp 2005, 377

Info M 2006, 308

NJW-Spezial 2005, 407

NZBau 2005, 460

ZBB 2005, 289

BBB 2005, 54

BauRB 2005, 222

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