Entscheidungsstichwort (Thema)

Weihnachtsgratifikation bei vorzeitigem Ausscheiden

 

Leitsatz (redaktionell)

Es ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht hier – anders als im Fall der Entscheidung des Senats vom 30. März 1994 (– 10 AZR 134/93 –) – die einzelvertragliche Vereinbarung über die Weihnachtsgratifikation dahin ausgelegt hat, der Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt sei nicht Anspruchsvoraussetzung.

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.04.1993; Aktenzeichen 5 (8) Sa 879/92)

ArbG Koblenz (Urteil vom 22.09.1992; Aktenzeichen 6 Ca 1035/92 N)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. April 1993 – 5 (8) Sa 879/92 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer anteiligen Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1991.

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. März 1988 bis zum 30. September 1991 als Mitglied der Geschäftsleitung für die Wahrnehmung von Sonderaufgaben beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung der Beklagten.

Ziffer 3 des schriftlichen Anstellungsvertrages vom 23. Januar 1988 enthält hinsichtlich der Bezüge einschließlich der hier im Streit stehenden Weihnachtsgratifikation folgende Regelung:

„3. Bezüge:

Der Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit folgende Bezüge:

  1. ein festes Monatsgehalt von brutto DM 6.500,– für die ersten drei Monate nach Vertragsbeginn, danach brutto DM 7.000,–, fällig am Ende des jeweiligen Kalendermonats,
  2. eine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehalts, auszuzahlen mit dem Novembergehalt,
  3. Urlaubsgeld und Vermögensbildende Leistungen gemäß betrieblicher Übung.”

Mit seiner Klage vom 5. August 1992 begehrt der Kläger die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für 1991. Er ist der Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet, ihm die Weihnachtsgratifikation 1991 anteilig für neun Monate (1. Januar bis 30. September) in der unstreitigen Höhe von 5.894,25 DM brutto zu zahlen, da es sich dabei um verdientes Arbeitsentgelt handele. Daß das Arbeitsverhältnis auch noch zum Auszahlungszeitpunkt bestanden haben müsse, sei nicht Anspruchsvoraussetzung. Soweit Ziffer 3 des Anstellungsvertrages bestimme, daß die Weihnachtsgratifikation mit dem Novembergehalt auszuzahlen sei, betreffe dies lediglich die Fälligkeit.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.894,25 DM brutto nebst 14,5 % Zinsen hieraus seit dem 9. April 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Weihnachtsgratifikation sei nicht Vergütung für geleistete Arbeit, sondern solle dazu dienen, die Mehraufwendungen anläßlich des Weihnachtsfestes auszugleichen. Es sei daher generell üblich gewesen und auch so praktiziert worden, daß die Arbeitnehmer die Weihnachtsgratifikation nur bei Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungstermin erhielten. Die Weihnachtsgratifikation diene auch der Abgeltung zukünftiger Betriebstreue und sei daher nicht bei einem Ausscheiden am 30. September des laufenden Jahres zu zahlen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, daß dem Kläger lediglich 4 % Zinsen zustehen. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen erkannt, daß dem Kläger die geltend gemachte anteilige Weihnachtsgratifikation zusteht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf die anteilige Weihnachtsgratifikation 1991 in Höhe von 5.894,25 DM brutto folge aus § 611 Abs. 1 BGB in Verb. mit Ziffer 3 b) des Anstellungsvertrages der Parteien vom 23. Januar 1988. Die Beklagte habe danach dem Kläger als Vergütung eine jährliche einmalige Sonderzuwendung in Form einer Weihnachtsgratifikation zu zahlen. Werde die Zahlung einer solchen Jahresleistung ohne weitere Voraussetzungen des Anspruchs zugesagt, sei im Zweifel davon auszugehen, daß lediglich eine zusätzliche Vergütung für die geleistete Arbeit innerhalb des Bezugsjahres bezweckt werde und somit der Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag oder seine Fortdauer über diesen Zeitpunkt hinaus nicht erforderlich sei. Auch die Bezeichnung der Sonderzahlung im Anstellungsvertrag vom 23. Januar 1988 als „Weihnachtsgratifikation” bedeute nicht, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien noch zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Leistung bestanden haben müsse. Nach der Formulierung des Anstellungsvertrages sei die dem Kläger zugesagte Weihnachtsgratifikation vielmehr Teil seiner Bezüge, der mit dem Novembergehalt ausgezahlt werde. Soweit die Beklagte behaupte, bei ihr sei es generell üblich gewesen und auch so praktiziert worden, daß eine Weihnachtsgratifikation nur bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungstermin bezahlt werde, habe dies im Arbeitsvertrag der Parteien keinen Niederschlag gefunden.

Diese Auslegung des Arbeitsvertrages durch das Landesarbeitsgericht hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

II. Der Kläger kann die anteilige Zahlung der Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1991 verlangen.

1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber, der eine Gratifikation zusagt, die Voraussetzungen bestimmen, unter denen der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Gratifikation haben soll. Dabei kann er insbesondere festlegen, daß die Gratifikation nur solchen Arbeitnehmern gezahlt wird, die zu einem bestimmten Stichtag noch in einem Arbeitsverhältnis zum Betrieb stehen. Nach der Auslegung des Anstellungsvertrages vom 23. Januar 1988 durch das Landesarbeitsgericht enthält Ziffer 3 Buchstabe b) eine solche Bestimmung jedoch nicht. Wenn in Ziffer 3 Buchstabe b) des Anstellungsvertrages geregelt sei, daß die Weihnachtsgratifikation mit dem Novembergehalt auszuzahlen sei, sei dies lediglich eine Fälligkeitsabrede, die keinen Hinweis darauf gebe, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien auch noch im November bestanden haben müsse.

Das Landesarbeitsgericht hat damit die vertragliche Regelung dahin ausgelegt, weder aus der Bezeichnung der Sonderleistung als Weihnachtsgratifikation noch aus der Regelung der Auszahlung dieser Weihnachtsgratifikation mit dem Novembergehalt folge, das Arbeitsverhältnis der Parteien müsse im November noch bestanden haben.

2) Die Auslegung einzelvertraglicher Vereinbarungen obliegt den Tatsachengerichten; sie ist in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht nachprüfbar. Das Revisionsgericht kann eine solche Auslegung nur daraufhin überprüfen, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt sind (BAG Urteil vom 27. Juni 1963 – 5 AZR 383/62 – AP Nr. 5 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß), ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet worden ist (BAG Urteil vom 17. April 1970 – 1 AZR 302/69 – AP Nr. 32 zu § 133 BGB) oder ob eine gebotene Auslegung völlig unterlassen worden ist (BAG Urteil vom 4. März 1961 – 5 AZR 169/60 – AP Nr. 21 zu § 611 BGB Gratifikation; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 73 Rz 16; GK-ArbGG/Ascheid, § 73 Rz 36 ff.; Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 73 Rz 16).

a) Nach diesen Grundsätzen ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, Ziffer 3 Buchstabe b) des Anstellungsvertrages vom 23. Januar 1988 verlange den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Auszahlungszeitpunkt (November) nicht. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Anstellungsvertrag insoweit der Auslegung bedarf und hat weder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen; es hat auch den Tatsachenstoff vollständig verwertet, wobei es zu Recht die von der Beklagten behauptete generelle Übung, die Weihnachtsgratifikation nur an Arbeitnehmer auszuzahlen, die zum Auszahlungstermin noch im Arbeitsverhältnis stehen, außer Acht gelassen hat, weil diese Praxis im Wortlaut der Ziffer 3 Buchstabe b) des Anstellungsvertrags keinen Niederschlag gefunden hat. Im übrigen verweist Ziffer 3 des Anstellungsvertrages vom 23. Januar 1988 lediglich hinsichtlich des Urlaubsgeldes und der vermögensbildenden Leistungen auf eine betriebliche Übung.

Für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts spricht zudem die Regelung in Ziffer 3 des Anstellungsvertrages, die unter der Überschrift „Bezüge” im Eingangssatz lautet: „Der Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit folgende Bezüge” und dann unter Buchstabe b) die Weihnachtsgratifikation anführt. Der Entgeltcharakter der Weihnachtsgratifikation zeigt sich auch daran, daß die Beklagte an den Kläger im Eintrittsjahr das „Weihnachtsgeld” anteilig gezahlt hat. Wäre die Ansicht der Beklagten zutreffend, daß es sich um ein schlichtes „Weihnachtsgeld” handelt, hätte sie auch im Eintrittsjahr ein volles Monatsgehalt zahlen müssen.

b) Die Entscheidung des Senats vom 30. März 1994 (– 10 AZR 134/93 – AP Nr. 161 zu § 611 BGB Gratifikation) steht nicht entgegen; danach kann zwar die Zusage der Zahlung eines „Weihnachtsgeldes” durchaus dahin verstanden werden, daß ein Anspruch auf dieses Weihnachtsgeld nur gegeben sein soll, wenn das Arbeitsverhältnis zu Weihnachten noch besteht. Es verstößt jedoch nicht gegen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze, wenn das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der gegebenen arbeitsvertraglichen Bestimmungen und der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. November 1978 (– 5 AZR 358/77 – AP Nr. 100 zu § 611 BGB Gratifikation) zu dem Ergebnis gekommen ist, die Weihnachtsgratifikation diene der zusätzlichen Vergütung für die geleistete Arbeit, weil weitere Voraussetzungen im Anstellungsvertrag vom 23. Januar 1988 nicht aufgestellt sind, so daß insbesondere auch der Bestand des Arbeitsverhältnisses im Auszahlungszeitpunkt nicht erforderlich ist.

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, daß die Regelung in Ziffer 3 Buchstabe b) des Anstellungsvertrages, wonach die Weihnachtsgratifikation mit dem Novembergehalt auszuzahlen ist, dem Anspruch des Klägers nicht entgegensteht. Diese Regelung bestimmt lediglich, daß die Auszahlung der Weihnachtsgratifikation erst fällig wird, wenn das Novembergehalt auszuzahlen ist. Sie kann aber nicht dahin verstanden werden, daß die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation davon abhängig ist, daß ein Novembergehalt auch tatsächlich zu zahlen ist.

Damit hat das Landesarbeitsgericht die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

III, Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Richter Dr. Freitag ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert Matthes, Hauck, Fr. Holze, Lindemann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087136

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