Entscheidungsstichwort (Thema)

selbständiger Versicherungsvertreter

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Entscheidung der Frage, ob der für eine Versicherungsgesellschaft arbeitende Versicherungsvermittler selbständiger Versicherungsvertreter (§ 92 i.V.m. § 84 Abs. 1 HGB) oder Angestellter ist, sind alle Umstände des Falles in Betracht zu ziehen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Dabei kommt der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses wesentliche Bedeutung zu.

Anknüpfungspunkte für die Selbständigkeit eines Versicherungsvermittlers sind seine Weisungsfreiheit, seine Freiheit im Einsatz der Arbeitskraft, das eigene Unternehmen und das eigene Unternehmerrisiko. Es genügt, wenn diese Voraussetzungen im wesentlichen erfüllt sind.

 

Normenkette

HGB §§ 92, 84, 86, 86b, 89a, 92a; ArbGG §§ 2, 5; BGB §§ 138, 278, 611, 665, 667, 675; Ges. z. Ändg. d. HGB v. 6. August 1953 (BGBl. I S. 771) Art. 3

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 03.12.1964; Aktenzeichen 3 Sa 104/64)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 09.12.1963; Aktenzeichen 1 Ca 2652/63)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Dezember 1964 – 3 Sa 104/64 – und das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 9. Dezember 1963 – 1 Ca 2652/63 – aufgehoben.

2. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger stand seit 1938 in Vertragsbeziehungen zur Beklagten, einem Versicherungsunternehmen. Am 5. September 1957 schlossen die Parteien einen neuen Vertrag, der alle bisherigen Verträge außer Kraft setzte. Nach der Neuregelung war dem Kläger die Generalagentur der Beklagten in Wiesbaden unter der Bezeichnung „Bezirksdirektion Wiesbaden” übertragen. Zusätzlich galten die „Bedingungen für die Übernahme einer Vertretung” [künftig: „Bedingungen”]. Die Einkünfte des Klägers als des Leiters der Bezirksdirektion bestanden aus Provisionen, Leistungszuschüssen, Bestandspflegegeldern und einem Spesenzuschuß von monatlich 350,– DM; ein Festbetrag wurde darüber hinaus nicht gewährt.

Der vorliegende Rechtsstreit entstand aus folgendem Anlaß: Aufgrund eines Abkommens der Beklagten mit der A.-Versicherungs-AG hatte der Kläger für diese Gesellschaft Kraftfahrzeugversicherungen zu vermitteln, wofür er an Provisionen von der Beklagten Beträge erhalten sollte, die im Laufe der Zeit unterschiedlich hoch waren, aber stets nicht unerheblich über 10 % lagen. Bis zum 6. Dezember 1960 zahlte die Beklagte diese Sätze. Für die Folgezeit berief sie sich auf die Verordnung PR Nr. 52/50 über Provisionen in der Kraftfahrtversicherung vom 9. August 1950 (BAnz. Nr. 160 vom 22. August 1950, S. 1) in der Fassung vom 25. August 1960 (BAnz. Nr. 169 vom 2. September 1960, S. 1) und zahlte nur noch den in dieser Verordnung als Höchstprovision für die hauptberufliche Vermittlertätigkeit in der Kraftfahrtversicherung bestimmten Satz von 10 %.

Der Kläger hält die genannte Verordnung in seinem Fall für unanwendbar, weil er Arbeitnehmer der Beklagten gewesen sei; er habe kein selbständiges Gewerbe als Versicherungsvermittler betrieben, wie es in der Verordnung vorausgesetzt sei. Mit der Klage macht er den bis zum 31. Dezember 1961 aufgelaufenen Betrag der über den Satz von 10 % hinausgehenden Provisionsteile für Kraftfahrzeugversicherungen in Höhe von 19.433,04 DM nebst Zinsen geltend.

Die Beklagte hält demgegenüber den Kläger für einen selbständigen Handelsvertreter (Versicherungsvertreter im Sinne des § 92 HGB) und hat deshalb von Anfang an vorab die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bestritten.

Die beiden Vorinstanzen sind der Ansicht des Klägers gefolgt und haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Einen vorsorglichen Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an das ordentliche Gericht hat der Kläger trotz Hinweis des Senats nicht gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen sind die Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung des Rechtsstreits sachlich nicht zuständig, und die Klage war daher als unzulässig abzuweisen. Der Kläger war in der streitbefangenen Zeit kein Arbeitnehmer, wie es in § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG vorausgesetzt wird; arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG war er schon deshalb nicht, weil seine monatliche Vergütung erheblich über der in Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches (Recht der Handelsvertreter) vom 6. August 1953 (BGBl. I S. 771) bestimmten Grenze von 500,– DM gelegen hat. Vielmehr war der Kläger selbständiger Handelsvertreter im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB, und zwar wegen der Art seiner Tätigkeit Versicherungsvertreter (§ 92 HGB), aber dessen Vergütungsansprüche die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben.

I. Entgegen der Ansicht des Klägers hat das Landesarbeitsgericht, um zu seinem Ergebnis zu kommen, nicht nur den Vertrag der Parteien ausgelegt, sondern die gesamten Beziehungen der Parteien, wie sie sich aus dem Vertrag und aus seiner Durchführung ergeben haben, im Hinblick auf die Rechtsfrage gewürdigt, ob der Kläger Arbeitnehmer oder Handelsvertreter der Beklagten gewesen ist. In der Nachprüfung dieser Rechtsfrage unterliegt das Revisionsgericht keinen Beschränkungen.

Zwar könnten solche Beschränkungen bestehen, soweit dem Landesarbeitsgericht für die Frage der Abgrenzung aus tatsächlichen Gründen nach § 286 ZPO ein Beurteilungsspielraum zusteht; insoweit ist das Gericht der Tatsacheninstanz weitgehend frei. Der Fall liegt hier aber deshalb anders, weil das Landesarbeitsgericht bei seiner Wertung in wenigstens zwei Fällen sich in Widerspruch zu den Denkgesetzen gesetzt und damit seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat. Es hat sowohl die Übernahme der Haftung für unterstelltes Personal durch den Kläger in § 9 des Vertrags und in § 5 der zugehörigen „Bedingungen für die Übernahme einer Vertretung” als auch die Regelung über die künftige Nachfolge des Sohnes des Klägers in dessen Stellung in § 12 Nr. 2 des Vertrags als Merkmale für die Abhängigkeit des Klägers von der Beklagten angesehen.

