Rz. 71

In der Zeit zwischen Tätigkeitsaufnahme durch den Arbeitnehmer und der Berufung auf die Nichtigkeit oder die Anfechtung des Arbeitsvertrages durch einen der beiden Vertragspartner besteht nach ganz herrschender Meinung ein sog. faktisches Arbeitsverhältnis. Aus ihm resultieren quasi vertragliche Ansprüche, nach denen das Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit, solange es in Funktion gesetzt war, wie ein fehlerfreies behandelt wird (BAG v. 30.4.1997 – 7 AZR 122/96, NZA 1998, 199 = DB 1997, 1674; BAG v. 7.6.1972, BB 1973, 291; Walker, JA 1985, 138). Das bedeutet z.B., dass Krankenvergütung geschuldet wird (BAG v. 15.1.1986 – 5 AZR 237/84, NZA 1986, 561 = DB 1986, 1393; BAG v. 18.4.1968 – 2 AZR 145/67, DB 1968, 1073) und Urlaubsansprüche entstehen (BAG v. 19.6.1959 – 1 AZR 565/57, NJW 1959, 2036 = DB 1959, 1086).

 

Rz. 72

Bei besonders schwerwiegenden Mängeln scheidet das Vorliegen eines faktischen Arbeitsverhältnisses aus. Das BAG hat entschieden, dass sich ein Arbeitnehmer, der ohne das Vorliegen einer Approbation als Arzt praktiziert hat und dessen Arbeitsvertrag aus diesem Grund gem. § 134 BGB nichtig ist (vgl. oben Rdn 27 ff.), nicht auf das Vorliegen eines faktischen Arbeitsverhältnisses berufen könne. Durch die strafbare Praktizierung könne keine Heilung für die Vergangenheit eintreten, da die Arbeitsleistung schon nach ihrer Art rechts- und gesetzeswidrig sei. Eine Schutzwürdigkeit unter Vertrauensgesichtspunkten bestehe nicht. Die Abwicklung vollziehe sich nach Bereicherungsrecht, insb. nach dem Rückforderungsausschluss gem. § 817 S. 2 BGB (BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 592/03, NZA 2005, 1409 = DB 2005, 1334).

 

Rz. 73

Die Grundsätze über das faktische Arbeitsverhältnis dienen der Regelung der Rechtsfolgen eines übereinstimmend in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrages. Ihre Anwendung setzt voraus, dass die Arbeit einvernehmlich erbracht worden ist. Erforderlich ist eine zunächst von beiden Parteien gewollte Beschäftigung des Arbeitnehmers. Mangels Einvernehmlichkeit scheidet ein Anspruch von ehemaligen Zwangsarbeitern nach den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses aus (BAG v. 16.2.2000 – 5 AZB 71/99, NZA 2000, 385 = NJW 2000, 1438).

 

Rz. 74

Sofern der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer im Zeitraum nach dem Ausspruch einer Kündigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsrechtsstreites zur Abwendung der Zwangsvollstreckung weiterbeschäftigt – Hauptanwendungsfall ist hier: der Arbeitnehmer verfügt über einen Weiterbeschäftigungstitel (sog. Weiterbeschäftigungsverhältnis) – wendet das BAG die Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses nicht an. Das Weiterbeschäftigungsverhältnis wird im Fall der Unwirksamkeit der Kündigung nach den §§ 812 ff. BGB behandelt (BAG v. 10.3.1987 – 8 AZR 146/84, NZA 1987, 373 = DB 1987, 1045).

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