Rz. 1444

Bisher haben Rechtsprechung und Literatur für die Abgrenzung im Wesentlichen darauf abgestellt, inwieweit die Vertriebsperson in persönlicher Abhängigkeit zum Unternehmer steht (BAG v. 20.7.1994, AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit; LAG Hamm v. 5.10.1989, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 13; LAG Nds. v. 7.9.1990, EversOK Ls. = LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 24; LAG Baden-Württemberg v. 26.10.1990, EversOK Ls. = VersR 1991, 1156; Heymann/Stöber, § 84 HGB Rn 29, 32; Abrahamczik, DStR 1996, 185; a.A. LAG Köln v. 30.6.1995, EversOK Ls. = LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 29; Thüsing, Anm. zu LAG Köln v. 30.6.1995, EversOK Ls. = LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 29; Wank, DB 1992, 90). Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist als unerheblich angesehen worden (BAG v. 20.7.1994, EversOK Ls. = AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit; MüKo/Ströbl, § 84 HGB Rn 58). Dies erscheint zutreffend, da der Gesetzgeber in § 92a HGB den Einfirmenvertreter vorgesehen hat, der regelmäßig von dem vertretenen Unternehmer wirtschaftlich abhängig ist. Dadurch, dass der Gesetzgeber den Einfirmenvertreter dennoch als Handelsvertreter ansieht, ergibt sich, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit kein geeignetes Abgrenzungskriterium sein kann. Gradmesser der persönlichen Abhängigkeit war vielmehr der Umfang der Weisungsgebundenheit bei der Tätigkeit (BAG v. 21.1.1966, AP Nr. 2 zu § 92 HGB). Das Weisungsrecht des Unternehmers könne Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen (BAG v. 20.8.2003 – 5 AZR 610/02, EversOK Ls. 5; BAG v. 30.9.1998 – 5 AZR 563/97, BAGE 90, 36; BAG v. 20.7.1994, AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit, st. Rspr.).

 

Rz. 1445

Die Abgrenzungspraxis nach dem Merkmal der persönlichen Abhängigkeit hat dazu geführt, dass die Bedeutung des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB für die Abgrenzung des Handelsvertreters vom Handlungs- und Gewerbegehilfen von dem gesetzlich vorgegebenen Abgrenzungsmerkmal auf ein bloßes Indiz der persönlichen Abhängigkeit reduziert wurde. Insb. war eine Tendenz zu verzeichnen, für die Abgrenzungsfrage immer neue Indizien zu entwickeln, die für oder gegen das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit sprechen. Diese Indizien sind neben den Tatbestandsmerkmalen des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB abgehandelt worden, statt sie bei der Subsumtion unter die Norm fruchtbar zu machen. Auf diese Weise erlangten Indizien wie Unternehmerrisiko (BAG v. 21.1.1966, EversOK Ls. 7 m.w.N. = BAGE 18, 87) oder Fremdnützigkeit der Tätigkeit (LAG Bremen v. 24.5.1989 – 2 Sa 202 + 262/88, EversOK Ls. 9; OLG Düsseldorf v. 4.7.1997 – 16 W 18/97, EversOK Ls. 6 – Hein Gericke 2) eine eigenständige Bedeutung für die Abgrenzung, obwohl sie mit den Merkmalen des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB in keinem Zusammenhang stehen.

 

Rz. 1446

Nach der jüngeren Rspr. kommt es bei der Abgrenzung des Handelsvertreters von der angestellten Vertriebskraft ausschließlich darauf an, ob er seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (BAG v. 9.6.2010, EversOK Ls. = NJW 2010, 2455; BAG v. 20.8.2003, EversOK Ls. 6 = NJW 2004, 461; LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 7 = BB 1999, 793; LAG Hamburg v. 21.11.2001 – 8 Sa 15/01, EversOK Ls. 2; LAG Hamburg v. 2.11.1993 – 7 Ta 14/93, EversOK Ls. 1; LAG Berlin v. 17.6.1999 – 10 Sa 567/99, EversOK Ls. 11; LAG München v. 5.10.1999 – 6 Sa 584/98, EversOK Ls. 2; LG Köln v. 15.7.2016 – 17 O 177/13, EversOK Ls. 1; ArbG Nürnberg v. 5.8.1996 – 12 Ca 4696/96, EversOK Ls.; ArbG Karlsruhe v. 25.4.2007 – 9 Ca 444/06, EversOK Ls. 17). Die mit § 84 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 HGB vorgegebenen Abgrenzungskriterien stehen de lege lata nicht zur Disposition der Rspr. (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 17 = BB 99, 793). Durch die Verwendung der Legaldefinition hat der Gesetzgeber die Bedeutung des Begriffes der Selbstständigkeit festgelegt. Eine Legaldefinition hat ein Auslegungsgebot zum Inhalt. Sie bindet das Gericht an das vorgegebene Rechtsverständnis (vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn 202). Zu der Auffassung, dass für die Abgrenzung des Handelsvertreters von der angestellten Vertriebskraft auf die Merkmale des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB abzustellen ist und nicht auf solche Anknüpfungspunkte abgestellt werden darf, die sich den gesetzlichen Unterscheidungsmerkmalen nicht zuordnen lassen, hat sich auch das BAG ausdrücklich bekannt (BAG v. 9.6.2010, EversOK Ls. = NJW 2010, 2455; BAG v. 20.8.2003, EversOK Ls. = NJW 2004, 461; BAG v. 20.9.2000, EversOK Ls. = NZA 2001, 210 = DB 2001, 280; BAG v. 15.12.1999, EversOK Ls. = DB 2000, 879 = BB 2000, 932 = ZIP 2000, 630 = DB 1999, 2648; BAG v. 15.12.1999, EversOK Ls. = AP Nr. 5 zu § 92 HGB). Verschiedene Obergerichte haben sich dem angeschlossen (LAG Mainz v. 16.2.2012 – 11 Sa 534/11, EversOK Ls.; LAG Düsseldorf v. 15.12.2011 – 15 Ta 565/11, EversOK Ls.; LAG Hamm v. 31.3.2009 – 14 Sa 728/08, EversOK Ls. 15; OLG Nürnberg v. 26.2.2009 – 12 W 307/09, EversOK Ls. 10; OLG Naumburg v. 8.3.2004, EversOK Ls. 4 = OLGR 04, 303).

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