Gerade der gegenteilige Schluß ist folgerichtig. Im Arbeitsverhältnis ist es zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber durchaus unüblich, daß der Arbeitnehmer dritte Personen zur Erfüllung seiner Arbeitspflicht heranzieht (vgl. § 613 Satz 1 BGB) und die Haftung für die ihm unterstellten Personen vertraglich übernimmt sowie daß ihm das Recht eingeräumt wird, seinen Nachfolger auf dem Arbeitsplatz zu bestimmen. Dagegen besteht beim Handelsvertreterverhältnis, einem Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (BAG 15, 335 [344] = AP Nr. 1 zu § 90a HGB), die Haftung für unterstelltes Personal schon kraft Gesetzes (§ 278 BGB) und bildet damit bei solchen Rechtsverhältnissen die Regel. Auch die Möglichkeit der Übertragung des Gewerbes durch den Handelsvertreter auf einen anderen liegt in der Natur der selbständigen Stellung. Durch die ausdrückliche Aufnahme dieser beiden Regelungen in den Vertrag haben deshalb die Parteien das Merkmal der Selbständigkeit des Klägers sogar bekräftigt, wie noch näher dargelegt wird.

Scheiden aber diese beiden Umstände für die Annahme des Landesarbeitsgerichts aus, weil sie für und nicht gegen die Handelsvertretereigenschaft des Klägers sprechen, dann ist damit die Grundlage des angefochtenen Urteils im ganzen erschüttert. Es muß schon deshalb aufgehoben werden. Einer Zurückverweisung der Sache bedarf es indessen nicht, weil durch die Bezugnahme des Landesarbeitsgerichts auf den Akteninhalt dem Senat der gesamte Streitstoff zur selbständigen Beurteilung zur Verfügung steht und, wie der umfangreiche Sachvortrag beider Parteien zeigt, der Tatbestand in allen erheblichen Punkten unstreitig ist und nur die daraus herrührenden Rechtsfragen zu entscheiden sind.

II. Dem Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, das sowohl auf die Bestimmungen des Vertrags als auch auf seine Durchführung abzustellen sei, ist durchaus zuzustimmen. Der rechtlichen Wertung der sich hieraus ergebenden zahlreichen Einzelumstände und der darauf beruhenden Gesamtwürdigung vermag der Senat jedoch nicht beizupflichten, wie sich aus folgendem ergibt:

1. Der Kläger gehört zu dem Personenkreis derjenigen, die ständig damit betraut sind, für einen anderen, hier für die Beklagte, Geschäfte zu vermitteln oder in deren Namen abzuschließen. Seine Rechtsstellung ist in § 84 HGB geregelt. Erfüllt er das in § 84 Abs. 1 HGB aufgestellte Merkmal der Selbständigkeit, dann ist er Handelsvertreter; anderenfalls ist er gemäß § 84 Abs. 2 HGB als Angestellter anzusehen. Selbständig ist er nach der gesetzlichen Umschreibung dann, wenn er im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Es genügt daher für die Annahme eines Handelsvertreterverhältnisses, wenn der Kläger im wesentlichen seine persönliche Selbständigkeit im Verhältnis zur Beklagten aufrecht erhalten hat.

Bei den Merkmalen, die für oder gegen die Selbständigkeit sprechen, ist zu unterscheiden zwischen den echten oder materiellen Merkmalen, die mehr oder weniger zwingende, unmittelbare Anzeichen der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit enthalten, und den unechten oder formalen Merkmalen, die bei der Abgrenzung nur mit Vorbehalten anzuwenden sind. Zu den materiellen Merkmalen gehören die Weisungsfreiheit, die Freiheit im Einsatz der Arbeitskraft, das eigene Unternehmen und das eigene Unternehmerrisiko; zu den formalen Merkmalen gehören vor allem diejenigen Umstände, die sich aus der äußeren Form des Vertrags herleiten lassen, z. B. die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung, die Regelung im Hinblick auf gewerbepolizeiliche und handelsregisterrechtliche Vorschriften einerseits und auf arbeitsrechtliche Grundsätze andererseits (so Trinkhaus, Handbuch der Versicherungsvermittlung, 1955, Bd. I, S. 46 ff.).

Eine besondere Rolle spielt der Inhalt des Vertrags. Dabei kommt allerdings im Grundsatz der Benennung (Titel) des Vermittlers, der Bezeichnung des Vertragsverhältnisses und dem reinen Wortlaut des Vertrags keine entscheidende Bedeutung zu, weil der wirkliche Gehalt der Tätigkeit maßgebend und deshalb in der Regel vor allem auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung des Vertrags abzustellen ist. Wenn aber wie im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Beziehungen der Parteien zueinander in allen wesentlichen Punkten entsprechend dem Wortlaut des recht umfangreichen Vertrages tatsächlich gehandhabt worden sind, dann muß schon dem Vortrag als solchem bei der Frage nach der Rechtsstellung des Klägers eine wesentliche Bedeutung zugemessen werden. Dies gilt erst recht, wenn berücksichtigt wird, daß bei beiden Parteien eine recht genaue Kenntnis des einschlägigen Rechtsgebiets vorausgesetzt worden kann, beim Kläger vor allem deshalb, weil er bereits seit 1924 in der Versicherungswirtschaft (Bl. 125 VorA) und jedenfalls seit der Vorkriegszeit in leitenden Stellungen für die Beklagte im Versicherungsfach tätig gewesen ist. Unter diesen Umständen haben auch die von den Parteien im Vertrag verwendeten Begriffe und Bezeichnungen ein erhebliches Gewicht.

