Rz. 21

Nach § 138 Abs. 1 BGB ist der Arbeitsvertrag nichtig, wenn er gegen die guten Sitten verstößt. Das ist dann der Fall, wenn er nach Inhalt, Zweck und Beweggründen gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BAG v. 1.4.1976 – 4 AZR 96/75, NJW 1976, 1958 = BB 1976, 1079 = DB 1976, 1680). In subjektiver Hinsicht genügt es, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt, dagegen ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit und eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich (BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 474/14, juris; BAG v. 22.7.2010 – 8 AZR 144/09, NZA 2011, 743 = NJW 2011, 630). Angenommen wurde dies für die vertragliche Verpflichtung eines Ehepaares zur Vorführung des Geschlechtsverkehrs auf offener Bühne (BAG v. 1.4.1976 – 4 AZR 96/75, BB 1976, 1079 = NJW 1976, 1958). Beim Prostituiertenlohn wurde durch § 1 ProstG (Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten v. 20.12.2001, BGBl I, 3983) bestimmt, dass eine rechtswirksame Forderung begründet wird, wenn sich eine Person, insb. im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, für die Erbringung sexueller Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine bestimmte Zeitdauer bereithält. In einem kirchlichen Arbeitsverhältnis führt die Verletzung kirchengesetzlicher Vorgaben nicht zu einer Sittenwidrigkeit, auch wenn die kirchliche Ordnung und deren Wertvorstellungen bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen wären (BAG v. 24.5.2018 – 6 AZR 308/17, juris Rn 42). Die Bürgschaft eines Arbeitnehmers für Verbindlichkeiten eines Arbeitgebers ist nicht schon deswegen sittenwidrig, weil sie vom Arbeitnehmer ohne eine Gegenleistung in einer wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers übernommen wird (BGH v. 11.9.2018 – XI ZR 380/16, NJW 2018, 3637).

 

Rz. 22

Sittenwidrigkeit wurde ferner angenommen für die Verpflichtung des Arbeitnehmers zum Ausgleich von Verlusten des Arbeitgebers, selbst wenn diese im Zusammenhang mit der Beschäftigung des Arbeitnehmers entstanden und die Anregung zur entsprechenden Vertragsgestaltung vom Arbeitnehmer selbst ausgegangen war (BAG v. 10.10.1990 – 5 AZR 404/89, DB 1991, 659 = BB 1991, 413).

 

Rz. 23

Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung verstößt gegen den strafrechtlichen Wuchertatbestand des § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB und die guten Sitten von § 138 BGB, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt (BAG v. 24.3.2004 – 5 AZR 303/03, NZA 2004, 971 = DB 2004, 1432; BAG v. 23.5.2001, EzA BGB § 138 Nr. 29). Hierbei hat das BAG klargestellt, dass die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweiges den Ausgangspunkt zur Feststellung des Wertes der Arbeitsleistung bilden, sofern in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird. Liegt die verkehrsübliche Vergütung dagegen unterhalb des Tariflohnes, ist zur Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen (BAG v. 24.3.2004 – 5 AZR 303/03, NZA 2004, 971 = DB 2004, 1432; BAG v. 23.5.2001 – 5 AZR 527/99, EzA BGB § 138 Nr. 29). Das BAG hat in der Entscheidung vom 24.3.2004 ausdrücklich festgestellt, dass zur Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses weder auf einen bestimmten Abstand zwischen Arbeitsentgelt und Sozialhilfe abgestellt werden kann noch aus den Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO auf ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung geschlossen werden kann.

 

Rz. 24

Während das BAG in den beiden vorstehenden Entscheidungen aus den Jahren 2001 sowie 2004 noch ausgeführt hat, dass es bisher keine Richtwerte entwickelt habe, bei deren Vorliegen ein auffälliges Missverhältnis regelmäßig zu bejahen sei, hat das BAG erstmals in seinem Urt. v. April 2009 entschieden, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB vorliege, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht (BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 436/08, DB 2009, 1599 = NZA 2009, 837). Bei der Bestimmung des regelmäßigen Tariflohns sind tarifliche Zuschläge, Zulagen und Sonderleistungen nicht einzubeziehen. Damit ist das BAG der Rechtsprechung des BGH gefolgt, der bereits im Jahr 1997 ein auffälliges Missverhältnis bei einem Lohn bejaht hat, der lediglich ⅔ des Tariflohnes beträgt (BGH v. 22.4.1997 – 1 StR 701/96, NZA 1997, 1167 = DB 1997, 1670). Es ist die vertraglich vereinbarte Bruttovergütung mit der üblichen Bruttovergütung zu vergleichen, die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung bleibt außer Betracht, da es von diversen z.T. außerhalb des konkreten Arbeitsverhältnisses liegenden Faktoren abhängt, in welcher Höhe die Vergütung dem Arbeitnehmer netto zufließt (LAG Bremen v. 28.8.2008 – 3 Sa 69/08, LAG § 138 BGB 2002 Nr. 2).

Seitdem entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass eine ganz erhebliche, ohne Weiteres ins Auge fallende und regelmäßig nicht hinnehmbare Abweichung vorliege...

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