Rz. 6

Grob fahrlässig i.S.d. § 442 Abs. 1 S. 2 BGB handelt der Käufer, der einen Mangel nur deshalb nicht erkennt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, also schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedermann einleuchten müsste.[14] Auch hier kommt es auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, nicht der Übergabe an (vgl. Rdn 5).

 

Rz. 7

Für die Beurteilung kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Für den Kfz-Händler gilt ein höherer Sorgfaltsmaßstab als für den Privatmann, insbesondere die Untersuchungspflicht ist intensiviert.[15]

[14] BGH NJW-RR 1994, 1471.
[15] Bamberger/Roth/Faust, § 442 Rn 20.

1. Privatmann

 

Rz. 8

Vom Privatmann wird regelmäßig keine Untersuchung erwartet.[16] Auch das Unterlassen einer Probefahrt,[17] einer Sichtprüfung oder der Frage nach der Unfallfreiheit[18] kann in der Regel allenfalls als fahrlässig – aber nicht als grob fahrlässig – beurteilt werden,[19] wenn man vom Fachhandel mit einem gewissen Vertrauensvorschuss kauft.

 

Rz. 9

Dagegen kommt grobe Fahrlässigkeit in Betracht, wenn bei einem älteren Fahrzeug mit hoher Laufleistung beim Kauf von Privat keine Probefahrt und Besichtigung durchgeführt wird;[20] erst recht dann, wenn der Käufer eine sachkundige Hilfsperson hinzugezogen hat.[21] Hat der Käufer z.B. Kenntnis von Durchrostungen am Fahrzeugunterboden, ist es als grob fahrlässig zu bewerten, wenn er sich nicht durch gezielte Überprüfung oder Fragen an den Verkäufer über den sonstigen Karosseriezustand vergewissert.[22] Auch bei einem stillgelegten Fahrzeug sind die Anforderungen erhöht,[23] ebenso bei einem Oldtimer mit einem erklärtermaßen oberflächlichen Gutachten und ungenauer Zustandsbewertung.[24]

 

Rz. 10

 

Praxistipp

Ist im schriftlichen Vertrag vermerkt, dass der Käufer das Fahrzeug genau untersucht hat (z.B. auf Rost, den Unterboden usw.), muss diese Textpassage gestrichen werden, falls tatsächlich keine Untersuchung erfolgt ist, da sonst der Käufer trotz Mängeln seine Käuferrechte wegen § 442 Abs. 1 S. 2 BGB verlieren kann, wenn er nicht die Unrichtigkeit der vertraglichen Aussage beweisen kann.

[16] OLG Köln NJW 1973, 903.
[17] BGH NJW 1977, 1095.
[18] OLG Brandenburg OLGR 1995, 89.
[19] Reinking/Eggert, Rn 3919.
[20] OLG Frankfurt zfs 1992, 230; OLG Köln NJW-RR 1992, 49; OLG Hamm DAR 1995, 446.
[21] LG Münster NZV 1988, 145.
[22] AG Nienburg zfs 1993, 304.
[23] LG Karlsruhe DAR 1981, 152.

2. Händler

 

Rz. 11

Im Kfz-Handel ist es heute allgemein üblich, einen Gebrauchtwagen beim Einkauf einer Sicht- und Funktionsprüfung zu unterziehen. Ein Ankauf ohne diese Prüfung wird regelmäßig als grob fahrlässig beurteilt,[25] teilweise auch als stillschweigender Haftungsverzicht,[26] auch beim Kauf des Händlers vom Händler.[27] Ein Autohändler handelt grob fahrlässig, wenn er die Typangabe eines Fahrzeugs im Fahrzeugbrief nicht überprüft und deshalb verkennt, dass das Fahrzeug trotz äußerer Ähnlichkeit nicht von dem angenommenen Hersteller stammt.[28]

[25] OLG Oldenburg MDR 1962, 901; OLG Düsseldorf BB 1972, 857.
[26] BGH NJW 1982, 1700.
[27] AG Menden NZV 2003, 194.

3. Garantieübernahme durch Verkäufer oder Arglist

 

Rz. 12

Der Käufer behält seine Rechte trotz grob fahrlässiger Unkenntnis, wenn der Verkäufer eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen oder den Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 442 Abs. 1 S. 2 BGB).

a) Garantieübernahme

 

Rz. 13

Gemeint ist vom Gesetzgeber die Beschaffenheitsgarantie, für die der Verkäufer gem. § 276 einzustehen hat (vgl. § 11 Rdn 268 ff.).[29] Vom Wortlaut umfasst ist aber auch die Haltbarkeitsgarantie gem. § 443 BGB.[30] Insoweit muss im Einzelfall aus dem Empfängerhorizont geklärt werden, ob die Garantiehaftung trotz grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels gewollt ist.[31] Nicht ausreichend ist insoweit die Beschreibung der Kaufsache im Vertrag oder in der Bedienungsanleitung.[32]

[29] BT-Drucks 14/6040, 236.
[30] Bamberger/Roth/Faust, § 442 Rn 26; Palandt/Weidenkaff, § 442 Rn 19.
[31] BGH NJW 1996, 1337; Palandt/Weidenkaff, § 442 Rn 19.
[32] Palandt/Weidenkaff, § 442 Rn 19.

b) Arglist

 

Rz. 14

Arglist geht weiter als Vorsatz (vgl. § 11 Rdn 240), setzt zumindest Eventualvorsatz voraus,[33] jedoch keinen Betrug i.S.d. § 263 StGB.[34] Verlangt wird nicht nur ein bewusster und gewollter Pflichtverstoß, sondern auch die Gewissheit, beim Käufer einen Irrtum über die Beschaffenheit der Kaufsache hervorzurufen oder zu unterhalten.[35] Eine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht wird dagegen nicht verlangt.[36] Damit wird eine schwer greifbare Grenze zum strafrechtlich relevanten Betrug (§ 263 StGB) gezogen.[37] Arglist erfasst nicht nur ein Verhalten des Veräußerers, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz i.S. eines "Inkaufnehmens" reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss.[38]

Im Einzelnen setzt Arglist subjektiv voraus,[39] dass der Verkäufer:

den Mangel bei Abschluss des Vertrags ...

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