2. Wird das Vertragsverhältnis der Parteien zunächst einmal am Vertragswortlaut gemessen, dann ergibt sich folgendes:

a) In § 1 der einen Bestandteil des Vertrags vom 5. September 1957 bildenden „Bedingungen für die Übernahme einer Vertretung” ist klar gesagt, daß der Kläger weder Handlungsgehilfe sei noch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis stehe, sondern die Stellung eines selbständigen Handelsvertreters im Sinne des § 84 HGB innehabe. Das soll nach § 2 des Vertrags gelten, „sofern durch diesen Vortrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist”.

b) In § 12 Nr. 1 des Vertrags ist bestimmt, daß der Begriff des wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des allein für Handelsvertreter geltenden § 89a HGB zu verstehen ist; für das Handlungsgehilfenverhältnis steht die entsprechende Vorschrift in § 70 HGB.

c) § 12 Nr. 2 des Vertrags, der den künftigen Eintritt des Sohnes des Klägers in die Bezirksdirektion regelt, besagt, daß bei Übernahme der Bezirksdirektion durch den Sohn „zwischen ihm und der Gesellschaft ein Vertragsverhältnis gemäß § 84 HGB zu den in diesem Vertrag vereinbarten Bedingungen und Provisionen gilt”, wobei wegen der oben zu II 2a erwähntem Regelung nur der Abs. 1 des § 84 HGB gemeint sein kann.

d) Schließlich kann in diesem Zusammenhang auch noch auf diejenigen Vertragsklauseln verwiesen werden, die die Selbständigkeit des Klägers unmittelbar zum Ausdruck bringen. Es ist in § 1 Nr. 1 des Vertrags davon die Rede, daß dem Kläger die „Generalagentur” Wiesbaden übertragen wird; dabei handelt es sich offenbar um eine aus der alten Fassung des § 84 HGB abgeleitete Kennzeichnung des Selbständigen. In § 4 Nr. 1 Satz 2 Halbs. 2 der „Bedingungen” wird erwähnt, daß es dem Vertreter überlassen bleibt, „über die Einteilung seiner Arbeit frei zu bestimmen”. Dieser Satz ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht etwa wegen der Regelung in § 4 Abs. 2 des Vertrags wirkungslos. Wenn darin bestimmt ist, daß bei Wegfall der Zuschußzahlungen § 4 Nr. 1 der „Bedingungen” gelte, dann bezieht sich das nur auf die Regelung in § 4 Nr. 1 Satz 2 Halbs. 1 der „Bedingungen” über die Nebentätigkeit, der nämlich durch § 4 Abs. 1 in Verbindung von § 2 Satz 2 des Vertrags geändert ist. Insoweit bleibt die von den „Bedingungen” abweichende Regelung des Vertrags bis zum Wegfall der Zuschußzahlungen bestehen; im übrigen, d. h. insbesondere hinsichtlich des § 4 Nr. 1 Satz 2 Halbs. 2, gelten die „Bedingungen” von Anfang an, da sie mit dem Vertrag nicht in Widerspruch stehen, so daß die erwähnte Bestimmung über die Freiheit in der Arbeitseinteilung zu den geltenden Vertragsklauseln gehört.

e) Diese auf die gesetzliche Regelung für Handelsvertreter verweisenden Vertragsbestimmungen zeigen, daß die Parteien bei Vertragsabschluß der Rechtsansicht gewesen sind, ein Handelsvertreterverhältnis im Sinne der §§ 84 ff. HGB zu begründen. Diese Rechtsansicht haben sie durch die Vertragsgestaltung im übrigen und die darauf beruhende tatsächliche Durchführung bestätigt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß angesichts des Vertragswortlauts die Merkmale für die Unselbständigkeit ganz erhebliches Gewicht haben müßten, wenn entgegen der ausdrücklich niedergelegten Rechtsansicht der Parteien ein Arbeitsverhältnis angenommen worden sollte. Das ist, wie im folgenden ausgeführt wird, nicht der Fall.

3. Ein wesentliches Merkmal der Selbständigkeit ist die Weisungsfreiheit des Versicherungsvermittlers. Insoweit ist bei dem gegebenen Sachverhalt folgendes in Betracht zu ziehen:

a) Soweit das Gesetz in § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB insbesondere hervorhebt, daß derjenige selbständig sei, der seine Arbeitszeit im wesentlichen frei bestimmen kann, ist hieraus für den Versicherungsvertreter, vor allem bei Außendiensttätigkeit, nichts Entscheidendes zu entnehmen, wenn Arbeitszeit im Sinne fester Dienststunden verstanden wird. Denn auch für den Angestellten in der Versicherungsvermittlung, der sich nach seinen Kunden richten muß, ist eine feste Einteilung der Arbeitszeit meist nicht möglich. Es kommt vielmehr auf die Weisungsfreiheit im übrigen an, die in erster Linie den Arbeitnehmer vom Selbständigen unterscheidet (vgl. BAG 14, 17 [19] = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Abhängigkeit; ferner BAG AP Nr. 7 zu § 5 ArbGG 1953; BAG 11, 225 [227] = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; BAG 12, 303 [307 f.] = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Abhängigkeit).

Dagegen bestehen auch am Streitfall durchaus Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in seiner Arbeitszeit (im weiteren Sinne) keinen Beschränkungen wie ein Arbeitnehmer unterlegen hat. Das gilt einmal für die Fälle, in denen der Kläger aus irgendwelchen Gründen (z. B. Krankheit, Urlaub, sonstige Verhinderung) nicht hat arbeiten können oder wollen. Der Arbeitnehmer wäre dann mindestens zur Unterrichtung des Arbeitgebers verpflichtet, im Falle des Urlaubs sogar auf die Zustimmung des Arbeitgebers angewiesen. Der Kläger war in dieser Hinsicht völlig frei; insbesondere war er nicht verpflichtet, der Beklagten den Zeitraum seines Urlaubs auch nur mitzuteilen.

Auch sonst ist nicht ersichtlich, daß die Beklagte auf die Arbeitsleistung des Klägers in zeitlicher Hinsicht Einfluß genommen hat. Das hätte z. B. dadurch geschehen können, daß dem Kläger aufgegeben worden wäre, seine laufende Tätigkeit in einer Art Tagebuch oder in regelmäßigen Berichten an die Beklagte festzuhalten. Derartige Regelungen haben zwischen den Parteien nicht gegolten, wobei auf andere Berichtspflichten des Klägers noch einzugehen ist (s. unten zu II 3 d).

b) Da nach § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB die Handelsvertretereigenschaft auch dann noch zu bejahen ist, wenn er im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten kann, ist eine gewisse Weisungsgebundenheit des Vertreters für die rechtliche Einordnung jedenfalls dann unschädlich, wenn sich diese aus der Natur der Aufgaben ergibt, für die er bestellt ist. Allgemeine Weisungen in bezug auf den Inhalt seiner Tätigkeit, wie sie z. B. in § 2 Satz 1 des Vertrags und in § 1 Nr. 2 bis 5 der „Bedingungen” erwähnt sind, hat der Vertreter schon kraft Gesetzes (§ 675 in Verbindung mit § 665 BGB) zu befolgen. Dabei darf in der Versicherungswirtschaft wegen der außerordentlichen Vielgestaltigkeit und Schwierigkeit des Versicherungsrechts und der sehr hohen finanziellen Risiken der Rahmen für zulässige Weisungen nicht zu eng gezogen werden.

