Rz. 283

Vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber nicht nur den BR des Betriebes anzuhören und die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen, sondern auch die Schwerbehindertenvertretung (SBV) zu beteiligen. Seit den Änderungen des Schwerbehindertenrechts zum 1. Januar 2018 durch das Bundesteilhabegesetz ist jede Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne vorherige Unterrichtung und Anhörung der SBV gemäß § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX unwirksam. Das Anhörungsverfahren nach § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX soll es der SBV ermöglichen, ohne zusätzliche eigene Ermittlungen zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, damit der Arbeitgeber Bedenken oder Einwände der SBV bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann.

Nicht die Unwirksamkeit der Kündigung hat es zur Folge, wenn der Arbeitgeber "nur" die Mitteilungspflicht nach § 178 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB IX verletzt.[478]

Erforderlich ist objektive Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers.[479] Es ist allerdings umstritten, ob eine Kündigung auch dann unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber die Kündigung in Unkenntnis der Schwerbehinderung des Mitarbeiters ohne Beteiligung der SBV ausspricht.[480] Zum Teil wird § 168 SGB IX analog angewandt, wonach der Arbeitnehmer sich auch noch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf die im Kündigungszeitpunkt bereits bestehende Schwerbehinderung berufen kann.[481] Ob dies auch innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX gilt, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hat, hat das BAG bislang offen gelassen.[482] Angesichts des Wortlauts des § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX wird man aber auch dann von der Unwirksamkeitsfolge der ohne vorherige Beteiligung der SBV erklärten Kündigung ausgehen müssen. Ist die Schwerbehinderung oder Gleichstellung im Zeitpunkt der Kündigung allerdings noch nicht anerkannt, führt die spätere Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit nach § 151 Abs. 2 S.2 SGB IX über eine Rückwirkung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung auf den Tag des Antragseingangs nicht zu einer (vorsorglichen) Beteiligungsverpflichtung des Arbeitgebers, da die Rückwirkung erst durch den Bescheid begründet wird und im Zeitpunkt der vor dem Bescheid erfolgten Umsetzung noch nicht eingetreten ist.[483]

[478] BAG 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305, 306; im Ergebnis ebenso Boecken, VSSR 2017, 79; ErfK/Rolfs, § 178 SGB IX Rn 10; a.A. LPK-SGB IX/Düwell, 5. Auflage, § 178 Rn 58.
[479] ErfK/Rolfs, § 178 SGB IX Rn 8.
[480] Dagegen ErfK/Rolfs, § 178 SGB IX Rn 8 unter Verweis auf BVerwG 17.9.1981 – 2 C 4/79 DVBl. 1982, 582 und 7.4.2011 BeckRS 2011, 50613.
[481] Vgl. Bayreuther, NZA 2017, 87(88).
[482] BAG 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 mit Anm. Fuhlrott, NZA-RR 2019, 231.
[483] BAG 22.1.2020 – 7 ABR 18/18, NZA 2020, 783; für die Anwendbarkeit Boecken, VSSR 2017, 73.

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