Rz. 989

Verjährt sind die Nachentrichtungsansprüche gem. § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (vgl. auch BSG v. 27.4.2010 – B 5 R 8/08 R, NZS 2011, 307). Zu beachten ist, dass die Verjährungsfrist nicht schon mit der Fälligkeit der Beitragsansprüche beginnt. Vielmehr beginnt sie erst nach dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Fälligkeit eingetreten ist. Dies bedeutet, dass die Verjährung immer zum 31. Dezember des entsprechenden Jahres verjährt.

 

Rz. 990

Allerdings gilt die vierjährige Verjährungsfrist dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Beiträge vorsätzlich hinterzogen hat. Dann beträgt die Verjährungsfrist gem. § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV 30 Jahre (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen v. 28.2.2018 – L 2 R 258/17; LSG Niedersachsen-Bremen v. 1.11.2017 – L 2 R 227/17; BSG v. 24.3.1983, DAngVers 1983, 339). Für die Verlängerung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre genügt bedingt vorsätzliches Handeln (vgl. BSG v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, juris Rn 15 u. 16; BSG v. 9.11.2011 – B 12 R 18/09 R, DStR 2012, 662 ff., 666 = SGb 2012, 26). Dies bedeutet ein hohes Risiko (vgl. Rittweger, NZA 2016, 338 nur Mord verjährt später), da es für die Annahme der 30-jährigen Verjährungsfrist ausreicht, wenn der Beitragspflichtige seine Beitragspflicht für möglich gehalten hat, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (vgl. BSG v. 30.3.2000 – B 12 KR 14/99 R, NZA 2000, 876 = NZS 2000, 515; BSG v. 21.6.1990 – 12 RK 13/89, Die Beiträge 1991, 112 = DB 1992, 2090). Bloße Fahrlässigkeit schließt jedoch die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist aus. Dies gilt auch für die Form der “bewussten Fahrlässigkeit“, bei welcher der Handelnde die Möglichkeit der Pflichtverletzung zwar erkennt, jedoch – im Gegensatz zum bedingt vorsätzlich Handelnden, der den Erfolg billigend in Kauf nimmt – darauf vertraut, die Pflichtverletzung werde nicht eintreten (vgl. BSG v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R, juris Rn 64 m.w.N.).

 

Rz. 991

Der Sozialversicherungsträger muss grds. den Vorsatz für die 30-jährige Verjährung nachweisen. Die Feststellungslast (Beweislast) für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft (vgl. BSG v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R, juris Rn 64 m.w.N.). Dabei kann zu berücksichtigen sein, dass Fehler bei der Beitragsentrichtung, insb. bei wenig verbreiteten Nebenleistungen, bei denen die Steuer- und die Beitragspflicht in komplizierten Verfahren geregelt sind und nicht voll übereinstimmen, nicht selten nur auf fahrlässiger Rechtsunkenntnis beruhen, zumal wenn es sich um kleine Betriebe handelt, bei denen der Arbeitgeber die Beitragsberechnung ohne Fachpersonal selbst vornimmt (vgl. BSG v. 30.3.2000 – B 12 KR 14/99 R, NZA 2000, 876 = NZS 2000, 515; Bay. LSG v. 5.12.2006 – L 5 KR 63/06, n.v.; Bay. LSG v. 24.2.2000 – L 4 KR 84/99, DB 2002, 904 Architekt). Der Vorsatz muss weder von Beginn an noch während der gesamten Verjährungsfrist vorliegen. Ausreichend ist, dass der Betroffene zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist zumindest mit bedingtem Vorsatz die Beiträge vorenthalten hat. Dementsprechend hat das BSG entschieden, dass es für die lange Verjährungsfrist genüge, wenn der Vorsatz des Beitragsschuldners spätestens bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist vorliege (vgl. BSG v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, juris; BSG v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R, juris; BSG v. 30.3.2000, NZA 2000, 876 = BuW 2001, 702 sowie BGH v. 20.3.2003, NJW-RR 2003, 966).

 

Hinweis

1. Die 30-jährige Verjährungsfrist ist nach der Rspr. des BSG auch dann anzuwenden, wenn ein anfänglichen gutgläubiger Beitragsschuldner vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist bösgläubig geworden ist (vgl. BSG v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, juris; BSG v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R, juris).
2. In Ausnahmefällen kann, wenn keine Verjährung eingetreten ist, das Rechtsinstitut der Verwirkung (§ 242 BGB) der Beitragsnachforderung entgegenstehen (vgl. LSG Hessen v. 21.8.2006 – L 1 KR 366/02, AuA 2007, 57; BSG v. 14.7.2004, NZS 2005, 538).
 

Rz. 992

Mit dem 4. Euro-Einführungsgesetz v. 21.12.2000 (BGBl I, 1983 ff.) hat der Gesetzgeber in § 25 Abs. 2 SGB IV eine spezielle Verjährungshemmung für den Bereich der Betriebsprüfung geschaffen. Mit der Neuregelung wird die Verjährung der Beitragsforderung für die Dauer der Betriebsprüfung gem. § 25 Abs. 2 S. 2 SGB IV gehemmt.

 

Rz. 993

 

Praxishinweis zum sozialversicherungsrechtlichen Risiko

Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV ist unter dem Aspekt des bedingten Vorsatzes besonders zu gewichten.
Das Für-Möglich-Halten einer Beitragspflicht bei der gleichzeitigen billigenden Inkaufnahme der Nichtabführung von Beiträgen ist von der (nur) fahrlässigen Rechtsunkenntnis sorgsam abzugrenzen.
Es empfiehlt sich daher unbedingt, wegen der großen Risiken rechtzeitig ein Erwerbsstatusverfahren nach § 7a SGB IV durchzuführen.

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