Rz. 52

Das französische materielle Erbrecht beruhte bis 2006 weitestgehend noch auf der ursprünglichen Fassung des Code Civil von 1804. Diese war intensiv von zwei Charakteristika geprägt: zum einen den revolutionären Idealen, vor allem der égalité, die mit den alten Vorrechten der Primogenitur, langfristigen Vermögensbindungen in Fideikommissen etc., aufräumen wollten. Hieraus resultieren die Gleichbehandlung der Erben, der Schutz ihrer Rechte durch hohe Pflichtteilsquoten, das Verbot der Nacherbschaft, die Begrenzung der Testamentsvollstreckung, das Verbot von Erbverträgen und der unbeschränkte Anspruch auf jederzeitige Teilung des Nachlasses.[54] Die Beschränkung der Erbrechte auf die eheliche Familie unter Ausschluss der nichtehelichen Kinder und weitgehender Beschränkung des Ehegatten auf Nutzungsrechte ohne Beteiligung an der Substanz dagegen geht auf noch älteres Gedankengut zurück. Daher wurde auch schon im 19. Jahrhundert an der Verbesserung der erbrechtlichen Stellung des Ehegatten gearbeitet. Seit 1972 können auch nichteheliche Kinder erben, wenn sie anerkannt sind oder die Abstammung gerichtlich festgestellt worden ist.

 

Rz. 53

Seit den 1990er Jahren wurde eine umfassende Überarbeitung des Erbrechts vorbereitet. Das Verdikt der französischen Regelung für Ehebruchskinder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte[55] gab den Anlass dafür, durch das Gesetz vom 3.12.2001[56] ein erstes Teilstück der Reform umzusetzen, mit dem im Wesentlichen die gesetzliche Erbfolge geändert wurde. So wurde nicht nur die erbrechtliche Gleichstellung aller Abkömmlinge herbeigeführt, sondern auch die Position des überlebenden Ehegatten wesentlich verstärkt.[57]

 

Rz. 54

Der zweite Teil der Reform erfolgte durch Gesetz vom 23.6.2006.[58] Dieses Gesetz verfolgt eine weitere Öffnung und Liberalisierung des noch wesentlich von Ordnungsgedanken geprägten französischen Erbrechts. Dazu wurde die Nachlassabwicklung vereinfacht und eine effektive Nachlassverwaltung ermöglicht. Schließlich wurden die Möglichkeiten der Nachlassgestaltung erweitert, indem z.B. die Möglichkeiten der Vor- und Nacherbfolge geschaffen wurden. Im Pflichtteilsrecht wurde mit der Möglichkeit eines Verzichts auf die Erhebung der Herabsetzungsklage eine Form des Erbverzicht eingeführt, der Pflichtteil der Aszendenten abgeschafft und die dingliche Beteiligung der Pflichtteilsberechtigten beseitigt, indem die Pflichtteilsberechtigten nur noch die Zahlung von Geld verlangen können.[59] Das französische Erbrecht ist damit rundum modernisiert worden.

[54] Sonnenberger/Autexier, Einführung in das französische Recht, S. 169.
[55] Urt. v. 1.2.2000 ("Mazurek"), FamRZ 2000, 1077 m. Anm. van Winckelen.
[56] Loi relative aus droits du conjoint survivant et des enfants adultérins et modernisant diverses dispositions de droit successoral, Journal Officiel vom 4.12.2001, S. 19279. In Kraft getreten am 1.1.2002.
[57] Hierzu z.B. Döbereiner, in: Süß, Erbrecht in Europa, Frankreich Rn 41; Frank, RNotZ 2002, 270; Rombach, ZEV 2002, 271; Süß, ZErb 2002, 62.
[58] Gesetz 2006–728 portant réforme des successions et des libéralités, Journal Officiel vom 5.4.2006, S. 9513. Das Gesetz enthält Änderungen an über 200 Artikeln des code civil.
[59] Eine Übersicht über die Reform 2006 geben Ferrand, FamRZ 2006, 1318; Klima, ZEV 2006, 440; Gresser, ZErb 2006, 407.

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