Rz. 57

Fallen Abschluss des Arbeitsvertrages und vorgesehener Arbeitsbeginn zeitlich auseinander, stellt sich die Frage, ob der Arbeitsvertrag auch schon vor Arbeitsbeginn wieder gelöst werden kann. Einvernehmlich ist dies als Ausübung der Vertragsfreiheit jederzeit möglich. War das Arbeitsverhältnis noch nicht in Vollzug gesetzt, bestehen selbst gegen eine rückwirkende einvernehmliche Beendigung keine Bedenken.

 

Rz. 58

Die einseitige Auflösung des Arbeitsvertrages durch Kündigung einer der beiden Parteien schon vor Dienstantritt ist dagegen nicht unproblematisch. Gegenseitige Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, aus denen der Kündigende sich einseitig lösen will, sind vor vereinbartem Beginn des Arbeitsverhältnisses noch nicht entstanden. Eine Kündigung vor Dienstantritt geht, so gesehen, ins Leere. Wollte man sie in der Weise zulassen, dass auch die Kündigungsfrist schon vor Dienstantritt zu laufen beginnt, käme dies einem Rücktritt vom Vertrag gleich, für den es regelmäßig keinen Grund geben dürfte. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass auch bei erst für einen späteren Zeitpunkt vorgesehenem Vertragsbeginn schon mit dem Vertragsschluss selbst eine Bindung der Parteien eingetreten ist, eben des Inhaltes, das Arbeitsverhältnis zur vereinbarten Zeit in Funktion zu setzen. Diese gegenseitige Verpflichtung kann durchaus Gegenstand eines Lösungsbegehrens sein. Rechtstatsächlich besteht das Problem darin, dass die Zulässigkeit einer Kündigung vor Dienstbeginn es beiden Seiten ermöglicht, ohne endgültigen Bindungsentschluss zunächst einmal einen Arbeitsvertrag zu schließen, um sich für den Fall anderer Dispositionen nach Vertragsbeginn sanktionslos – abgesehen von möglichen Ansprüchen aus culpa in contrahendo – der Bindung wieder zu entledigen ("Vorratsverträge").

 

Rz. 59

Nachdem das RAG eine Kündigung vor Dienstantritt noch für unvereinbar mit dem Rechtscharakter einer Kündigung gehalten hatte (RAGE 18, 57), hält die heute ganz herrschende Meinung in Rspr. und Literatur sie sowohl als ordentliche als auch als außerordentliche Kündigung für grds. zulässig (BAG v. 9.2.2006 – 6 AZR 283/05, NZA 2006, 1207 = BB 2006, 1916; BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 324/03, NZA 2004, 1089 = NJW 2004, 3444; BAG v. 9.5.1985 – 2 AZR 372/84, NZA 1986, 671 = DB 1986, 1781; Caesar, NZA 1989, 251).

 

Rz. 60

Unzulässig ist eine ordentliche Kündigung vor Dienstantritt nur dann, wenn die Parteien diese ausdrücklich ausgeschlossen haben oder sich der Ausschluss der Kündigung aus den Umständen zweifelsfrei ergibt (BAG v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, juris; BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 324/03, NZA 2004, 1089 = NJW 2004, 3444). Für einen Ausschluss der Kündigung vor Dienstantritt spricht es, wenn der Arbeitnehmer die berechtigte Erwartung hegen durfte, die vereinbarte Tätigkeit zum vorgesehenen Zeitpunkt in jedem Fall zunächst aufnehmen zu können. Dies ist dann zu bejahen, wenn ein Arbeitnehmer für eine Dauerstellung eingestellt werden sollte oder wenn der Arbeitgeber ihn zur Aufgabe seiner bisherigen Stellung veranlasst hat (BAG v. 2.11.1978 – 2 AZR 74/77, BB 1979, 1038 = DB 1979, 1986). Das Recht zur außerordentlichen Kündigung vor Dienstantritt kann zwischen den Parteien nicht abbedungen werden (Küttner/Eisemann, Kündigung vor Dienstantritt, Rn 5).

 

Rz. 61

Der einseitige Ausschluss einer Kündigung vor Dienstantritt nur für den Arbeitnehmer ist mit Blick auf § 622 Abs. 6 BGB unzulässig (LAG Hamm v. 15.3.1989 –15 (17) Sa 1127/88, DB 1989, 1191 = LAGE Nr. 14 § 622 BGB), der Ausschluss der Kündigung vor Dienstantritt in einem Formulararbeitsvertrag ist dagegen wirksam (Schaub/Linck, ArbRHB, § 123 Rn 62).

 

Rz. 62

Die rechtliche Konsequenz eines Ausschlusses der Kündigung vor Dienstantritt ist es, dass die Kündigungserklärung als solche unwirksam ist und keinerlei Rechtswirkungen zeitigt, also auch nicht ab vorgesehenem Arbeitsbeginn wirkt.

 

Rz. 63

Konnte die Kündigung vor Dienstantritt wirksam erklärt werden, stellt sich die weitere Frage, wann der Lauf der Kündigungsfrist einsetzt: mit Zugang der Kündigung oder erst mit vereinbartem Arbeitsbeginn? Dabei geht es nicht um den Zugang der Kündigungserklärung nach § 130 BGB. Der bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen und liegt in diesem Fall bereits vor. Es geht um den Beginn der Wirkungen der Kündigungserklärung – bei einer ordentlichen Kündigung darum, wann der mit ihrem Zugang normalerweise verbundene Beginn des Laufes der Kündigungsfrist einsetzt.

 

Rz. 64

Die Rspr. entscheidet diese Frage im Wege der Vertragsauslegung und der ergänzenden Vertragsauslegung. Es hängt von den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen ab, ob bei einer vor Dienstantritt ausgesprochenen Kündigung die Kündigungsfrist bereits mit dem Tage des Zuganges der Kündigung oder erst an dem Tage des Vertragsbeginnes zu laufen beginnt. Dabei können typische Vertragsgestaltungen für oder gegen die Annahme sprechen, die Parteien hätten eine – wenn auch auf die Dauer der vereinbarten Kündigungsfrist beschränkte – Realisierung des Arbe...

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