Rz. 186

Praktiker kennen das Problem schon seit Jahrzehnten, dass Empfangsbekenntnisse verzögert oder mit mutmaßlich falschem Datum abgegeben werden. Der Verfasserin sind hier nicht nur zahlreiche Beispiele im Bereich der Rechtsmittel bekannt, sondern auch werden immer wieder im Bereich der Kostenfestsetzung Empfangsbekenntnisse von unterlegenen Parteien durch deren Prozessbevollmächtigte deutlich verspätet abgegeben. Hier scheint es darum zu gehen, die zweiwöchige Zahlungsfrist gem. § 798 ZPO für den eigenen Mandanten noch hinauszuzögern, da diese Zahlungsfrist erst mit der Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses zu laufen beginnt. Betroffen ist also in diesen Fällen nicht nur die Frist für die Einlegung einer etwaigen sofortigen Beschwerde, sondern vielfach eben auch die Zahlungsverpflichtung einer unterlegenen Partei. Hier sind zum Teil Verzögerungen von mehreren Wochen, sogar Monaten bekannt.

 

Rz. 187

 

Beispiel

Der unterlegenen Partei wird der Kostenfestsetzungsbeschluss förmlich (gegen Empfangsbekenntnis) an deren Prozessbevollmächtigte zugestellt. Die obsiegende Partei erhält, da antragsgemäß festgesetzt wurde, den Kostenfestsetzungsbeschluss formlos. Die beantragte vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses (bereits mit dem Antrag auf Kostenfestsetzung in Befürchtung einer notwendigen Zwangsvollstreckung beantragt) lässt auf sich warten, da diese erst erteilt wird, wenn das Empfangsbekenntnis an den Zahlungsverpflichteten zurückgelangt. Nach etwa drei bis vier Wochen erfolgt ein Telefonanruf bei der Geschäftsstelle, die darauf hinweist, dass sowohl die formlose Übermittlung als auch die förmliche Zustellung per Briefpost am selben Tag veranlasst wurde. Beide Kanzleien befinden sich in München. Das Empfangsbekenntnis, so die Auskunft der Geschäftsstelle, sei noch nicht zurückgelangt. Die Akte habe noch eine Wiedervorlage von zwei Wochen; man werde hier noch abwarten und dann an die Abgabe des Empfangsbekenntnisses erinnern. Der Bitte um zeitnahe Erinnerung will man folgen. Als auch nach vier Monaten immer noch keine vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vorliegt, erfolgt eine neuerliche telefonische Rückfrage. Nun wird mitgeteilt, dass, nachdem auf dreifache Erinnerung (!) hin das Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt worden ist, der Auftrag am selben Tag noch erteilt wird, die Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses gegen Postzustellungsurkunde (PZU) vorzunehmen. Das will die hier betroffene "obsiegende Kanzlei" nicht mehr abwarten und daher fordert der Prozessbevollmächtigte des obsiegenden Klägers den Prozessbevollmächtigten des unterlegenen Beklagten per Fax auf, noch am selben Tag den Nachweis über die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses an das Gericht vorzunehmen, da ansonsten die hier bereits vorbereitete Beschwerde an die Rechtsanwaltskammer erfolgen wird. Auf § 14 S. 1 BORA wird hingewiesen. Es wird ein Zeitfenster von drei Stunden für diesen Nachweis verlangt. Der Nachweis wird dann auch erbracht.

 

Rz. 188

Eine solche Vorgehensweise seitens des zur Abgabe des Empfangsbekenntnisses verpflichteten Prozessbevollmächtigten ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich:

Gem. § 14 S. 1 BORA sind Rechtsanwälte verpflichtet, bei einer ordnungsgemäßen Zustellung das Empfangsbekenntnis mit Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Sollte es sich um eine nicht ordnungsgemäße Zustellung, vgl. hierzu Rdn 72, 74 u. 285 in diesem Kapitel, handeln, ist die Mitwirkung bei der Zustellung ebenfalls unverzüglich zu verweigern, d.h. die Abgabe des Empfangsbekenntnisses mit entsprechender Begründung abzulehnen.
Rechtsanwälte verdienen als unabhängige Organe der Rechtspflege einen besonderen Vertrauensschutz, der bei einer derartigen missbräuchlichen Handhabung geeignet ist, nicht nur den Ruf der gesamten Anwaltschaft zu schädigen.
Der Prozessbevollmächtigte, der hier seinen berufsrechtlichen Pflichten nicht ordnungsgemäß nachkommt und dies offenbar "im Interesse" seines Mandanten tut, muss damit rechnen, dass bei einer später eingetretenen Insolvenz seines Mandanten und der dann daraus vielleicht folgenden Nichtbeitreibbarkeit der festgesetzten Kosten er zivilrechtlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Schadensersatzansprüche, die sich aus einer Missachtung des anwaltlichen Berufsrechts ergeben können, sind aus anderen Bereichen hinlänglich bekannt, so z.B. bei Verstoß gegen die Hinweispflicht zur Abrechnung nach Gegenstandswert[110] sowie bei Verstoß gegen die Hinweispflicht auf mögliche Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe.[111]
Ein solches Fehlverhalten kann dazu führen, dass es Kollegen im Gegenzug dazu animiert, sich ebenso zu verhalten, was zu einer weiteren Absenkung des Ansehens der Anwaltschaft führen kann.
Man darf davon ausgehen, dass Richter und auch Geschäftsstellen von einem derartigen Fehlverhalten im besten Falle "genervt" sind; im schlechtesten Fall sich den Namen des entsprechenden Anwalts merken. Es soll hier Richtern nicht unterstell...

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