Rz. 93

Die Neuregelung im Rahmen der VVG-Reform 2008 enthält als weitere Voraussetzung der (vollständigen oder teilweisen) Leistungsfreiheit das Kausalitätserfordernis. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer trotz der gesetzlich zunächst einmal geltenden Kausalitätsvermutung gem. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG den sog. Kausalitätsgegenbeweis führen kann: Soweit die Obliegenheitsverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist, bleibt die Leistungspflicht bestehen. Der Kausalitätsgegenbeweis ist allerdings (noch) nicht geführt, wenn offen bleibt, ob dem Versicherer Feststellungsnachteile durch das Unterlassen von Maßnahmen entstanden sind, die er bei Erfüllung der Obliegenheit getroffen hätte (OLG Celle zfs 2018, 159). Lediglich bei einer arglistigen Obliegenheitsverletzung (vom Versicherer zu beweisen) kommt es nicht auf die Kausalität an (§ 28 Abs. 3 VVG).

 

Rz. 94

 

Hinweis

Zu berücksichtigen ist hinsichtlich des Kausalitätserfordernisses, dass die Leistungspflicht bestehen bleibt, soweit keine Kausalität vorliegt, was bedeutet, dass ggf. nur der durch die Obliegenheitsverletzung eingetretene Mehrschaden nicht zu ersetzen ist.

 

Rz. 95

Aufgrund der Neuregelung kommt es nunmehr auch bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung auf die Kausalität an. Lediglich bei vom Versicherer zu beweisender Arglist, die in der Praxis allenfalls bei Falschangaben im Schadenformular eine Rolle spielen dürfte, entfällt das Kausalitätserfordernis.

 

Rz. 96

Da nunmehr auch bei Vorsatz eine Obliegenheitsverletzung nur dann zur Leistungsfreiheit führt, wenn Kausalität vorliegt, ist aufgrund der neuen Rechtslage die bisherige Relevanzrechtsprechung des BGH hinfällig. Diese war allein deswegen geschaffen worden, um bei einer nicht kausalen vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung die nicht stets gerechtfertigt erscheinende Sanktion der vollständigen Leistungsfreiheit einzuschränken. Dieses Problem besteht nach neuer Rechtslage nicht mehr.

 

Rz. 97

 

Hinweis

Eine Herausforderung für die Praxis stellt die Frage dar, wann bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort eine Kausalität anzunehmen ist. Da es sich um eine reine Vorsatztat (§ 142 StGB) handelt und es nach bisherigem Recht nicht auf die Kausalität, sondern im Rahmen der Relevanzrechtsprechung lediglich auf die Eignung zur Interessengefährdung ankam, stellt sich nunmehr ein völlig neues Problem (vgl. dazu Majerle, VersR 2011, 1492).

Dabei geht die inzwischen vorliegende Rechtsprechung davon aus, dass die durch die Unfallflucht verhinderte Möglichkeit der Feststellungen zum Fahrer des Kfz und zu seiner Alkoholisierung oder Drogenbeeinflussung (Feststellungsnachteile) bereits für die Kausalität ausreicht, sodass in diesem Fall der Kausalitätsgegenbeweis nicht geführt werden könne (OLG Naumburg zfs 2012, 696; OLG Frankfurt VersR 2016, 47 = zfs 2015, 396; LG Dortmund r+s 2017, 524; a.A. OLG Hamm VersR 2018, 929: Bei Aufgreifen durch Polizei relativ kurz nach Unfall zur Mittagszeit und Fehlen von Anhaltspunkten für Alkoholisierung Kausalitätsgegenbeweis geführt; LG Hamburg zfs 2018, 333).

Ein Teil der Rechtsprechung geht sogar davon aus, dass bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort stets Arglist anzunehmen sei, sodass der Kausalitätsgegenbeweis ohnehin gem. § 28 Abs. 3 VVG ausscheide (KG r+s 2016, 73; OLG Frankfurt am Main r+s 2016, 70; LG Saarbrücken zfs 2010, 630; LG Düsseldorf zfs 2015, 695 m. Anm. Schulz-Merkel, jurisPR-VersR 1/2006 Nr. 5; LG Wuppertal zfs 2016, 210). Diese pauschale Annahme ist jedoch zugunsten einer sorgfältigen Prüfung des konkreten Einzelfalles abzulehnen (BGH VersR 2013, 175; OLG Saarbrücken VersR 2018, 415; VersR 2016, 1368; OLG Hamm VersR 2018, 929; OLG Stuttgart VersR 2019, 809 = zfs 2020, 214; LG Hechingen r+s 2018, 296; LG Karlsruhe DAR 2017, 468; Maier, r+s 2016, 64, 65).

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