Rz. 275
Mit wachsendem Einfluss der alternativen Medizin stellt sich zunehmend die Frage nach der Erstattungsfähigkeit von alternativen Präparaten und alternativer Heilbehandlung, insbesondere des Naturheilverfahrens.
Rz. 276
Die inzwischen gefestigte Rechtsprechung, die von der schon oben aufgeführten Entscheidung des BGH[158] ausging, sieht den Ausgangspunkt nunmehr in der Eignung einer Behandlungsmethode: Die Wirkungsweise muss auf medizinischen Erkenntnissen beruhen und sie muss sich in der Praxis bewährt haben, d.h. die Heilbehandlung muss eine medizinisch begründbare Aussicht auf Heilung oder Linderung haben. Dies ist der Fall, wenn die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen zum Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, die Verschlimmerung der Krankheit zu verhindern oder jedenfalls zu verlangsamen. Es reicht dabei aus, dass die Behandlung mit nicht nur ganz geringen Erfolgsaussichten die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt.[159] Dabei wird der Spielraum für alternative Vorgehensweisen umso größer, je geringer die Aussichten anerkannter Behandlungsmethoden sind.[160]
Rz. 277
Wenn es zum Zeitpunkt der Behandlung einer inkurablen Krankheit keine unbestritten wirksame Behandlungsmethode gibt, die auch nur geeignet ist, die Verschlimmerung der Erkrankung zu verhindern, kommt jeder durchgeführten Behandlung zwangsläufig Versuchscharakter zu, für die der Nachweis medizinischer Richtigkeit nicht geführt werden kann. Dies schließt die Annahme einer medizinischen Notwendigkeit einer solchen Behandlung nicht von vornherein aus. Die gewählte Behandlungsmethode muss jedoch auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruhen, der die prognostizierte Wirkungsweise der Behandlung auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag.
Rz. 278
Die Frage, ob die Behandlungsmethode auf Erkenntnissen der Schulmedizin oder der sog. alternativen Medizin aufbaut, ist unerheblich. Ebenso wenig ist erheblich, ob die Behandlungsmethoden in der wissenschaftlichen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert sind oder nicht. Es ist vielmehr zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung davon ausgegangen werden kann, dass die Behandlungsmethode angesichts der unheilbaren Erkrankung vertretbar und wenigstens geeignet ist, eine Verschlimmerung der Erkrankung wahrscheinlich zu verhindern.
Entscheidendes Kriterium ist also die Eignung der Behandlungsmethode.
Rz. 279
Zu beachten ist jedoch die in neueren Verträgen zumeist enthaltene sog. Schulmedizinklausel (vgl. Rdn 491 ff.), die auch ein Kürzungsrecht auf die Kosten vorhandener schulmedizinischer Behandlung enthält.
Rz. 280
Die Entwicklung der Rechtsprechung geht dahin, die etablierte Richtung der alternativen Medizin der Schulmedizin gleichzusetzen. Eine völlige Vergleichbarkeit beider medizinischer Richtungen im Hinblick auf Wirksamkeit und Erfolg ist indes nicht möglich, da es insoweit an einschlägigen Untersuchungen und Dokumentationen fehlt.
Rz. 281
Problematisch ist, ob eine nach der Vertretbarkeitslehre ex ante ungeeignete Methode eine medizinisch notwendige Heilbehandlung ist, wenn sie tatsächlich Erfolg gehabt hat.[161] Hiermit würde man dem Versicherungsnehmer umgekehrt auch das Risiko der Erfolglosigkeit aufbürden, was eine negative Folge dieses Verfahrens wäre. Deshalb ist die Lösung in der Beurteilung ex ante zu sehen, wodurch die Kosten der Behandlungsmethoden der Versicherer auch dann tragen muss, wenn sie in concreto keinen Erfolg hatten. Dies ist der Sinn des Abstellens auf die Eignung ex ante. Hatte die Behandlung Erfolg, so hat sie sich zwar im Einzelfall als geeignet erwiesen; eine rückwirkende Leistungsverpflichtung des Versicherers folgt hieraus allerdings nicht.
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