Rz. 900

In der Praxis spielt immer wieder – zwecks Vermeidung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (sowie zur Vermeidung eines arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerstatus und steuerlicher Unselbstständigkeit) – die Gründung einer (Ein-Personen-Verleih-)UG oder GmbH eine nicht unerhebliche Rolle (vgl. LSG Bayern v. 25.6.2003 – L 17 U 203/02, juris Zwischenschaltung einer GmbH irrelevant). Nach Gründung der Ein-Personen-UG oder GmbH überlässt der alleinige Gesellschaftergeschäftsführer sich selbst im Wege des "Selbstverleihs" an ein Unternehmen. Auftragnehmer ist die zu diesem Zweck gegründete UG oder GmbH, die als juristische Person nicht sozialversicherungspflichtig sein kann. Dabei wird häufig unterschätzt, dass der Gesellschaftergeschäftsführer Arbeitnehmer des beauftragenden Unternehmens im arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Sinn sein kann. Die sog. "UG-Lösung" ist sozialrechtlich noch nicht abschließend vom BSG geklärt (anhängig B 12 R 15/21 R) und erheblich risikobehaftet (vgl. ebenso Rittweger, NZA 2022, 593, 594/595; Zieglmeier, GuP 2022, 177 ff.; s. ferner unten Rdn 906, 908 sowie oben Rdn 806 zur arbeitsrechtlichen Sicht).

 

Rz. 901

 

Praxishinweis zur "Selbstverleih"-GmbH

Vor dem Konstrukt einer "Selbstverleih-Ein-Personen-UG/GmbH" ist bis zur höchstrichterlichen Klärung zu warnen (eindringlich Zieglmeier, GuP 2022, 177, 183).
Dient die Konstruktion in erster Linie der Umgehung sozialversicherungsrechtlicher, arbeitsrechtlicher und/oder steuerlicher Normen, kann es sich um eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung mit entsprechenden arbeitsrechtlichen, sozialversicherungsrechtlichen und steuerlichen Konsequenzen handeln.
Die Folge ist, dass im Zweifel genau die Konsequenzen, die vermieden werden sollen, eintreten.
Die Risiken unzulässiger Gestaltung können über die horrenden Nachzahlungen an die Träger der Sozialversicherung hinaus bis zum Strafrecht gehen (vgl. AG Augsburg v. 18.3.2015 – 25 Ls 502 Js117099/13: 16 Monate Haft auf Bewährung; Dilenge, DB 2015, 2271).

Das Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger v. 1.4.2022 (vgl. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger v. 1.4.2022, Nr. 3.2.10, S.17, www.deutsche-rentenversicherung-bund.de) sieht die Thematik folgendermaßen:

 

Rz. 902

Aufgrund der Gesamtbetrachtung kann auch jemand selbstständig sein, der nur für einen Auftraggeber arbeitet und keine Mitarbeiter beschäftigt. Dies sei insb. der Fall, wenn er für seine Unternehmung bzw. selbstständige Tätigkeit eine besondere amtliche Genehmigung oder Zulassung benötige. So stütze z.B. die Eintragung in die Handwerksrolle die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit. Die Gewerbeanmeldung bzw. die Eintragung in das Gewerberegister oder in das Handelsregister habe dagegen nur schwache Indizwirkung (Rundschreiben v. 1.4.2022, Nr. 3.2.10, Abs. 1).

 

Rz. 903

Ist der Auftragnehmer eine Gesellschaft in Form einer juristischen Person (z.B. AG, SE, GmbH, UG haftungsbeschränkt), schließe dies ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zum Auftraggeber grds. aus. Der Ausschluss eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses wirke jedoch nur auf die Beurteilung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer, nicht jedoch auf die Frage, ob die in der Gesellschaft Tätigen Arbeitnehmer dieser Gesellschaft sein können (Rundschreiben v. 1.4.2022, Nr. 3.2.10, Abs. 2).

 

Rz. 904

Ist der Auftragnehmer eine rechtsfähige Personengesellschaft (z.B. OHG, KG, GmbH & Co. KG, Partnerschaftsgesellschaft, GbR), schließe dies ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zum Auftraggeber im Regelfall ebenfalls aus. Dies gelte jedoch nicht, wenn im Einzelfall die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung mit entsprechender Weisungsgebundenheit ggü. den Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit überwiegen. Die gleiche Beurteilung gilt grds. auch, sofern es sich bei dem Auftragnehmer um eine Ein-Personen-Gesellschaft (z.B. Ein-Personen-GmbH bzw. Ein-Personen-Ltd.) handelt (Rundschreiben v. 1.4.2022, Nr. 3.2.10, Abs. 3).

 

Rz. 905

So kam das Hessische SG im Fall eines gelernten Stahl- und Betonbauers, der wie ein Architekt oder Ingenieur als Projektleiter für verschiedene Auftraggeber tätig war, und dies als 100 % Shareholder und Generalbevollmächtigter einer Personengesellschaft englischen Rechtes, zu dem Ergebnis, dass derartige Tätigkeiten typischerweise nicht von abhängig Beschäftigten ausgeführt werden (vgl. Hessisches LSG v. 20.3.2008 – L 1 KR 153/04, n.v.).

 

Rz. 906

Allerdings kann insb. bei typischen Beschäftigungsverhältnissen – wie bei den nicht programmgestaltenden Mitarbeitern in der Film-Fernsehproduktion – die Gründung einer Ein-Personen-GmbH oder Ein-Personen-Ltd. nicht zur Umgehung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses führen. Beurteilt nach den maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen sind diese Personen vielmehr weisungsgebunden in die Arbeitsorganisation der Unternehmen eingegliedert. Ein Arbeitnehmer kann – anders als ein Arbei...

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