I. Ermittlung des Erbstatuts aufgrund Rechtswahl

1. Bedeutung der Rechtswahl für die Nachlassgestaltung

 

Rz. 30

Die Möglichkeit der Rechtswahl ist für die Nachlassgestaltung von großer Bedeutung. Durch Rechtswahl lässt sich nicht nur verhindern, dass es aufgrund der Anknüpfung an den "gewöhnlichen Aufenthalt" zu Unsicherheiten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts oder gar zur Anwendung eines bei der Nachlassgestaltung nicht vorhersehbaren Rechts kommt. Vorbehaltlich des ordre public (dazu Rdn 227 ff.) lässt sich auch die Anwendbarkeit eines dem testamentarischen Erben besonders günstigen Rechts bewirken.

2. Kreis der wählbaren Rechtsordnungen

 

Rz. 31

Der Erblasser kann gem. Art. 22 EUErbVO ausschließlich das Recht eines Staates wählen, dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Maßgeblich ist also, welche Staatsangehörigkeit der Erblasser besitzt. Ohne Bedeutung ist es, ob das gewählte Recht das Recht eines Staates ist, in dem die EUErbVO gilt, oder ein Drittstaat.[21] Ohne Bedeutung ist auch, ob das IPR des Heimatstaates oder des Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, eine entsprechende Rechtswahlmöglichkeit überhaupt kennt oder nicht.

 

Rz. 32

Die Antwort auf die Frage, welche Staatsangehörigkeit jemand besitzt, fällt nicht in den Anwendungsbereich der EUErbVO. Vielmehr ergibt sich die Staatsangehörigkeit aus dem öffentlichen Recht des Staates, dessen Recht gewählt werden soll.[22] Aus diesem Recht ergibt sich insbesondere, unter welchen Voraussetzungen die Staatsangehörigkeit erworben wird (Abstammung, Anerkennung, Einbürgerung, Heirat etc.) und aus welchen Gründen die Staatsangehörigkeit wieder verloren wird (vgl. insoweit z.B. § 25 StAG, wonach der Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit zum automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führen kann).

 

Rz. 33

Doppel- und Mehrstaater können gem. Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 EUErbVO das Recht jedes der Staaten wählen, denen sie angehören. Das gilt selbst dann, wenn sie zu dem Staat, dessen Recht sie wählen wollen, außer der Staatsangehörigkeit keine weiteren Beziehungen mehr haben.[23]

 

Rz. 34

Eigenartig mutet die Regelung an, wonach der Erblasser neben dem Recht des Staates, dem er zum Zeitpunkt der Rechtswahl angehört, auch das Recht eines Staates wählen kann, dessen Staatsangehörigkeit er noch nicht besitzt und über die er erst bei seinem Tod verfügen wird, Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1 Fall 2 EUErbVO. Da niemand sicher voraussehen kann, welche Staatsangehörigkeit er zum Zeitpunkt seines Todes besitzen wird, ist damit gesetzlich anerkannt, dass die Rechtswahl unter einer aufschiebenden Bedingung erfolgen kann. Die mit der Rechtswahl verfolgte "Stabilität der Anknüpfung" und "Planungssicherheit" lässt sich freilich mit einer derartigen Klausel kaum erreichen. Als praktischen Anwendungsfall könnte man sich allenfalls die Situation vorstellen, dass der Erblasser bereits die Einbürgerung in einem exotischen Staat ohne Pflichtteilsordnung beantragt hat, der Einbürgerungsbescheid aber noch aussteht.

 

Rz. 35

Umstritten ist die Zulässigkeit einer Wahl des Staates, dem der Testator zum Zeitpunkt seines Todes angehören werde (dynamische Rechtswahl).[24] Eine derartige Rechtswahlklausel ins Blaue wird in noch weniger Fällen sinnvoll sein als die vorgenannte Wahl des (konkreten) künftigen Heimatrechts. Die Unzulässigkeit der Rechtswahl ergibt sich daraus aber noch nicht. Vielmehr ergibt sich aus der gesetzlich anerkannten Möglichkeit, auf künftige Staatsangehörigkeiten zurückgreifen zu können, gerade, dass eine bedingte Rechtswahl trotz der sich daraus ergebenden Rechtsunsicherheiten zum Zeitpunkt der Erklärung wirksam ist. Für den Erbfall ergeben sich hieraus keine Unsicherheiten, denn bei Eintritt des Erbfalls steht die Staatsangehörigkeit ja fest.[25]

 

Rz. 36

Existieren in einzelnen Gebietseinheiten des Heimatstaates unterschiedliche Regelungen (interlokale Rechtsspaltung, dazu Art. 36 EUErbVO) bzw. existieren dort für einzelne Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Rechtssysteme (interpersonale Rechtsspaltung, dazu Art. 37 EUErbVO), so kann der Erblasser ausschließlich das Recht des Heimatstaates (also indisches oder spanisches Recht) wählen. Welche Teilrechtsordnung dann anwendbar ist, ergibt sich zwingend aus Art. 36, 37 EUErbVO. Eine Wahl unmittelbar einer bestimmten Teilrechtsordnung (also z.B. "Hindu-Recht" oder "katalanisches Recht") ist nicht wirksam (siehe Rdn 110). Sie kann allenfalls dann getroffen werden, wenn sie nach dem interlokalen Privatrecht des Heimatstaates zulässig wäre. In allen anderen Fällen kann sie u.U. in die Wahl des Heimatstaates umgedeutet werden.[26]

 

Rz. 37

Staatenlose können nach dem Wortlaut von Art. 22 EUErbVO mangels Staatsangehörigkeit kein Recht wählen. Für sie wäre die Geltung des am gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt des Todes angeknüpften Rechts gem. Art. 21 EUErbVO zwingend. Mehrfach wird nun darauf verwiesen, dass gem. Art. 12 Abs. 1 des New Yorker Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954[27] das Recht des Staates, in dem der Staatenlose seinen Wohnsitz hat, als sein Personalstatu...

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