aa) Allgemeines

 

Rz. 819

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt es oft vor, dass der Arbeitnehmer erklärt oder erklären soll, keine Ansprüche mehr aus dem Arbeitsverhältnis ggü. dem Arbeitgeber zu haben (hierzu Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 141 ff.). Darüber hinaus gibt es in der Praxis häufig Formulierungen, wonach beide Arbeitsvertragsparteien entsprechende Ansprüche für erledigt erklären. Für derartige Erklärungen oder gar Verzichtserklärungen hat sich der Begriff der Ausgleichsquittung durchgesetzt. Die rechtliche Qualität solcher Vereinbarungen ist nicht festgelegt. Es hängt nämlich vom Inhalt der Erklärung ab, ob die Arbeitsvertragsparteien einen Vergleich gem. § 779 Abs. 1 BGB vereinbart haben, von einem Erlassvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB auszugehen ist oder schließlich das Vorliegen eines deklaratorischen, negativen Schuldanerkenntnisses anzunehmen ist. Ein konstitutives, negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB), läge vor, wenn die Parteien alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen bringen wollten. Eine Verzichtsklausel stellt immer ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis dar (BAG v. 24.2.2016 – 5 AZR 258/14). Darüber hinaus ist die Rspr. der Ansicht, dass ein sog. deklaratorisches Schuldanerkenntnis über eine Schadensersatzforderung, welches in einem vorformulierten Vertrag vorhanden ist, wirksam ist (BAG v. 21.4.2016 -8 AZR 474/14; zur weiteren Einordnung Leitmeier, NZA 2017, 227 ff.).

bb) Wirksamkeitsvoraussetzungen

 

Rz. 820

Vor der Schuldrechtsreform und der Einführung der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht zweifelte insb. die Rspr. nicht an der Wirksamkeit von Ausgleichsquittungen (BAG v. 9.11.1973, AP BGB § 242 Ruhegehalt Nr. 163; BAG v. 27.2.1990, AP BetrVG § 1 Vordienstzeiten Nr. 13; BAG v. 16.9.1974, AP BGB § 630 Nr. 9; LAG München, 24.4.1997 – 2 Sa 1004/96, BB 1998, 269). Im Ausgangspunkt muss es aber bei der Wirksamkeit von Ausgleichsquittungen auch nach Geltung der neu geschaffenen §§ 305 ff. BGB bleiben. Besondere Klauselverbote nach den §§ 308, 309 BGB stehen ihrer Vereinbarung nicht entgegen. Andererseits ist § 307 Abs. 1 S. 1 BGB deshalb zu beachten, weil einseitig belastende Ausgleichsquittungen für den Arbeitnehmer unangemessen und damit nach der AGB-Kontrolle unwirksam wären. Dies wäre dann anzunehmen, wenn der Anspruchsverzicht alleine den Arbeitnehmer treffen würde und die damit verbundenen Nachteile auch nicht z.B. durch die Zahlung einer Abfindung ausgeglichen würden (LAG Düsseldorf v. 13.4.2005 – 12 Sa 154/05, DB 2005, 1463, 1465; LAG Schleswig-Holstein v. 24.9.2003, NZA-RR 2004, 74, 75). Soll der Arbeitnehmer auf alle möglichen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, verzichten, so ist dies als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis nur durch eine echte Individualvereinbarung möglich. Damit würde aber eine Inhaltskontrolle nur in einem sehr eingeschränkten Umfang stattfinden können. Es gelten allenfalls die Grenzen des zwingenden Gesetzesrechtes sowie die Prüfungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Privatautonomie. Entsprechendes muss auch für den Abschluss eines Arbeitsvertrages gelten. Auch dieser könnte ohne kompensatorische Leistung des Arbeitgebers formularvertraglich nicht wirksam vereinbart werden, er benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen. Würde dagegen der Arbeitnehmer auf ein anteiliges 13. Monatsgehalt verzichten, dann soll dies eine bloße Leistungsbeschreibung sein, die nach § 307 Abs. 3 BGB keiner AGB-Kontrolle unterfällt (BAG v. 28.7.2004, BB 2004, 2134). Wenn aber der Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber außerhalb eines Aufhebungsvertrags oder eines Prozessvergleichs vorformulierte Ausgleichsquittung unterzeichnet, kommt seiner etwaigen Willenserklärung allenfalls die Bedeutung eines deklaratorischen negativen Schuldanerkenntnisses zu (BAG v. 23.10. 2013 – 5 AZR 135/12).

 

Rz. 821

Übermäßig strenge Anforderungen sind an Ausgleichsquittungen auch i.R.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB nicht anzunehmen. Eine allgemeine Ausgleichsklausel, nach welcher sämtliche Ansprüche "gleich nach welchem Rechtsgrund sie entstanden sein mögen, abgegolten und erledigt sind", wird nicht Vertragsinhalt, wenn der Verwender sie in eine Erklärung mit falscher oder missverständlicher Überschrift ohne besonderen Hinweis oder drucktechnische Hervorhebung einfügt (BAG v. 23.2.2005 – 4 AZR 139/04). Dagegen ist eine Verfallklausel überraschend, wenn sie im vorletzten Paragrafen eines umfangreichen Arbeitsvertrages mit insgesamt 19 Paragrafen unter der Überschrift "Schlussbestimmungen" enthalten ist und in diesen Schlussbestimmungen zu Nr. 1–3 eine salvatorische Klausel, eine Schriftformklausel und ein Hinweis auf die Rechtsfolgen unwirksamer Bestimmungen aufgeführt sind, unter Nr. 4 dann eine Ausschlussfrist vorgesehen ist und sich hieran eine Regelung über die Verpflichtung zur Mitteilung aller Änderungen der persönlichen Umstände anschließt. Mit einer solchen Regelung muss ein verständiger Arbeitnehm...

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