Rz. 360

Der wirtschaftliche Zweck einer Gratifikation kann unterschiedlicher Natur sein. Gratifikationen haben zwar grds. Entgeltcharakter. Der Entgeltzweck kann jedoch unterschiedlich ausgestattet sein. In aller Regel dient die Gratifikation der Anerkennung für geleistete Dienste und verleiht der Verbundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer Ausdruck. Sie kann eine zusätzliche Vergütung für die im Bezugsjahr geleistete Arbeit, Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachte Betriebstreue und/oder ein Anreiz für zukünftige Betriebstreue sein. Diese Zwecke können einzeln oder gemeinsam der Sonderleistung des Arbeitgebers zugrunde liegen (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG v. 27.6.2018 – 10 AZR 290/17, Rn 24; BAG v. 21.1.2014 – 9 AZR 134/12).

 

Rz. 361

Welcher Zweck im Einzelfall mit einer Sonderzahlung verfolgt wird, ist durch Auslegung der konkreten Leistungszusage durch die ArbGe zu ermitteln. Auch im Fall tariflicher Sonderzahlungen ergibt sich der Zweck aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird (BAG v. 21.1.2014 – 9 AZR 134/12).

 

Rz. 362

Je nach Anspruchsgrundlage kommen daher verschiedene Auslegungsprinzipien zur Anwendung. Für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen finden grds. die für Gesetze maßgeblichen Auslegungsregeln Anwendung (st. Rspr., vgl. BAG v. 30.1.2019 – 10 AZR 406/18; BAG v. 12.11.2013 – 1 AZR 475/12). Danach gebührt im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. etwa BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 83/12). Demgegenüber unterliegen arbeitsvertragliche Zusagen der Auslegung von Willenserklärungen nach den §§ 133, 157 BGB i.V.m. der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Für die Prüfung von Formularverträgen gilt dabei allerdings, dass dessen Bestimmungen nach den Regelungen über AGB auszulegen sind. AGB werden von den ArbGen, auch in der Revisionsinstanz, selbstständig nach den Grundsätzen der Auslegung von Normen ausgelegt (BAG v. 14.12.2011 – 4 AZR 26/10). Nach der Rspr. des BAG sind AGB-Klauseln nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BAG v. 24.9.2014 – 5 AZR 1024/12). Wiederum andere Auslegungsgrundsätze greifen bei "einseitig-kollektiven Tatbeständen", also der Gesamtzusage und der betrieblichen Übung. Nach der Rspr. des BAG ist maßgeblich, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte (§ 242 BGB) und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften (vgl. BAG v. 12.8.2014 – 3 AZR 82/12).

 

Rz. 363

Die der Sonderzahlung zugrunde gelegte Zweckbestimmung lässt sich nicht ausschließlich der Leistungsbezeichnung entnehmen. Zwar entspricht es schon dem allgemeinen Sprachgebrauch und einem verbreiteten Verständnis im Arbeitsleben, dass eine als "Weihnachtsgeld" bezeichnete Leistung eben nur zu Weihnachten gezahlt wird. Dabei kann in der Bezeichnung "Weihnachtsgeld" nicht nur die Bestimmung eines Fälligkeitszeitpunktes liegen, sondern in ihr kann auch eine besondere Zweckbestimmung zum Ausdruck kommen, nämlich eine Weihnachtsfreude zu bereiten und einen Beitrag zu den vermehrten Ausgaben im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest zu leisten (BAG v. 30.3.1994 – 10 AZR 134/93; BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 667/10; LAG Köln v. 12.1.2017 – 7 Sa 618/16). Die Vereinbarung der Zahlung einer Weihnachtsgratifikation lässt sich oftmals aber auch dahingehend auslegen, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt nicht Anspruchsvoraussetzung ist und ein (anteiliger) Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation auch dann besteht, wenn das Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt nicht mehr besteht (BAG v. 21.12.1994 – 10 AZR 832/93).

(1) Arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlungen

 

Rz. 364

Die Auslegung des Arbeitsvertrages kann ergeben, dass es sich bei der Sonderzahlung, z.B. einem 13. Monatsgehalt, um einen "echten" Vergütungsbestandteil handelt, der damit Teil der Gegenleistung für die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist, § 611a Abs. 2 BGB. In diesem Fall ist die Sonderzahlung in das vertragliche Austauschverhältnis von Vergütung und Arbeitsleistung eingebunden. Das bedeutet gleichzeitig, dass ohne weitere ausdrückliche Vereinbarung der Parteien diese Sonderzahlung dann auch keinen weitergehenden Zweck verfolgt und damit auch nicht an andere Voraussetzungen geknüpft ist. Da die Arbeitsleistung Anspruchsvoraussetzung ist, entsteht kein Anspruch auf das anteilige 13. Monatsgehalt für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, in denen kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG besteht (BAG v. 21.3.2001 – 10 AZR 28/00). Nach ...

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