Hiernach wird die Handelsvertretereigenschaft des Klägers nicht dadurch beeinträchtigt, daß er in weitem Umfang die Vordrucke der Beklagten für den Geschäftsverkehr sowohl mit den Versicherungsnehmern als auch mit der Beklagten und dem Außendienstpersonal zu verwenden hatte. Eine solche Handhabung dient der Vereinfachung der Verwaltungsaufgaben und entlastet den Vertreter in seiner Arbeit. In eine Abhängigkeit von der Beklagten ist der Kläger dadurch nicht geraten.

Nichts anderes gilt für die Regelung in § 1 Nr. 1 des Vertrags, wonach die vom Kläger geführte Bezirksdirektion Wiesbaden „unmittelbar der Generaldirektion (d. h. der Beklagten) untersteht”. Damit ist lediglich eine organisatorische Frage klargestellt. Der Kläger hatte z. B. für seine Korrespondenz und für seine Abrechnung allein mit der Beklagten zu tun, nicht aber, wie es nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten für den Außendienst sonst bei ihr üblich war, mit einer ihrer Geschäftsstellen. Dies erklärt sich zwanglos daraus, daß dem Kläger wegen der Einrichtung einer Bezirksdirektion am Sitz der Beklagten eine Sonderstellung eingeräumt war, die u. a. darin bestand, daß er gemäß § 1 Nr. 2 des Vertrags und in Abweichung von § 4 Nr. 3 der „Bedingungen” in seiner Tätigkeit für die Beklagte räumlich nicht beschränkt war. Auf eine Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beklagten, wie es das Landesarbeitsgericht angenommen hat, kann hieraus nicht geschlossen werden, zumal wenn alle anderen Umstände mitberücksichtigt werden, die auf eine im wesentlichen selbständige Stellung des Klägers schließen lassen.

Wenn das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang davon spricht, der Kläger sei für die Beklagte jederzeit verfügbar gewesen, so ist damit für die entscheidende Frage nichts gewonnen. Auch ein Handelsvertreter steht, wenn er sog. Einfirmenvertreter ist, seinem Unternehmer ständig zur Verfügung. Daß ein Einfirmenvertreter Handelsvertreter sein kann, zeigt die Vorschrift des § 92a Abs. 1 HGB. Der Kläger hatte die Stellung eines Einfirmenvertreters, wie sich aus § 4 Abs. 1 des Vertrags und § 4 Nr. 1 der „Bedingungen” ergibt. Das Landesarbeitsgericht hat die erwähnte Bemerkung nicht rein zeitlich in dem Sinne verstanden, daß der Kläger zu jeder beliebigen Stunde für die Beklagte habe bereit stehen müssen; das ergeben die Ausführungen oben zu II 3a.

c) Der Kläger will seine Weisungsgebundenheit u. a. aus § 9 des Vertrags entnehmen; dort ist seine Haftung für die Verbindlichkeiten der ihm unterstellten Personen in der Weise geregelt, daß er bei der Anstellung und Überwachung dieser Personen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu beachten hat und seine Sorgfaltspflicht als verletzt gilt, wenn der Kläger „geschäftliche Anordnungen der „Gesellschaft” nicht beachtet oder ihren Anweisungen zuwidergehandelt hat”. Der Auffassung des Klägers ist jedoch nicht zu folgen. Dabei ist zweierlei in Betracht zu ziehen.

aa) Soweit § 9 des Vertrags (und ähnlich § 5 der „Bedingungen”) die Haftung des Klägers für unterstellte Personen, insbesondere für Mitarbeiter des Außendienstes (Untervertreter), regelt, handelt es sich um eine zwischen Selbständigen an sich selbstverständliche und deshalb eine die Selbständigkeit beider Partner bestätigende Klausel, weil sie sich schon aus dem Gesetz ergibt (§ 278 BGB). Wäre der Kläger Arbeitnehmer, dann wäre die Klausel nicht nur außerordentlich ungewöhnlich, sondern mit Rücksicht auf das Fehlen einer Gegenleistung (z. B. Delkredereprovision im Sinne des für diesen Fall allerdings nicht unmittelbar anwendbaren § 86b HGB) in ihrer Gültigkeit mit Rücksicht auf § 138 BGB höchst bedenklich. Da der Kläger solche Bedenken nicht erhoben hat, kann angenommen werden, daß er die ihm auferlegte Haftung als mit seiner Rechtsstellung vereinbar ansieht.

bb) Soweit § 9 des Vertrags im Zusammenhang mit der Einstellung und Überwachung unterstellter Personen von der Nichtbeachtung geschäftlicher Anordnungen und der Zuwiderhandlung gegen Anweisungen der Beklagten durch den Kläger spricht, kann es sich einmal nur um die Einstellungsregeln handeln, wie sie für die Innendienstangestellten in § 8 Nr. 3 und für die Mitarbeiter des Außendienstes in § 3 Nr. 2 Abs. 1 und 2 des Vertrags festgelegt sind. Dabei ergibt sich hinsichtlich der Innendienstangestellten eine starke Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Klägers aus der Tatsache, daß die Kosten dieses Personals von der Beklagten getragen werden. Wie sich dies auf die Stellung des Klägers auswirkt, ist weiter unten zu behandeln. Bei der Einstellung von Mitarbeitern des Außendienstes kann der Kläger unter Berücksichtigung der bei der Beklagten allgemein geltenden Anstellungsregeln praktisch nach seinem Belieben verfahren, es sei denn, daß der Kläger diesen Personen feste Bezüge zu Lasten der Beklagten zusagt. Eine ins Gewicht fallende Beschränkung des Klägers kann hieraus nicht entnommen werden.

