Rz. 19

Bereits bei der ersten Kontaktaufnahme zwischen einem auseinandersetzungswilligen Gemeinschafter und seinem Rechtsanwalt hat Letzterer eine umfassende Beratungs- und Aufklärungspflicht. Um dieser in ausreichendem Maße nachkommen zu können, muss der Anwalt über das Verfahren und seine Tücken umfassende Kenntnisse haben. Auch muss er den Sachverhalt gründlich überprüfen.

Zu diesem Zwecke sollte er sich von einem auseinandersetzungswilligen Gemeinschafter auf jeden Fall zumindest folgende Unterlagen vorlegen lassen:

a) beglaubigte oder unbeglaubigte Grundbuchblattabschrift neueren Datums
b) Namen und Anschriften der weiteren Gemeinschafter
c) Valutenstandsmitteilungen der eingetragenen Grundpfandrechtsgläubiger
d) Eintragungsbewilligungen bzgl. der in Abt. II eingetragenen Rechte
e) Gutachten – falls vorhanden (möglichst keine Beleihungswertgutachten)

Bereits bei Erteilung des Mandates kann es nämlich Hinweise auf eine evtl. Unversteigerbarkeit der Immobilie – z.B. wegen eines zu hohen geringsten Gebots – geben. Hierzu folgendes Beispiel:

 

Rz. 20

 

Beispiel

Teilungsversteigerung eines Wohneigenheims. Eigentümer sind geschiedene Eheleute zu je ½ Anteilen. Der Verkehrswert der Immobilie beträgt 160.000 EUR. Die Grundbuchlage sieht wie folgt aus:

 
  ½ Anteil Ehemann ½ Anteil Ehefrau
III/1 – 100.000 EUR GS 100.000 EUR 100.000 EUR
III/2 – 75.000 EUR GS 75.000 EUR
III/3 – 80.000 EUR GS 80.000 EUR

Die Gerichtskosten betragen schätzungsweise 2.500 EUR, evtl. Grundbesitzabgabenforderungen bleiben zunächst außer Betracht. Für den Gläubiger III/1 werden überschlägig Zins- und Kostenansprüche i.H.v. 10.000 EUR angenommen. Die Gläubiger der Rechte III/2 und III/3 haben keine Forderungen gegen die Eigentümer mehr. Letztere haben allerdings von den ihnen ausgehändigten Löschungsunterlagen noch keinen Gebrauch gemacht.

Eine der Parteien erscheint bei einem Rechtsanwalt, um ihm das Mandat für das beabsichtigte Teilungsversteigerungsverfahren zu erteilen (an die Stelle des Ehemannes könnte auch genauso gut eine Erbengemeinschaft bestehend aus der Ehefrau und den gemeinschaftlichen Kindern getreten sein – vgl. oben Rdn 4). Für die Lösung dieses Beispielsfalles soll zunächst der Ehemann Antragsteller sein.

Nach Sichtung der vorgelegten Unterlagen kann der Anwalt mit den ihm zur Verfügung stehenden Daten bereits überschlägig das voraussichtliche geringste Gebot aufstellen, das aus dem bestehen bleibenden Rechten und dem bar zu zahlenden Teil besteht (dazu später ausführlich mehr).

Gemäß § 182 ZVG bleiben bestehen

a) das Recht III/1, da es den Anteil des Ehemannes (mit-)belastet,
b) das Recht III/2, da es (nur) den Anteil des Ehemannes belastet.

Das Recht III/3 erlischt, da es den Anteil des Ehemannes weder (mit-)belastet noch einem (mit-)belastenden Recht (hier III/1 u. 2) im Range vorgeht oder gleichsteht.

In das geringste Gebot sind also die Rechte III/1 und III/2 mit ihren Kapitalbeträgen von insgesamt 175.000 EUR einzustellen.

In den zu zahlenden Teil des geringsten Gebotes ist neben den Verfahrenskosten (§ 109 ZVG), den evtl. Ansprüchen aus den Rangklassen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2–4, 7, 8 und Abs. 2 ZVG (hier insbesondere die Kosten und Nebenleistungen aus den bestehen bleibenden Rechten) der Ausgleichsbetrag gem. § 182 ZVG einzustellen. Dieser beträgt im vorliegenden Fall infolge der Mehrbelastung des Anteils des Ehemannes 75.000 EUR (zzgl. evtl. Kosten und Nebenleistungen, die hier ja nicht zu berücksichtigen sind). Das geringste Gebot sieht also wie folgt aus:

 
A. Bestehen bleibende Rechte:  
  III/1 – Grundschuld 100.000 EUR
  III/2 – Grundschuld 75.000 EUR
    175.000 EUR
B. Zu zahlender Teil:  
  1. Gerichtskosten 2.500 EUR
  2. Zinsen III/1 10.000 EUR
  3. Ausgleichsbetrag 75.000 EUR
    87.500 EUR
  Gesamtbetrag des geringsten Gebots 262.500 EUR

Falls die Ehefrau das Verfahren betreiben wollte, würde der Gesamtbetrag des geringsten Gebots auch 272.500 EUR betragen (überprüfen Sie selbst!).

Bei einem Vergleich mit dem festgesetzten Verkehrswert lässt sich bereits jetzt unschwer erkennen, dass das Objekt bei dieser Grundbuchlage wohl kaum versteigerbar sein wird, da das geringste Gebot den Verkehrswert deutlich übersteigt.

Anders würde sich der Fall darstellen, wenn die Eigentümer von den ihnen zur Verfügung stehenden Löschungsunterlagen Gebrauch machen würden (Löschung der Rechte III/2 bzw. III/3). In diesem Fall würde sich der Gesamtbetrag des geringsten Gebotes unabhängig davon, wer das Verfahren betreibt, auf 112.500 EUR vermindern.

 

Rz. 21

Hier hat bereits die Beratung des Anwalts anzusetzen, da die Überlegungen zur voraussichtlichen Höhe des geringsten Gebots bereits bei der Mandatserteilung anzustellen sind, um dem Mandanten ein unnötiges und kostspieliges Verfahren zu ersparen. Leider geschieht dies viel zu selten. Außerdem kommt nur ein zufriedener Mandant wieder und macht daneben in seinem privaten wie beruflichen Umfeld Werbung für den Anwalt.

Dem Beispielsfall liegt ein konkretes Verfahren zugrunde, in dem allem A...

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