Rz. 547

Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann der Richter darüber hinaus abgelehnt werden, wenn die Besorgnis der Befangenheit besteht.

 

Rz. 548

Die Besorgnis der Befangenheit besteht nach § 42 Abs. 2 ZPO, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein solcher Grund, der die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, liegt vor, wenn bei sachlicher Würdigung aller Umstände durch eine verständige Partei die tatsächlichen Parteien Anlass haben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.[392]

 

Rz. 549

Unerheblich ist, ob der abgelehnte Richter tatsächlich voreingenommen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Ausreichend ist allein die "Besorgnis" der Befangenheit. Es kommt es allein darauf an, ob vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der betreffende Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.[393]

 

Rz. 550

 

Tipp

Mit dem Instrument der Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit sollte nicht leichtfertig umgegangen werden. Der Bevollmächtigte wird deshalb gehalten sein, die Frage, ob ein Grund vorliegt, der die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, anhand sachlicher Kriterien und unter Berücksichtigung der breiten Kasuistik in der Rechtsprechung zu prüfen.

 

Rz. 551

Die Bevollmächtigten und die Parteien sollten es grundsätzlich schätzen, wenn der Richter während der Erörterung des Sach- und Streitstandes in der mündlichen Verhandlung seine Auffassungen deutlich zum Ausdruck bringt. Auch wenn der Richter dabei an die Grenzen der vorweggenommen Beweiswürdigung stößt, sollte dies grundsätzlich nicht als Ablehnungsgrund genutzt werden.[394] Vielmehr kann dies willkommener Anlass sein, den eigenen Vortrag auf die vom Richter aufgezeigten vermeintlichen Schwachstellen erneut zu fokussieren, ergänzend vorzutragen und die die eigene Position stützende Rechtsprechung aufzuarbeiten. Die Offenheit des Richters kann so zur Optimierung des eigenen Prozessverhaltens und damit auch des Prozesserfolges genutzt werden. Viel nachteiliger kann es sein, wenn ein Richter aus Sorge um eine Ablehnung wegen Befangenheit nicht erkennen lässt, wie er den Sach- und Streitstand einschätzt.

 

Rz. 552

Die Rechtsprechung zeigt eine kaum noch zu überblickende Anzahl von Einzelentscheidungen zu § 42 ZPO.[395] Nachfolgend sollen deshalb allein wesentlichen Fallgruppen benannt werden:

[392] BVerfG NJW 1987, 430; NJW 1993, 2230.
[393] BGH NJW 2004, 164; BGH NJW-RR 2003, 1220; BGH NJW 2002, 2396; BayObLG NJW 1999, 1875; OLG Köln NJW-RR 2000, 591; OLG Naumburg, NJW-RR 2002, 502; Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 42 Rn 11.
[394] Äußerungen zum möglichen Verfahrensausgang begründen ohnehin in der Regel keine Ablehnung: OLG Stuttgart NJW 2001, 1145.
[395] Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 42 Rn 11 ff.

a) Enge Beziehungen des Richters zu einer Partei als Ablehnungsgrund

 

Rz. 553

§ 41 Nr. 1–4 ZPO erfasst bereits diejenigen Fälle, in denen der Richter rein formal zu einer Partei des Rechtsstreits ein so enges Verhältnis hat, dass die Vermutung der Befangenheit dieser Nähe innewohnt. Folge ist, dass der Richter schon kraft Gesetzes von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen ist.

 

Rz. 554

Darüber hinaus kommen weitere Fallgestaltungen in Betracht, in denen der Richter aufgrund seiner Nähe zu einer der Prozessparteien der Besorgnis Befangenheit ausgesetzt ist, nämlich:

soweit der Richter oder einer seiner nahen Angehörigen in geschäftlichen Beziehungen zu einer der Parteien steht;[396]
wenn der Richter mit einer der Parteien verlobt oder in einer Lebensgemeinschaft verbunden ist;

wenn der Richter mit einer Partei eng persönlich befreundet ist;[397]

 

Hinweis

Ein bloßes Kennen des Richters und einer Partei genügt dabei nicht. Erforderlich ist vielmehr eine engere persönliche Freundschaft, die vermuten lässt, dass der Richter die notwendige Distanz zu den Parteien und zum Streitgegenstand nicht wahren kann.

wenn der Richter Mitglied in einer juristischen Person oder eines ihrer Organe ist, die am Rechtsstreit beteiligt ist.[398] Anderes gilt, wenn es sich um einen Verein mit einer größeren Mitgliederzahl handelt, ohne dass der Richter eine Beziehung zu den Parteien oder dem Streitgegenstand hat;[399]

 

Hinweis

Allein die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft[400] oder in einer politischen Partei[401] genügen nur dann als Ablehnungsgrund, wenn der abgelehnte Richter hier eine exponierte Stellung innehat und die Gewerkschaft oder die politische Partei selbst Partei ist.

wenn der Richter mit einer Partei verfeindet ist, insbesondere wenn wechselseitige Strafanzeigen wegen Rechtsbeugung und Beleidigung vorliegen;[402]
wenn eine Partei Vermieter der vom Richter gemieteten Wohnung ist;[403]
wenn der Richter aufgrund einer vorherigen dienstlichen Stellungnahme für den Antragsgegner in seiner Eigenschaft als Referent mit der Streitsache befasst war.[404]
wenn ein Richter der Lebensgefährte der Tochter d...

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