Daneben soll der Kläger auch bei der Überwachung seines Personals die geschäftlichen Anordnungen und Anweisungen der Beklagten einhalten. Worum es sich dabei im einzelnen handelt, ist dem schriftlichen Vertragswerk nicht zu entnehmen. Sofern hierbei die Beklagte die selbständige Stellung des Klägers mißachten und ihm Weisungen erteilen sollte, wie sie nur bei persönlicher Abhängigkeit zulässig wären, könnte der Kläger deren Befolgung ablehnen; bei seiner Inanspruchnahme durch die Beklagte wegen Nichtbeachtung ihrer Weisungen könnte er sich damit rechtfertigen, daß er nicht zum Handeln im Sinne der Beklagten verpflichtet gewesen sei. Sollte jedoch, was näher liegt, die Einflußnahme der Beklagten sich auf verwaltungsmäßige und versicherungstechnische Maßnahmen vor allem im Hinblick auf das schon erwähnte sehr hohe finanzielle Risiko (Geldumsatz) im Versicherungsgewerbe beschränken, dann bestehen hiergegen aus den bereits oben zu II 3b genannten Gründen keine Bedenken. Die selbständige Stellung des Klägers im Sinne des § 84 Abs. 1 HGB wurde dadurch nicht berührt.

d) Bestimmte Berichterstattungs- und Untewrrichtungspflichten können Anzeichen für die Unselbständigkeit eines Versicherungsvermittlers sein. Hierzu beruft sich der Kläger darauf, daß er laufende Meldungen über vermittelte Versicherungsverträge, monatliche Kassenabrechnungen sowie monatliche formularmäßige Meldungen über seine Tätigkeit für die A.-Versicherungs-AG auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugversicherungen an die Beklagte habe geben müssen. Eine Beeinträchtigung der Selbständigkeit des Klägers folgt hieraus jedoch nicht.

Die Pflicht zur Meldung vermittelter Geschäfte gehört zu den gesetzlichen und deshalb wesensgemäßen Aufgaben des Handelsvertreters (§ 86 Abs. 2 HGB). Wenn dabei die Beklagte zusätzlich die Übersendung eines mit laufender Nummer versehenen Vordrucks zur Überwachung des vollzähligen Eingangs verlangt hat, entspricht auch dies ihrer dem Handelsvertreter gegenüber zustehenden allgemeinen Weisungsbefugnis. Eine persönliche Unterordnung des Klägers entsteht dadurch nicht. Nichts anderes gilt für die Meldungen über die Geschäftstätigkeit für die A. Versicherungs-AG, da auch insoweit der Geschäftsbereich der Beklagten berührt wird; denn sie bezieht aus dieser Verbindung bestimmte Einnahmen (vgl. den Vertrag beider Gesellschaften vom 15. Januar 1948, Bl. 223 ff. VorA).

Auch die Kassenabrechnungen beruhen auf einer gesetzlichen Pflicht des Handelsvertreters, nämlich auf der Pflicht, über seine Geschäftsführung Rechnung zu legen und das Erlangte herauszugeben (§ 675 in Verbindung mit §§ 666, 667 BGB). Seine Selbständigkeit wird dadurch bei der hier gegebenen Ausgestaltung ebenfalls nicht beeinträchtigt. Dies gilt auch für § 14 der „Bedingungen” über Kassenführung und Abrechnung, die diese Verpflichtungen näher umgrenzen.

Es ist nicht ersichtlich, daß die genannten Berichtspflichten etwa darauf hinausliefen, der Beklagten eine Einflußnahme auf die Tätigkeit des Klägers im Sinne einer Überwachung zu ermöglichen. Vielmehr muß aus dem vom Kläger zugestandenen (Bl. 124 VorA) Fehlen einer Berichtspflicht über Kundenbesuche und einer Benachrichtigungspflicht über die Arbeitszeiteinteilung (s. oben zu II 3a) wie auch aus dem Fehlen von Anweisungen über die Gestaltung der Tätigkeit des Klägers – insoweit ist nichts vorgetragen – der Schluß gezogen werden, daß der Kläger seine Tätigkeit im wesentlichen frei von Weisungen der Beklagten entfaltet hat.

c) Daran ändert schließlich auch nichts, daß die Beklagte in § 10 des Vertrags und in § 15 der „Bedingungen” sich die jederzeitige Überprüfung der Geschäfts- und Kassenführung des Klägers vorbehalten hat. Insoweit handelt es sich um das Gegenstück zu der dem Handelsvertreter auferlegten Pflicht zur Rechnungslegung. Das Revisionsrecht des Versicherers, das in angemessenen Zeitabständen und unter gegenständlicher Beschränkung auf sein Geschäftsinteresse (vgl. dazu § 810 BGB und sinngemäß § 87c Abs. 4 HGB) ausgeübt wird – etwas Gegenteiliges hat der Kläger in bezug auf die praktische Handhabung durch die Beklagte nicht vorgetragen –, findet seine Rechtfertigung vor allem in der Einnahme zum Teil sehr hoher Fremdgeldbeträge durch den Vertreter, deren bestimmungsmäßige Verwendung nicht nur im Interesse des Versicherungsunternehmens, sondern auch im Interesse jedes Versicherungsnehmers liegt. Es läßt in dem gekennzeichneten Ausmaß die persönliche Selbständigkeit des seinem Wesen nach in gewissem Umfang fast immer geschäftlich abhängigen Vertreters unberührt.

4. Es gehört weiterhin zum Begriff der Selbständigkeit, daß der Handelsvertreter im Einsatz seiner Arbeitskraft im wesentlichen frei ist. In diesem Zusammenhang spielt hier folgendes eine Rolle:

a) Daß der Kläger in seinem räumlichen Tätigkeitsbereich nicht eingeengt war (§ 1 Nr. 2 des Vertrags), mag für sich allein kein Merkmal für Selbständigkeit oder Unselbständigkeit sein; es gewinnt aber doch eine gewisse Bedeutung im Sinne der Selbständigkeit, wenn zusätzlich der organisatorische Aufbau der Beklagten in Betracht gezogen wird. Danach unterhielt die Beklagte, verteilt über das ganze Bundesgebiet, eine Reihe von Filialdirektionen mit genau abgegrenzten Bezirken, in deren Bereich ihre Vermittler tätig wurden. Der Kläger war aus dieser Beschränkung auf einen bestimmten Bezirk herausgenommen, also in seiner Bewegungsfreiheit weniger stark beschränkt als jene anderen Vermittler.

