Rz. 1453

Erweist sich eine Beschränkung der Grundfreiheit weder immanent noch als vorgegeben, kann sie gleichwohl nur dann bei der Prüfung des Vorliegens eines Arbeitnehmerstatus berücksichtigt werden, wenn sie in rechtlich verbindlicher Weise die Befugnis der Vertriebsperson einschränkt, Zeit und Inhalt ihrer Tätigkeit im Wesentlichen selbst festzulegen. Erforderlich ist daher, dass die Beschränkung der Freiheiten des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB rechtlichen Bestand hat (BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, EversOK Ls. 26; LAG Nürnberg v. 26.1.1999 – 7 Sa 658/98, EversOK Ls. 15 = BB 1999, 793). Dies ist nicht gegeben, wenn die Beschränkung wegen Verstoßes gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen unverbindlich ist. Insoweit sind vor allem Verstöße gegen zwingende Vorschriften des Handelsvertreterrechts gegen §§ 305 ff. BGB oder gegen allgemeine Verbotsgesetze zu prüfen. Unerheblich sind auch formularvertragliche Beschränkungen, die ein Handelsvertreter in Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB nicht gegen sich gelten lassen muss. Bei einer unklaren Klausel verdient stets die Auslegung den Vorzug, die für die Vertriebsperson günstiger ist, sie also weniger in ihren Freiheiten aus § 84 Abs. 1 S. 2 HGB beschränkt (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 105 zu § 5 AGBG = BB 1999, 793). Sieht der Vertrag z.B. vor, dass die Vertriebsperson auftragsbezogenen Weisungen nachkommen muss, wird die damit dem Unternehmer eingeräumte Befugnis, Weisungen zu erteilen, nicht über das gesetzlich beim Handelsvertreter zulässige Maß hinaus ausgedehnt. Der vertretene Unternehmer kann sein Weisungsrecht nach Maßgabe der §§ 675, 665 BGB also nur in der Weise ausüben, dass die Rechte der Vertriebsperson zur Tätigkeitsgestaltung und Arbeitszeitbestimmung nicht wesentlich beeinträchtigt werden (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 113 = BB 1999, 793).

 

Rz. 1454

Ist eine Vereinbarung oder Weisung unwirksam oder nichtig, braucht sie der Handelsvertreter nicht zu befolgen (zur Rechtslage bei unberechtigten Weisungen vgl. im Einzelnen Evers/v. Manteuffel, Die Pflichten des Versicherungsvertreters, S. 37). Eine rechtswidrige und daher unverbindliche Weisung gestaltet die rechtlichen Befugnisse i.S.d. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB nicht (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 32 = BB 1999, 793). Er kann mit den Mitteln der Rechtsordnung gegen sie vorgehen. Auf diese Weise wird er vor Einschränkungen seiner Tätigkeits- bzw. Arbeitszeitbestimmungsfreiheit geschützt.

Die besonderen Schutz- und Abwehrrechte des Handelsvertreters und die sie ergänzenden Schutzbestimmungen des Zivilrechts, insb. des AGB-Rechts, verdrängen insoweit den allgemeinen Schutz des Arbeits- und Sozialrechts. Eine unwirksame Beschränkung der Freiheiten der Vertriebsperson nach § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ist schon wegen ihrer Unverbindlichkeit nicht geeignet, konstituierende Wirkung für das Vorliegen eines Vertragstypus zu entfalten (vgl. BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, EversOK Ls. 26; LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. = BB 1999, 793; ArbG Nürnberg v. 4.2.1998 – 4 Ca 3971/97, EversOK Ls. 39; wohl auch Hanau/Strick, DB Beil. Nr. 14/98, 9). Sofern der Unternehmer unberechtigte Weisungen erteilt, kann der Handelsvertreter deren Befolgung ablehnen. Hieraus können sich keine negativen Rechtsfolgen für den Handelsvertreter ergeben, weil er nicht zum Handeln verpflichtet ist (BAG v. 21.1.1966, NJW 1966, 902 = EversOK Ls. 17). Auch eine angestellte Vertriebskraft ist an eine unbillige Weisung nicht gebunden, da diese rechtsunwirksam und somit unverbindlich ist (BAG v. 14.6.2017 – 10 AZR 330/16 (A), juris Rn 58; a.A. BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11).

 

Rz. 1455

Dagegen handelt es sich um eine tatsächliche Beschränkung der Freiheiten des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB, wenn die Parteien eine unwirksame Regelung im gegenseitigen Einvernehmen praktizieren oder die Vertriebsperson entsprechende Weisungen befolgt. In diesem Fall ist aber nicht stets von einer Vertragsänderung auszugehen. Erforderlich ist zum einen, dass der Unternehmer die Weisung mit dem Anspruch erteilt hat, deren Befolgung auch künftig zu erwarten (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 36 = BB 1999, 793). Zum anderen setzt eine Einigung über die Änderung des Vertrages voraus, dass der Handelsvertreter die unberechtigte Weisung vorbehaltlos umsetzt (Evers/v. Manteuffel, Die Pflichten des Versicherungsvertreters, S. 37). Nimmt der Unternehmer den Handelsvertreter auf eine nach dem Agenturvertrag nicht geschuldete Verpflichtung in Anspruch, liegt darin regelmäßig das Angebot auf eine entsprechende Änderung des Vertrages (OLG Karlsruhe v. 28.10.1975 – 8 U 40/75, EversOK Ls. 3). Bloßen "ad-hoc-Einigungen" bei der Durchführung eines Dauerschuldverhältnisses zwischen Unternehmer und Vertriebsperson, die die Befolgung einer einzelnen vom Vertrag nicht gedeckten Weisung oder die Erfüllung eines vom Unternehmer geäußerten Wunschs zum Gegenstand haben, kommt dagegen diese Bedeutung nicht zu. Zu ihnen zählen z.B. Einigungen über einen einze...

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