a) Abberufung aus wichtigem Grund

aa) Verlust der Organstellung

 

Rz. 675

Im Normalfall endet das Amt des Vorstandsmitgliedes mit Ablauf des festgelegten Bestellungs- und Anstellungszeitraumes. Eines Widerrufes der Bestellung oder einer Kündigung bedarf es zum turnusmäßigen Ende nicht. Das Auslaufen der Bestellung ist zum Handelsregister anzumelden.

 

Rz. 676

Gleichwohl gibt es zahlreiche Fälle, in denen aus unterschiedlichsten Gründen, wie beispielsweise aufgrund einer neuen Strategie oder Strategieänderung oder einer Fusion oder Vorstandsverkleinerung oder aus anderen Gründen, es zu einer vorzeitigen Beendigung der Bestellung bzw. Anstellung kommt (vgl. Kienast, Die Zeit 9/2017, 22 ff. zu den Dilemmata der Führungskräfte im Spannungsfeld von eigener Persönlichkeit, Unternehmensdynamik und Marktforderungen der heutigen Zeit).

 

Rz. 677

Während der Laufzeit der Amtsperiode kann ein Vorstandsmitglied gem. § 84 Abs. 4 S. 1 AktG nur dann von seinem Amt abberufen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Abberufung rechtfertigt hingegen nicht zwingend auch die fristlose Kündigung des Vorstandsvertrages nach § 626 BGB (vgl. OLG München v. 14.3.2012 – 7 U 681/11). Gem. § 84 Abs. 4 S. 2 AktG kommt als Abberufungsgrund, über den der Gesamtaufsichtsrat gem. § 107 Abs. 3 S. 7 AktG zu befinden hat, namentlich in folgenden Fällen vor:

grobe Pflichtverletzung,
Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder
Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist.
 

Rz. 678

Diese Regelung ist nicht dispositiv und kann nicht durch die Satzung oder in anderer Weise, wie z.B. durch den Anstellungsvertrag des Vorstandsmitgliedes, abbedungen werden. Das Vorstandsmitglied kann daher nicht in seinem Dienstvertrag auf das Abberufungserfordernis/die Hürde des wichtigen Grundes verzichten. Es ist auch nicht zulässig, im Voraus festzulegen, was unter dem wichtigen Grund zu verstehen ist (vgl. Schmidt/Lutter/Seibt, § 84 Rn 52; BGH v. 28.1.1953, DB 1953, 233 = BGHZ 8, 348).

bb) Beispiele für Abberufungsgründe

 

Rz. 679

Bei den in § 84 Abs. 4 S. 2 AktG genannten Fällen für einen wichtigen Grund handelt es sich lediglich um nicht abschließend aufgezählte Beispielsfälle des Gesetzgebers ("namentlich"). Ein wichtiger Grund, aus dem der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied gem. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG abberufen kann, liegt nach ganz herrschender Meinung immer dann vor, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist (vgl. BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, DB 2007, 158 = BB 2007, 174).

 

Hinweis

1. Je kürzer die Restlaufzeit der Bestellung ist, umso eher ist der Gesellschaft ein weiteres Verbleiben des Vorstandsmitgliedes zuzumuten als umgekehrt.
2. Die bewusste Nichtbedienung einer fälligen Darlehensrate durch den Vorstandsvorsitzenden, der dies im Alleingang und ohne Einbindung des Gesamtvorstandes macht, kann einen wichtigen Grund zur Abberufung i.S.v. § 84 Abs. 4 AktG bilden (vgl. OLG Stuttgart v. 28.5.2013 – 20 U 5/12).
3. Entsprechendes gilt für den Abschluss eines die Aktiengesellschaft bindenden Prozessvergleichs, den der Vorstand unter Verstoß gegen den Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats aus § 111 Abs. 4 S. 2 AktG abschließt (vgl. OLG Stuttgart v. 28.5.2013 – 20 U 5/12).
4. Der Verstoß eines Vorstandsmitglieds gegen das Gebot der unbedingten Offenheit ggü. dem Aufsichtsrat kann ebenfalls dessen Abberufung rechtfertigen (vgl. OLG München v. 14.3.2012 – 7 U 681/11).
5. Die lang andauernde schwere Erkrankung eines Vorstandsmitglieds kann ein wichtiger Grund für eine Abberufung i.S.v. § 84 Abs. 4 S. 2 AktG sein (vgl. Schmidt/Lutter/Seibt, § 84 Rn 54); bei börsennotierten AG kann dies zudem nach § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG ad-hoc-publizitätspflichtig sein (vgl. Fleischer, NZG 2010, 561).
6. Der wichtige Grund muss nicht in der Person des Vorstandsmitgliedes liegen. Auf ein Verschulden des Vorstandsmitgliedes kommt es nicht an.

Bei der 3. Alternative des § 84 Abs. 4 S. 2 AktG "Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung" geht es vornehmlich um die Frage, ob die Einschränkung "….es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist" gegeben ist. Dies bedeutet, dass der Vertrauensentzug nur dann nicht für den Widerruf der Bestellung ausreicht, wenn er aus offenbar unsachlichen Gründen erfolgt ist, wofür das abberufene Vorstandsmitglied die Beweislast trägt (vgl. BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15). Der Beschluss der Hauptversammlung ist nicht schon dann offenbar unsachlich oder willkürlich, wenn sich die Gründe für den Vertrauensentzug als nicht zutreffend erweisen. Auch die Anhörung des Vorstandsmitglieds ist grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Widerruf der Bestellung (vgl. BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15). Zur Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur Abberufung und Vertragsbeendigung oben Rdn 582 f.

cc) Unzumutbarkeit und Umstände des Einzelfalls

 

Rz. 680

Für die Feststellung der Unzumutbarkeit sind nach der Rspr. und herrschender Lehre alle Umstände des Einzelfalles gegenei...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge