(1) Allgemeines

 

Rz. 304

Auch wenn der Versicherungsnehmer fehlerhaft über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde, kommt in Einzelfällen ein Erlöschen des Widerspruchsrechts aufgrund von Verwirkung, unzulässiger Rechtsausübung oder Verjährung in Betracht.

 

Rz. 305

Das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass er seinen Versicherungsvertrag vor Widerspruch gekündigt hat. Ein Versicherungsnehmer, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde, konnte sein Wahlrecht zwischen Widerspruch und Kündigung nicht sachgerecht ausüben.[449]

 

Rz. 306

Nicht zu einem Erlöschen des Widerspruchsrechts führt darüber hinaus die beiderseitige vollständige Erbringung der Leistung. Eine analoge Anwendung von § 7 Abs. 2 S. 2 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 S. 2 HWiG in der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung, wonach das Widerspruchsrecht bei beiderseitiger vollständiger Erbringung der Leistung erlischt, kommt bei einer fehlerhaften Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Widerspruchsrecht weder bei einer Leistungserbringung durch den Versicherer vor dem 1.1.2003 noch ab dem 1.1.2003 in Betracht.[450] Der diesen Erlöschenstatbeständen zugrunde liegende Rechtsgedanke – die Schaffung von Rechtssicherheit nach Abwicklung des Schuldverhältnisses – lässt sich nach Auffassung des BGH nicht auf § 5a VVG a.F. übertragen.[451]

[450] BGH v. 27.1.2016 – IV ZR 488/14, VersR 2016, 450, 451 = r+s 2016, 285, 286.
[451] BGH v. 27.1.2016 – IV ZR 488/14, VersR 2016, 450, 451 = r+s 2016, 285, 286.

(2) Verwirkung

 

Rz. 307

Das Recht des Versicherungsnehmers zum Widerspruch kann verwirkt sein. Ob Verwirkung vorliegt, ist jeweils eine Frage des Einzelfalls. Dabei setzt Verwirkung nach der Allgemeinen Rechtsprechung ein Zeitmoment und ein Umstandsmoment voraus. Im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Widerspruchsrecht fehlt es regelmäßig am Umstandsmoment. Der Versicherer kann kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen, da er mit der nicht ordnungsgemäßen Belehrung des Versicherungsnehmers über das Widerspruchsrecht die Situation selbst herbeigeführt hat.[452]

 

Rz. 308

Das Widerspruchsrecht kann ausnahmsweise dann verwirkt sein, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten bei dem Versicherer den Eindruck erweckt hat, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH beispielsweise bei dem zweimaligen Einsatz des Versicherungsvertrags zur Sicherung eines Kredits der Fall.[453] Dagegen soll die einmalige Inanspruchnahme eines Policendarlehens durch den Versicherungsnehmer keinen Verwirkungseinwand begründen.[454] Das gleiche soll bei bloß einmaligem Einsatz der Versicherung zur Kreditsicherung ohne zeitlichen Zusammenhang zum Abschluss der Versicherung[455] sowie bei einem mehrfachen Wechsel des den Versicherungsvertrag betreuenden Versicherungsmaklers[456] gelten. Wurde der Versicherungsnehmer regelmäßig über die Anpassung von Versicherungsleistungen und -beiträgen im Rahmen von Dynamikanpassungen informiert, ohne dies zum Anlass für ein Auflösungsverlangen zu nehmen, begründet auch dies keinen Verwirkungseinwand.[457] Ob ein Verwirkungseinwand dann in Betracht kommt, wenn eine Widerspruchsbelehrung "nur marginale Fehler" aufweist, hat der BGH bisher ausdrücklich offen gelassen.[458] Nach Auffassung des BGH ist zumindest dann ein Belehrungsmangel nicht belanglos, wenn in der Belehrung ab dem 1.8.2001 der Hinweis auf die notwendige Textform des Widerspruchs fehlt[459] oder wenn in der Belehrung nicht alle fristauslösenden Unterlagen zutreffend benannt sind.[460]

[453] BGH v. 22.3.2016 – IV ZR 130/15, r+s 2016, 231.
[454] BGH v. 13.7.2016 – IV ZR 329/15, BeckRS 2016, 13784; BGH v. 27.1.2016 – IV ZR 488/14, VersR 2016, 450, 451 = r+s 2016, 285, 286.
[456] BGH v. 21.12.2016 – IV ZR 425/15, NJW-RR 2017, 151, 152; BGH v. 21.12.2016 – IV ZR 399/15, r+s 2017, 128,129; BGH v. 21.12.2016 – IV ZR 217/15, r+s 2017, 129, 130.
[457] BGH v. 21.12.2016 – IV ZR 339/15, r+s 2017, 130, 131.
[458] Vgl. BGH v. 24.2.2016 – IV ZR 126/15, BeckRS 2016, 04807, Rn 23; BGH v. 24.2.2016 – IV ZR 203/14, VersR 2016, 171, 172.
[459] BGH v. 24.2.2016 – IV ZR 126/15, BeckRS 2016, 04807, Rn 23.
[460] BGH v. 24.2.2016 – IV ZR 203/14, r+s 2016, 171, 172.

(3) Unzulässige Rechtsausübung

 

Rz. 309

Die Ausübung des Widerspruchsrechts durch den Versicherungsnehmer stellt nach der Rechtsprechung des BGH auch keinen Fall unzulässiger Rechtsausübung dar.[461] Der Versicherer ist im Verhältnis zu dem Versicherungsnehmer, der von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, regelmäßig nicht schutzbedürftig, da er selbst versäumt hat den Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht zu belehren.[462] Ausnahmsweise kann dann ein Fall unzulässiger Rechtsausübung vorliegen, wenn der Versicherungsnehmer sei...

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