Leitsatz (amtlich)

1. Der Verstoß des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft gegen das Gebot der unbedingten Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat kann die Abberufung dieses Vorstandsmitglieds nach § 84 Abs. 3 AktG rechtfertigen. Das Offenheitsgebot folgt letztlich aus dem Gedanken, dass das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat auf gegenseitigem Vertrauen beruhen muss. Daraus folgt, dass ein Vorstandsmitglied abberufen werden kann, wenn das notwendige Vertrauen des Aufsichtsrats zerstört ist.

2. Ein wichtiger Grund für den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied rechtfertigt nicht zwingend auch die fristlose Kündigung des Vorstandsdienstvertrags nach § 626 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift ist vielmehr selbständig aus sich selbst heraus auszulegen, wobei in Abwägung der wechselseitigen Interessen zu prüfen ist, ob ein für den Widerruf der Bestellung ausreichender Grund auch den Wegfall der Vergütungsansprüche aus dem Dienstvertrag rechtfertigt.

3. Erfolgt der Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied wegen zerstörten Vertrauens zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, wird dies nach den Umständen des Einzelfalls die fristlose Kündigung des Vorstandsdienstvertrags jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn die Zerrüttung zumindest auch auf das Verhalten des Aufsichtsrats bzw. seiner Mitglieder zurückzuführen ist.

4. Für den Beginn der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist die Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund durch den Aufsichtsrat als Gremium erforderlich. Die Kenntniserlangung durch den Vorsitzenden oder einzelne Mitglieder genügt nicht. Der Vorsitzende ist dann aber gehalten, binnen eines angemessen kurzen Zeitraums eine Aufsichtsratssitzung einzuberufen. Tut er dies nicht, beginnt die Zweiwochenfrist mit Ablauf des angemessen kurzen Zeitraums.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1-2; AktG § 84 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 30.12.2010; Aktenzeichen 5HK O 5791/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG München I vom 30.12.2010 (Az.: 5 HK O 5791/10) im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage auf Feststellung, dass der Dienstvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht durch die Kündigung vom 2.3.2010 beendet wurde, und die Zahlungsklage abgewiesen wurden.

2. Es wird festgestellt, dass der Dienstvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht durch die Kündigung vom 2.3.2010 beendet wurde.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34.548,39 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.548,39 EUR seit 1.4.2010, aus weiteren 7.000 EUR seit 1.5.2010, aus weiteren 7.000 EUR seit 1.6.2010, aus weiteren 7.000 EUR seit 1.7.2010 und aus weiteren 7.000 EUR seit 1.8.2010 zu bezahlen.

4. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 10 % und der Beklagte 90 %.

6. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil, soweit es noch Bestand hat, sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

7. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Unwirksamkeitserklärung des Widerrufs seiner Bestellung zum Vorstand der Beklagten, die Feststellung, dass der Dienstvertrag zwischen ihm und der Beklagten nicht durch die Kündigung vom 2.3.2010 beendet wurde, sowie die Zahlung von fünf Monatsgehältern nebst Zinsen für den Zeitraum März mit Juli 2010.

Am 1.7.2007 bestellte der Aufsichtsrat der damals noch als C. E. AG firmierenden Beklagten den Kläger zum alleinigen Vorstand der Beklagten und schloss mit ihm einen Vorstandsdienstvertrag. In diesem wurde ein jährliches Festgehalt für den Kläger i.H.v. 84.000 EUR brutto vereinbart, zahlbar in zwölf Monatsraten zu 7.000 EUR jeweils am Ende des Kalendermonats. In § 1 Abs. 1 des Vorstandsdienstvertrags stimmte der Aufsichtsrat der Beklagten den vom Kläger weiter ausgeübten Vorstands- und Geschäftsführer/Vertretungsmandaten für die i. c. AG, die SM Gesellschaft für Unternehmensberatung, die T. Kl. Unternehmensberatung sowie die R. P. AG zu. In § 3 Abs. 1 des Dienstvertrages ist u.a. ausgeführt, dass der Kläger außerhalb des Konzerns der Beklagten ohne Zustimmung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats kein Aufsichtsratsmandat übernehmen dürfe.

Am 13.10.2009 beschloss der Aufsichtsrat der Beklagten, damals bestehend aus dem Zeugen Dr. B. als Vorsitzenden sowie den Zeugen Ko. und M., einstimmig die Verlängerung der Bestellung des Klägers zum Vorstand der Beklagten sowie des Vorstandsdienstvertrags bis zum 31.10.2012. In dem Aufsichtsratsbeschluss wird ausdrücklich nochmals das Einverständnis des Aufsichtsrats mit den Nebentätigkeiten des Klägers gem. § 1 Abs. 1 des Vorstandsdienstvertrags erklärt.

Am 30.10.2009 und 11.1.2010 w...

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