In fachlicher Hinsicht unterlag der Kläger gemäß § 4 Abs. 1 des Vertrags in Verbindung mit § 4 Nr. 1 der „Bedingungen” insofern beruflichen Beschränkungen, als er in den von der Beklagten betriebenen Versicherungszweigen überhaupt nicht und in einer gewinnbringenden Nebenbeschäftigung nur mit Zustimmung der Beklagten tätig werden durfte. Es handelt sich insoweit einmal um ein Konkurrenzverbot, das der Selbständigkeit des Handelsvertreters nicht entgegensteht, weil dieser gemäß § 86 Abs. 1 HGB die Interessen seines Unternehmers wahrzunehmen und deshalb sogar ohne ausdrückliches Wettbewerbsverbot nicht in einer Weise tätig werden darf, die sich zum Schaden seines Unternehmers auswirken kann. Auch die in dem Verbot der Nebentätigkeit zum Ausdruck kommende völlige Inanspruchnahme der Arbeitskraft des Klägers durch die Beklagte besagt noch nichts über die Unselbständigkeit. Das Gesetz selbst geht in § 92a Abs. 1 HGB davon aus, daß auch derjenige (selbständiger) Handelsvertreter sein kann, dem es nach Art und Umfang der von ihm verlangten Tätigkeit nicht möglich ist, eine weitere Tätigkeit auszuüben.

b) In diesem Zusammenhang könnte weiter von Bedeutung sein, wenn dem Kläger ein bestimmter Mindesterfolg seiner Tätigkeit (sog. Umsatzgarantie) vorgeschrieben worden wäre. Der Vortrag der Parteien läßt nicht erkennen, daß der Kläger in dieser Hinsicht gebunden gewesen ist.

c) Auch die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben und Aufsichtsfunktionen durch den Kläger im Rahmen seiner „Bezirksdirektion” kann nicht gegen seine Selbständigkeit ins Feld geführt werden. Dabei kommt es noch nicht einmal auf den Umfang dieser Art der Tätigkeit an, der nach dem Vortrag des Klägers sehr beträchtlich (Bl. 126 VorA), nach dem Vortrag der Beklagten nur geringfügig gewesen sein soll (Bl. 150 f. VorA). Abschluß- und Verwaltungstätigkeit gehen ineinander über. Die Verwaltung des Versicherungsbestandes und die Aufsicht über den Innen- und Außendienst, wozu hier auch der von Fall zu Fall dem Büro des Klägers von der Beklagten zugeteilte Lehrling gehört, dienen zumindest mittelbar der Hauptaufgabe des Klägers, dem Hereinholen neuer Abschlüsse; dadurch wird den schon vorhandenen Kunden durch entsprechende Betreuung bewiesen, daß sie bei diesem Versicherungsunternehmen gut aufgehoben sind. Deshalb muß die Gesamttätigkeit des Versicherungsvertreters als eine einheitliche und unteilbare gewertet werden, und es ist im Grundsatz ohne Bedeutung, in welchem Verhältnis die verschiedenen Tätigkeitsbereiche zueinander stehen.

Etwas anderes könnte dann gelten, wenn der Vertreter bei seiner Verwaltungstätigkeit umfangreichen Weisungen des Unternehmers unterliegen würde. Dazu hat der Kläger keinen ins Gewicht fallenden Umstand vorgetragen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Beklagte in einem erheblichen Ausmaß dem Kläger Verwaltungs- und ähnliche Arbeiten übertragen hat, die ihrer Art nach Sache der Beklagten selbst als der Zentrale gewesen wären. Vielmehr hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen (Bl. 150 f. VorA), daß vor allem das Inkasso sowie anfallende technische Vorgänge zu einzelnen Versicherungsverträgen zentral bei der Beklagten erledigt wurden.

5. Für den Handelsvertreterbegriff wird in § 84 Abs. 1 HGB weiterhin vorausgesetzt, daß er Unternehmer ist, d. h. sein Beruf in einem eigenen Unternehmen ausübt. Hierzu sind folgende Umstände zu beachten:

a) Der Kläger ist nicht unter einer eigenen im Handelsregister eingetragenen Firma auf getreten; er hat bisher seine Anmeldung zum Handelsregister unterlassen. In seiner Korrespondenz ist er unter dem Firmennamen der Beklagten mit dem Zusatz „Geschäftsstelle Wiesbaden” oder „Bezirksdirektion Wiesbaden” aufgetreten, sein geschäftlicher Fernsprechanschluß erschien im Fernsprechbuch unter dem Namen der Beklagten mit dem Zusatz „Bezirksdirektion Wiesbaden, Leiter I. J.” und für seinen geschäftlichen Geldverkehr hat er – offensichtlich aus Sicherheitsgründen – die Bank- und Postscheckkonten der Beklagten verwendet. Aus allen diesen Umständen lassen sich aber keine zwingenden Schlüsse auf seine Unselbständigkeit ziehen. Denn sie gehören zu den oben zu II 1 genannten formalen Merkmalen, denen nur dann, und zwar im Sinne der Selbständigkeit, Bedeutung zukommt, wenn sie eine Willensrichtung auf die Selbständigkeit haben erkennen lassen (z. B. Eintragung im Handelsregister, Verwendung von Briefbogen mit der eigenen Firmenbezeichnung, entsprechende Eintragung im Fernsprechbuch usw.) =

