Rz. 399

Insb. im Bereich der Zahlung einer Gratifikation ist anerkannt, dass ein Rechtsanspruch auf Zahlung auch aufgrund betrieblicher Übung entstehen kann. Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus dem Verhalten des Arbeitgebers wird konkludent auf eine Willenserklärung geschlossen, die vom Arbeitnehmer gem. § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst.

 

Rz. 400

Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gem. § 242 BGB und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften (BAG v. 13.5.2015 – 10 AZR 266/14; BAG v. 29. 8. 2012 – 10 AZR 571; BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07). Zwar existiert nach der Rspr. des BAG keine allgemein verbindliche Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen der Arbeitnehmer erwarten darf, dass auch er die Leistung erhält, sobald er die Voraussetzungen erfüllt. Allerdings ist für Gratifikationszahlungen die Regel aufgestellt worden, dass eine dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt. Bei anderen Sozialleistungen ist indes auf Art, Dauer und Intensität der Leistungen abzustellen (BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07; BAG v. 28.6.2006 – 10 AZR 385/05; BAG v. 28.7.2004 – 10 AZR 19/04). Die Frage, ob sich ein außertariflicher Angestellter aufgrund einer betrieblichen Übung darauf verlassen darf, dass der Arbeitgeber sein Gehalt auch in Zukunft auf die gleiche Art und Weise wie bisher erhöht, ist anhand einer Gesamtschau konkreter Anhaltspunkte zu beurteilen (BAG v. 27.2.2019 – 5 AZR 354/19). Beschränkt der Arbeitgeber Entgelterhöhungen nicht auf den Arbeitsverdienst, den er durch die arbeitsvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrags zu zahlen verpflichtet ist, sondern erhöht er zugleich den zusätzlich gewährten übertariflichen Entgeltbestandteil in gleicher Weise wie den tariflichen, kommt es für das Entstehen einer betrieblichen Übung in Bezug auf den übertariflichen Vergütungsanteil allein darauf an, wie die Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen mussten und durften (BAG v. 19.9.2018 – 5 AZR 439/17). Eine Bindung des Arbeitgebers durch betriebliche Übung kann auch bzgl. Einmalleistungen entstehen. Dies gilt insb. für Gratifikationen i.R.d. Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder Versorgungszusagen (BAG v. 27.6.2001 – 10 AZR 488/00).

 

Rz. 401

Ein rechtlich geschütztes Vertrauen der Arbeitnehmer in eine dauerhafte Verpflichtung des Arbeitgebers, eine bestimmte Sonderleistung zu gewähren, kann nicht entstehen, wenn der Arbeitgeber klar und verständlich darauf hinweist, dass aus der Leistung der Sonderzahlung Ansprüche nicht hergeleitet werden können (BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07; BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 274/07; LAG Düsseldorf v. 18.1.2002 – 14 Sa 1339/01). Das BAG hat in Abkehr zu seiner früheren Rspr. nunmehr ausdrücklich entschieden, dass ein Anspruch aus betrieblicher Übung nicht bereits deshalb ausscheidet, weil es bei der Leistung einer Zuwendung in jährlich individuell unterschiedlicher Höhe an einer regelmäßigen gleichförmigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen fehle. Hieraus allein komme gerade nicht der Wille des Arbeitgebers zum Ausdruck, in jedem Jahr neu "nach Gutdünken" über die Zuwendung zu entscheiden (BAG v. 13.5.2015 – 10 AZR 266/14). Vielmehr muss dieses Verhalten so verstanden werden, dass sich der Arbeitgeber nur vorbehalten möchte, jährlich neu über die Höhe der Sonderzahlung zu entscheiden (BAG v. 13.5.2015 – Az. 10 AZR 266/14). Umgekehrt kann allein in der wiederholten Leistungsgewährung in gleicher Höhe keine betriebliche Übung gesehen werden, sofern der Arbeitsvertrag die ausdrückliche Regelung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts vorsieht (BAG v. 23.8.2017 – 10 AZR 97/17).

 

Rz. 402

Eine bestehende betriebliche Übung wirkt sich auch zugunsten der neu in den Betrieb eintretenden Arbeitnehmer aus (BAG v. 10.8.1988 – 5 AZR 571/87), es sei denn, der Arbeitgeber hat ggü. den neu eingetretenen Arbeitnehmern die Leistungen aus der betrieblichen Übung ausdrüc...

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