Rz. 478

Das Anfechtungsrecht des Versicherers kann vor allem bei einem Verzicht des Versicherers entfallen. Ein solcher braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden. An die Feststellung eines konkludent geäußerten Verzichts sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Tritt der Versicherer in Kenntnis des Anfechtungsgrundes zurück, weil er davon ausgeht, durch den Rücktritt leistungsfrei zu werden, so liegt in der Rücktrittserklärung nicht gleichzeitig der Verzicht auf das Anfechtungsrecht.[803]

 

Rz. 479

Unter besonderen Umständen soll auch eine Verwirkung des Anfechtungsrechts durch dessen fristgerechte, aber späte Ausübung anzunehmen sein. Zwar könne der Versicherer grundsätzlich die Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB ausschöpfen. Habe der Versicherer jedoch in ungewöhnlicher Weise den Versicherungsnehmer in der Annahme bestärkt, der Vertrag werde nicht angefochten, könne die Verwirkung in Betracht kommen.[804]

 

Rz. 480

Die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Versicherer seine Nachfrageobliegenheit verletzt hat.[805] Die Versagung des Rücktrittsrechts wegen Verletzung der Nachfrageobliegenheit beruhe auf dem Rechtsgedanken unzulässiger Rechtsausübung in Fällen, in denen zu dem Entstehen eines Rechts eigenes Fehlverhalten gegenüber dem sich fehlverhaltenden Verhandlungspartner beigetragen hat. Verschweige oder entstelle ein Versicherungsinteressent arglistig Umstände, die er als gefahrerheblich erkennt und von denen er annehmen muss, dass sie für die Vertragsabschlussbereitschaft des Versicherers von Bedeutung sind, handle er in grobem Maße illoyal. In einem solchen Fall dürfe er sich nicht darauf berufen, dass der Versicherer es gleichfalls – allerdings in erheblich geringerem Maße und regelmäßig nur den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens rechtfertigend – treuwidrig unterlassen habe, die Übernahme des Risikos zu prüfen. Derjenige, der sich in besonders schwer vorwerfbarer Weise treuwidrig verhalte, dürfe den bewussten Missbrauch des Vertrauens seines Verhandlungspartners nicht damit rechtfertigen oder ungeschehen machen, dass diesem Nachlässigkeiten, Unaufmerksamkeiten und Versehen unterlaufen sind.[806]

[803] KG v. 20.1.1934, VA 1934, Nr. 2667.
[804] Honsell/Voit, § 22 VVG a.F. Rn 42.
[805] BGH v. 11.5.2011 – IV ZR 148/09, VersR 2011, 909, 910 = r+s 2011, 304, 305; BGH v. 7.3.2001 – IV ZR 254/00, VersR 2001, 620, 622; BGH v. 10.10.2001 – IV ZR 6/01, VersR 2001, 1541, 1542; OLG Saarbrücken v. 18.4.2012 – 5 U 293 – 11–41, BeckRS 2013, 02876; anders noch: BGH v. 25.3.1992 – IV ZR 55/91, VersR 1992, 603, 604.

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