Rz. 89

Die Geltendmachung kann nicht nur durch den Pflichtteilsberechtigten selber, sondern an seiner statt auch durch einen seiner Gläubiger[83] erfolgen. Zur Wiederherstellung der Pflichtteilsquote werden zunächst die Vermächtnisse gekürzt. Da das französische Recht die testamentarische Erbeinsetzung nicht kennt, sind hiermit letztlich sämtliche testamentarischen Zuwendungen erfasst. Da alle Vermächtnisse grundsätzlich den gleichen Rang haben, werden sie gleichmäßig gekürzt. Etwas anderes gilt allein dann, wenn der Erblasser testamentarisch einem Vermächtnis Vorrang vor den anderen erteilt hat, Art. 927 c.c. Erst wenn die Herabsetzung der anderen Vermächtnisse zur Wiederherstellung der Vorbehaltserbrechte nicht genügt, wird auch auf das vorrangige Vermächtnis zurückgegriffen. Ist selbst nach Hinfälligwerden sämtlicher Vermächtnisse der Pflichtteil nicht vollständig befriedigt, etwa weil der Erblasser nur unter Lebenden verfügt hat, werden auch die lebzeitigen Schenkungen gekürzt.

 

Rz. 90

Das Reformgesetz vom 23.6.2006 hat nun die Idealkollation auch zum Grundsatz des Pflichtteilsrechts erhoben (siehe auch Rdn 54).[84] Das bedeutet, dass der Pflichtteilsberechtigte durch die Erhebung der Herabsetzungsklage zwar weiterhin eine dingliche Beteiligung am Nachlass erlangen kann. Er kann aber – wie im deutschen Recht – gegen die testamentarischen Erben im Rahmen der Auseinandersetzung nur noch einen Geldanspruch geltend machen. Gem. Art. 924 Abs. 1 c.c. hat der Begünstigte einer freigebigen Zuwendung[85] – gleich ob er als Erbe berufen ist oder nicht – in Höhe des Teils der Zuwendung, mit der der Erblasser die verfügbare Quote überschritten hat, die Vorbehaltserben zu entschädigen. Die Zahlung der Entschädigung erfolgt durch einen selbst pflichtteilsberechtigten Zuwendungsempfänger gem. Art. 924 Abs. 2 c.c. vorrangig, indem diese auf seinen Erbteil, dabei vorrangig auf sein Vorbehaltserbrecht, angerechnet wird (en moins prenant). Die Höhe der Entschädigung berechnet sich gem. Art. 924–2 c.c. nach dem Wert zum Zeitpunkt der Schenkung bzw. der Zuteilung im Wege der Erbauseinandersetzung.

 

Rz. 91

Der durch die pflichtteilsbeeinträchtigende Verfügung Begünstigte kann sich aber auch von der Pflicht zur Zahlung der Entschädigung befreien: Er kann innerhalb von drei Monaten, nachdem er in Bezug auf die Leistung der Entschädigung in Verzug gesetzt worden ist, die Sache in natura herausgeben, vorausgesetzt, die durch Schenkung oder Vermächtnis erworbene Sache befindet sich noch in seinem Eigentum und ist seitdem nicht weiter belastet worden, Art. 924–1 c.c.

 

Rz. 92

Ist der Begünstigte nach der Schenkung einer Immobilie zahlungsunfähig geworden, so können die Pflichtteilsberechtigten die Klage auch gegen einen Dritten erheben, der von dem Begünstigten eine unbewegliche Sache durch Schenkung erhalten hatte, Art. 924–4 c.c. Dieser ist dann zur Zahlung verpflichtet, kann sich aber auch durch Herausgabe der Sache in natura befreien.

 

Rz. 93

Die Herabsetzungsklage verjährte vor 2006 erst nach Ablauf von 30 Jahren ab dem Tod des Erblassers. Das führte zu großen Unsicherheiten bei der Verfügung über Nachlassgegenstände, da der Pflichtteilsberechtigte noch 30 Jahre nach dem Erbfall durch Ausübung der Herabsetzungsklage das Eigentum an sich ziehen konnte und Verfügungen der testamentarischen Erben nichtig wurden, sofern die Pflichtteilsberechtigten nicht zugestimmt hatten. Die Erbrechtsreform hat diese Frist radikal verkürzt. Die Verjährung tritt nun nach Ablauf von fünf Jahren ab Eintritt der Erbfolge ein oder zwei Jahre nach Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von der Verletzung seiner Pflichtteilsrechte, spätestens aber zehn Jahre nach dem Erbfall.

[83] Cour de Cassation, Urt. v. 20.10.1982, Recueil Dalloz 1983, 120.
[84] Vareille, Nouveau rapport, nouvelle réduction, Recueil Dalloz 2006, 2565, 2566; Bericht des Senats über das Gesetz: Projet de loi portant réforme des successions et des libéralités: (rapport) unter B 2 a; Gresser, ZErb 2006, 412.
[85] Der Begriff "libéralité" umfasst sowohl die lebzeitige Schenkung als auch das Vermächtnis, vgl. Art. 913 c.c.

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