In diesen Zusammenhang gehört aber auch die Regelung in § 12 Nr. 2 des Vertrags über das Eintrittsrecht des Sohnes des Klägers. Eine solche Regelung ist zwar im Arbeitsverhältnis nicht gerade undenkbar, aber so außergewöhnlich, daß sie – jedenfalls im Zusammenhang mit der übrigen Vertragsgestaltung – zu dem Schluß führt, der Kläger habe die Stellung eines selbständigen Gewerbetreibenden erlangt. Demgegenüber hat der Kläger darauf hingewiesen, wenn er wirklich ein Selbständiger gewesen sei, habe der Fall keiner vertraglichen Regelung bedurft; die Tatsache der Regelung beweise deshalb, daß er in seiner Entscheidung über diese Angelegenheit nicht frei gewesen sei. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Auch hier spielt das Sicherungsbedürfnis der Beklagten herein (vgl. oben II 3b). Da das Unternehmen eines selbständigen Versicherungsvertreters eng an das Versicherungsunternehmen geknüpft ist, für das er tätig ist, kann es diesem nicht gleichgültig sein, wer als Teilhaber oder Nachfolger des Vertreters fungieren soll. Dementsprechend findet sich in § 12 Nr. 2 des Vertrags die Bestimmung, daß der Eintritt des Sohnes des Klägers „nach Abschluß einer gründlichen beruflichen Fachausbildung” erfolgen kann. Nur dies und die ebenfalls näher geregelten Einzelheiten des Übergangs der „Bezirksdirektion” auf den Sohn sind ersichtlich der Grund dafür, daß diese Bestimmung in den Vertrag aufgenommen worden ist.

b) Ob und in welchem Umfang der Kläger eigenes Betriebskapital bei seiner Tätigkeit für die Beklagte eingesetzt hat, ist – von dem noch zu behandelnden Fall der Geschäftskosten abgesehen – von den Parteien nicht vorgetragen. Immerhin hat der Kläger aus seinen Provisionseinnahmen den Außendienst finanziert. Bedeutsam erscheint aber in diesem Zusammenhang, und zwar im Sinne der Selbständigkeit des Klägers, daß er wirtschaftlich praktisch unabhängig gewesen ist. Er nahm nicht nur wegen des erheblichen Umfangs und des guten Geschäftsganges seiner „Bezirksdirektion” eine wirtschaftlich sehr starke Stellung ein, sondern die Beklagte gewährte ihm auch seit 1948 neben den Provisionseinnahmen ein ungekürztes Ruhegeld in einer recht beachtlich über dem Existenzminimum liegenden Höhe. Ein solcher Sachverhalt tat ein starkes Anzeichen auch für persönliche Selbständigkeit, wie sie beim Handelsvertreter vorausgesetzt wird.

c) Über eine eigene Betriebsstätte, d. h. ein eigenes Büro mit entsprechender Einrichtung, hat der Kläger nicht verfügt. Dies alles hat ihm die Beklagte zur Verfügung gestellt. Da es sich hierbei aber nur um eins der zahlreichen Merkmale für oder gegen die Selbständigkeit des Klägers handelt, braucht hierauf kein besonderes Gewicht gelegt zu werden. Immerhin hat der Kläger unbestritten die für seinen geschäftlichen Verkehr erforderlichen Kraftwagen selbst beschafft, was als Zeichen der Selbständigkeit zu werten ist. Ebenso hat der Kläger Reise-, Bewirtungs- und ähnliche Kosten aus seinen Einnahmen bestreiten müssen (§ 5 Nr. 6 des Vertrags).

d) Über eigene Mitarbeiter hat der Kläger nur im Außendienst verfügt (§ 3 Nr. 2 des Vertrags); bei deren Einstellung war er praktisch von der Beklagten unabhängig. Das Büropersonal war von der Beklagten gestellt (§ 8 Nr. 2 und 3 des Vertrags) und deshalb zunächst einmal dieser verpflichtet. (Wegen der Kostentragung vgl. weiter unten.) Bei dieser Sachlage halten sich die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale die Waage. Dabei kann außer Betracht bleiben, ob und in wievielen Fällen der Kläger seine Außendienstmitarbeiter (Untervertreter) gemäß § 3 Nr. 2 Abs. 1 des Vertrags auf die Beklagte „reversiert” hat. Insoweit oblag ihm keine Verpflichtung, sondern es stand in seinem Belieben. Letztlich spielen diese Umstände keine entscheidende Rolle, weil sowohl beim selbständigen als auch beim unselbständigen Versicherungsvermittler der Fall vorkommt, daß er eine „reversierte” Vertreterorganisation einsetzen kann.

e) Darüber, daß der Kläger über einen eigenen Kundenstamm verfügt hat, ist von keiner Seite etwas vorgetragen. Dieses für Selbständigkeit sprechende und auch nur im Gesamtzusammenhang verwertbare Kennzeichen kann deshalb unberücksichtigt bleiben,

f) Wesentlich dagegen sind in diesem Zusammenhang, d. h. bei der Frage nach dem eigenen Unternehmen, solche Vertragsklauseln, die für die Unternehmereigenschaft sprechen. Damit sind nicht die rein formalen Bezeichnungen gemeint (s. dazu oben II 1), sondern die den Inhalt des Vertrags prägenden Klauseln, die auf die Selbständigkeit schließen lassen. Dazu gehören hier die Bestimmungen über die Haftung des Klägers (s. oben II 3c) und über die Übertragung der „Bezirksdirektion” auf seinen Sohn (s. oben II 5a). In die gleiche Richtung weist die Bestimmung in § 12 Nr. 3 des Vertrags. Darin ist der Fall des Ausscheidens des Klägers wegen Arbeitsunfähigkeit, Vollendung des 65. Lebensjahres oder Todes in der Weise geregelt, daß ihm bzw. seinen Erben eine Machinkassoprovision aus den bestehenden Versicherungen bis zu deren Ablauf zu zahlen ist. Hieraus folgt, daß die Beklagte gegenüber dem Kläger nicht die sonst in solchen Fällen weithin übliche sog. Verzichtsklausel durchgesetzt hat. Das ist ebenfalls als Anzeichen für die Unternehmerstellung des Klägers zu werten (vgl. dazu Trinkhaus, aaO. S. 71 mit Hinweisen).

6. Damit bleibt die Frage zu behandeln, ob und inwieweit der Kläger ein eigenes Unternehmerrisiko getragen hat.

a) Als Vergütung sind ihm – von dem festen Spesenzuschuß abgesehen – stets erfolgsabhängige Entgelte gewährt worden, nämlich gemäß § 5 des Vertrags Abschluß-Provisionen, Leistungszuschüsse, Bestandspflegegelder und Inkassoprovisionen. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht (vgl. Trinkhaus, aaO, S. 72f. und die Hinweise in Fußnoten 179 bis 190) geht der Senat davon aus, daß eine solche Vergütungsregelung erheblich für die Selbständigkeit des Klägers spricht (ebenso Bruck-Möller, Versicherungsvertragsgesetz, 8. Aufl., 1961, vor §§ 43 – 48 Anm. 158, S. 622, mit Hinweisen). In einem derartigen Fall trägt der Vertreter allein das Risiko seines Berufs. Wenn er aus irgendwelchen Gründen (z. B. Krankheit, Wirtschaftskrise o.ä.) keine vergütungspflichtigen Leistungen erbringt, steht er ohne finanzielle Mittel da, ohne in gleicher Weise seine Geschäftsunkosten (z. B. für Reisen, Kraftwagenbenutzung) vermeiden zu können. An einen Urlaub kann er bei schlechtem Geschäftsgang überhaupt nicht denken. Ein Mindesteinkommen ist ihm nicht gesichert, da die in § 92a HGB vorgesehene Verordnung über die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers bisher nicht erlassen ist. Er ist dann wesentlich ungünstiger gestellt als der nur auf Provisionsbasis tätige Angestellte, für den dann noch in einem gewissen Umfang gesorgt ist (vgl. z. B. § 616 BGB, § 63 HGB, das Bundesurlaubsgesetz). Falls die vereinbarte Vergütung unangemessen niedrig ist und einem Hungerlohn gleichkommt, kommt die Nichtigkeit der Vergütungsabsprache nach § 138 BGB und deren Ersetzung nach § 612 BGB bei einem Angestellten früher und eher in Betracht als bei einem Mandelsvertreter (vgl. BAG AP Nr. 2 zu § 138 BGB).

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß nach § 3 Nr. 2 und nach § 5 Nr. 6 des Vertrags der Kläger es ist, der die Provisionen und sonstigen Zahlungen an seine Außendienstmitarbeiter zu leisten hat. Dies mag ihn im Regelfall nicht belasten, weil er dann entsprechende Zahlungen von der Beklagten erhält. Wenn es aber um die Frage des wirtschaftlichen Risikos geht, ist auch an den Fall zu denken, daß die Beklagte ihren Verpflichtungen nicht genügt oder den Untervertretern (z. B. infolge höherer Aufwendungen) größere Ansprüche zustehen, als sie durch die Vergütungssätze des Klägers gedeckt werden. Unter solchen Umständen ist es nicht auszuschließen, daß der Kläger ohne anderweitige Sicherung finanziell belastet wird und damit das Risiko trägt.

b) In einem gewissen Umfang hat die Beklagte dem Kläger seine Geschäftsunkosten abgenommen, nämlich durch den festen Spesenzuschuß von monatlich 350,– DM (§ 6 Nr. 1 des Vertrags und durch die kostenlose Bereitstellung der Büroräume nebst Inventar und des Innendienstpersonals. Solche Leistungen des Unternehmers schließen schon an sich die Selbständigkeit des Vertreters nicht aus, es sei denn, daß die Barleistung Einsparungen für den Lebensunterhalt gestattet, was für den hier maßgebenden Betrag nicht anzunehmen ist. In Wahrheit ist nämlich auch der in der genannten Weise von seinem Unternehmer unterstützte Vertreter dann ohne Einkommen, wenn er keine Geschäfte zustandebringt (ebenso Bruck-Möller, aaO, vor §§ 43 – 48 Anm. 158; a.A.: Trinkhaus, aaO, S. 74 f. [75] mit Nachweisen in Fußnote 198).

Im vorliegenden Fall wird das eigene Unternehmerrisiko des Klägers hinsichtlich der Geschäftsunkosten aber noch dadurch verstärkt, daß die Beklagte bei schlechtem Geschäftsgang die Gewährung des Spesenzuschusses gemäß § 6 Nr. 1 und 2 des Vertrags mit einer Frist von sechs Monaten kündigen und die Büro- und Innendienstpersonalkosten gemäß § 8 Nr. 4 des Vertrags teilweise oder ganz auf den Kläger abwälzen kann. Daß in dem letztgenannten Fall gemäß § 5 Nr. 7 des Vertrags bestimmte Provisionssätze erhöht werden, zeigt schließlich, daß die Übernähme der genannten Kosten durch die Beklagte in gewissem Sinn ebenfalls eine Vergütung für den Kläger darstellt. Auch deshalb lassen sich aus der Kostenübernahme Schlüsse gegen die Selbständigkeit des Klägers nicht ziehen. Vielmehr ist auch in dieser Hinsicht der Kläger weitgehend von Erfolg oder Mißerfolg seiner Tätigkeit abhängig und deshalb selbständig wie ein Unternehmer.

III. Bei einer Gesamtwürdigung aller dieser Gesichtspunkte zeigt sich, daß für ein abhängiges Arbeitsverhältnis kaum etwas, für ein selbständiges Handelsvertreterverhältnis aber bei weitem die meisten Umstände sprechen. Deshalb ist es auch ohne Bedeutung, ob und inwieweit die sog. formalen Merkmale auf die eine oder andere Bewertung der Rechtsstellung des Klägers hindeuten. Soweit sich der Kläger bisher in bezug auf Steuerfragen, Anmeldung als Gewerbetreibender und zum Handelsregister u.ä. nicht wie ein Selbständiger verhalten hat, ist es nicht Sache des Senats, die Richtigkeit dieses Verhaltens zu prüfen. Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits kommt es darauf ebensowenig an wie auf die vom Kläger stark herausgestellte, in den Vordrucken der Beklagten verwendete Bezeichnung seiner „Bezirksdirektion” als Geschäftsstelle. Solche Äußerlichkeiten lassen den wirklichen Kern seiner Tätigkeit, auf den es allein ankommt, unberührt. In seiner Gesamtstellung aber war der Kläger ein selbständiger Versicherungsvertreter, wie er in § 92 Abs. 1 in Verbindung mit § 84 Abs. 1 HGB gesetzlich umschrieben ist.

 

Unterschriften

gez. Dr. Stumpf, Hilger, Dr. Gröninger, Dr. Sinning, Helmut Harries

 

Fundstellen

Haufe-Index 662642

BAGE, 87

NJW 1966, 902

MDR 1966, 540

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