Rz. 61

Auch bei der Anfechtung ist zwischen der Zeit vor und nach dem Erbfall zu unterscheiden.

1. Anfechtung vor dem Erbfall

 

Rz. 62

Für die Anfechtung gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB.[115] Anders als bei einer letztwilligen Verfügung ist ein Motivirrtum unbeachtlich, denn § 2078 BGB gilt nicht.[116] Die Anfechtung kann das abstrakte erbrechtliche Verfügungsgeschäft und/oder ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft unwirksam werden lassen.[117]

 

Rz. 63

Das Anfechtungsrecht des Verzichtenden zu Lebzeiten des Erblassers ist unbestritten.[118] Uneinigkeit besteht über das Anfechtungsrecht des potentiellen Erblassers.

Es könnte die Meinung vertreten werden, es bestehe für eine Anfechtung des Erblassers kein Bedürfnis. Er könne durch eine letztwillige Verfügung den Ausschluss des Erben jederzeit rückgängig machen.

Zutreffender Weise sollte ein Anfechtungsrecht des Erblassers bejaht werden.[119] Ob ein "Bedürfnis" für ein Recht besteht, ist nicht ausschlaggebend für dessen Existenz. Bei einem testierunfähigen Erben ist es zudem nicht möglich, eine neue letztwillige Verfügung zu verfassen. Zudem werden durch einen Erbverzicht auch die Erb- und Pflichtteilsquoten von anderen Personen beeinflusst. Die Anfechtung kann eine Wirkung entfalten, die der Erblasser sonst nicht herbeiführen kann.

[115] Grüneberg/Weidlich, § 2346 Rn 18; Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 103.
[116] MüKo/Wegerhoff, § 2346 Rn 4.
[117] Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 180–185.
[118] Vgl. auch Pentz, MDR 1999, 785.
[119] Pentz, MDR 1999, 785; Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 107 m.w.N. zu beiden Ansichten.

2. Anfechtung nach dem Erbfall

 

Rz. 64

Ob der Verzichtende noch nach dem Erbfall anfechten darf, ist höchst umstritten.[120]

Die überwiegende Meinung verneint das Anfechtungsrecht.[121] Das Hauptargument ist die Rechtssicherheit. Durch den Erbverzicht werden die Erbfolge und/oder Erbquoten geändert. Allerdings kommen in diesen Fällen Schadensersatzansprüche in Betracht, etwa nach § 826 BGB.[122]

Die Gegenmeinung bejaht das Fortbestehen des Anfechtungsrechts.[123] Es sei auch ein Gebot der Rechtssicherheit, eine begründete Anfechtung – etwa wegen arglistiger Täuschung oder Drohung – nicht zu verhindern. Außerdem könne auch eine Bedingung erst nach dem Tod des Erblassers eintreten.

Nach Pentz soll das Anfechtungsrecht des Verzichtenden nicht vererblich sein, da es höchstpersönlich sei. Die Anfechtung nach dem Tod des Verzichtenden sei daher ausgeschlossen.[124]

[120] Schon im Jahr 1999 konnte Pentz, MDR 1999, 785 sieben Nachweise für die eine und ebenso viele für die andere Meinung aufzählen.
[121] Grüneberg/Weidlich, § 2346 Rn 18 m.w.N; Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 106 (mit abweichender Argumentation); BayObLG ZEV 2006, 209 – dazu krit. Anm. von Damrau, MittBayNot 2006, 253; OLG Celle ZEV 2004, 156; OLG Koblenz NJW-RR 1993, 708; OLG Schleswig ZEV 1998, 28, 30.
[122] Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 109, 179; Grüneberg/Weidlich, § 2346 Rn 18; OLG Koblenz NJW-RR 1993, 708 = FamRZ 1993, 1498: "schuldrechtlicher Anspruch auf Wertersatz".
[123] Muscheler, ZEV 1999, 49; Mittenzwei, 1. Aufl. 2006, Kap. 22 Rn 45 (nach dem eine Anfechtung nach § 119 BGB wegen Irrtums aber nur das Kausalgeschäft beträfe).
[124] Pentz, MDR 1999, 785; anders Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 107.

3. Anfechtungsgrund

 

Rz. 65

Als Anfechtungsgrund kommt auch ein Irrtum über wertbildende Merkmale oder den Bestand des gegenwärtigen Vermögens des Erblassers in Betracht.[125] Bei notarieller Aufklärung könnten relevante Irrtümer aber schwer darzulegen sein.[126] Spätere Entwicklungen im Vermögen des Erblassers sind bei diesem Risikogeschäft unbeachtlich.[127]

Ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft, wie die Bebaubarkeit eines Grundstückes, kann eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB rechtfertigen, nicht aber bei nicht verkehrswesentlichen Eigenschaften.[128] Eine enttäuschte Erwartung, wie die der späteren Hofübernahme, genügt nicht.[129]

[125] Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 177.
[126] So Ludyga, Inhaltskontrolle, § 4 Rn 4.
[127] BGH NJW 1997, 653; LG Coburg FamRZ 2009, 461; Ludyga, Inhaltskontrolle, § 4 Rn 5; Staudinger/Schotten, § 2346 Rn 178.
[128] Vgl. Lange/Horn, ZEV 2019, 381, 383.
[129] AG Ahaus ZErb 2018, 174.

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