Rz. 1447

Für die Statusfeststellung bei Personen, die ständig damit betraut sind, Geschäfte im Namen eines anderen Unternehmers zu vermitteln, ist allein darauf abzustellen, ob die Vertriebsperson nach dem Vertrag oder der praktischen Handhabung der Parteien Rechte wahrnehmen kann, die den beiden Grundfreiheiten i.S.d. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB entsprechen, die Arbeitszeit und die Tätigkeit im Wesentlichen selbst zu bestimmen. Maßgeblich ist daher die rechtliche Befugnis der Vertriebsperson, ihre Arbeitszeit im Wesentlichen selbst zu bestimmen und seine Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten, und zwar ohne dass dem Umstand Bedeutung zukommt, ob von ihr Gebrauch gemacht wird oder nicht (BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 770/98, AP Nr. 6 zu § 92 HGB = BB 2000, 932; LAG Hamm v. 11.5.2000 – 4 Sa 1694/98, EversOK Ls. 22; LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 19 = BB 99, 793; ArbG Nürnberg v. 9.9.1996 – 12 Ca 4696/96, EversOK Ls. 20 m.w.N.; LAG München v. 5.10.1999 – 6 Sa 584/98, EversOK Ls. 3; LAG Berlin v. 17.6.1999, EversOK Ls. 11 = EzA Nr. 63 zu § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff; LG Paderborn v. 19.1.2012 – 3 O 340/11, EversOK Ls. 13; Hanau/Strick, DB Beil. Nr. 14/98, S. 8, 10 Fn 147). Zwar sind für die Abgrenzung nach wie vor alle Umstände des Falles in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Das zu bewertende Rechtsverhältnis muss aber nur darauf geprüft werden, ob es eine rechtlich wirksame Beschränkung der Freiheitsbefugnisse eines Handelsvertreters zum Inhalt hat. Die Beschränkung kann dabei in Form von anfänglich vereinbarten Vertragsbestimmungen oder auch durch Einzelanweisungen des Unternehmers erfolgen. Bei der Frage, ob eine Beschränkung der freien Bestimmung der Arbeitszeit vorliegt, ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitszeithoheit des Handelsvertreters sich nicht nur auf die Festlegung von Anfang und Ende eines Arbeitsabschnitts erstreckt, sondern auch auf die Festlegung des gesamten Arbeitsumfanges, also der Arbeitsdauer (BAG v. 15.12.1999, AP Nr. 6 zu § 92 HGB = BB 2000, 932 = EversOK Ls. 5; OLG Nürnberg v. 26.2.2009 – 2 W 307/09, EversOK Ls. 13; LG Magdeburg v. 24.2.2011 – 5 O 884/10, EversOK Ls. 9). Ein Eingriff in die Freiheit, die Tätigkeit zu gestalten, ist demgegenüber gegeben, wenn die Freiheit der Vertriebsperson beschränkt wird, selbst darüber zu entscheiden, wo und wie sie ihre Tätigkeit verrichten will (BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, EversOK Ls. 5). Allerdings soll die Einhaltung von Öffnungszeiten bei einem Ladenlokal in der Natur der Sache liegen und deshalb für die Beurteilung der Selbstständigkeit keine Bedeutung haben, wenn der Handelsvertreter nicht verpflichtet ist, die Öffnungszeiten persönlich einzuhalten (OLG München v. 9.2.1993 – 25 U 5518/92, EversOK Ls. 2; OLG Düsseldorf v. 20.3.2002 – 6 W 59/01, EversOK Ls. 6; LAG Hessen v. 13.2.2001 – 13 Ta 342/00, EversOK Ls. 10). Dem wird man mit der Maßgabe beitreten können, dass die Einschaltung von Hilfspersonen in diesen Fällen nicht nur eine abstrakte und unrealistische Möglichkeit darstellen darf (LAG Berlin v. 17.6.1999 – 10 Sa 567/99, EversOK Ls. 22, 25; LSG Bayern v. 28.6.2005 – L 5 KR 109/04, juris Rn 34). Scheidet die Beschäftigung von Untervertretern oder selbst einer oder mehrerer ggf. geringfügig Beschäftigter mit kürzerer Arbeitszeit und geringerem Einkommen aus wirtschaftlichen oder tatsächlichen Gründen generell von vornherein aus, so ist die aus der Einhaltung der Öffnungszeiten folgende Beschränkung der Freiheitsbefugnisse dagegen beachtlich (vgl. BAG v. 4.12.2002 – 5 AZR 667/01, EversOK Ls. 11).

a) Immanente Beschränkung

 

Rz. 1448

Eine Beschränkung der Grundfreiheiten i.S.d. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ist dann nicht gegeben, wenn sie dem gesetzlichen Leitbild des Handelsvertreters entspricht (LAG Hamm v. 11.5.2000 – 4 Sa 1694/98, EversOK Ls. 32; LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 58 = BB 1999, 793; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 28.5.1998 – 5 Sa 1392/97, EversOK Ls. 27). Schränken also Vertrag oder Weisung zwar die Grundfreiheiten einer Vertriebsperson zur Arbeitszeit- und Tätigkeitsgestaltung ein, entsprechen die Beschränkungen aber dem gesetzlich vorgegebenen Leitbild des Handelsvertreters (vgl. BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, DB 2000, 879; LAG Hamm v. 28.4.2006 – 2 Ta 871/05, EversOK Ls. 3) und insbesondere den ihm nach Maßgabe der §§ 84 ff. HGB obliegenden Pflichten (vgl. BAG v. 20.9.2000 – 5 AZR 271/99, EversOK Ls. 14; BAG v. 15.12.1999, VersR 2000, 1365 = EversOK Ls. 22 – GdF Wüstenrot 4; LAG Köln v. 23.10.1998 – 12 (2) Sa 779/98, EversOK Ls. 17) oder handelt es sich um gesetzlich vorgegebene Rahmenbedingungen der selbstständigen Gewerbetreibenden, sind diese Einschränkungen a priori zur Abgrenzung des Handelsvertreters von der angestellten Vertriebskraft ungeeignet. Ansatzpunkt für die Ermittlung des Leitbildes sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Tätigkeit des Handelsvertreters, die einerseits durch die Vorschriften der §§ 84 ff. HGB gesteckt werden, andererseits aber auch anderen gesetzlichen Regelungen zu ent...

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