Rz. 1

Bis zur WEG-Novelle 2007 galt für WEG-Streitigkeiten das Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG), eine von der Zivilprozessordnung (ZPO) in vielfacher Hinsicht abweichende Verfahrensordnung. Die Parteien hießen nicht Kläger und Beklagter, sondern Antragsteller und Antragsgegner. Es galt der Grundsatz der Amtsermittlung: Der Richter war nicht an bestimmte Anträge gebunden, sondern nahm einen Antrag zum Anlass, um von Amts wegen eine zweckmäßige Entscheidung nach billigem Ermessen zu treffen. Wer einen Beschluss anfechten wollte, musste die Beschlussanfechtungsklage nicht gegen die Gemeinschaft richten (die vor 2005 bzw. vor 2007 noch nicht als rechtsfähiges Subjekt anerkannt war), sondern gegen seine Miteigentümer. Mit der WEG-Novelle 2007 wurden WEG-Streitigkeiten dem Regime der Zivilprozessordnung (ZPO) unterstellt. Es blieb aber bei dem Grundsatz, dass Anfechtungs- und Beschlussersetzungsklagen gegen "die übrigen Eigentümer" zu richten waren, die im Prozess vom Verwalter vertreten wurden. Die damit verbundenen zahlreichen Probleme hat die WEG-Reform 2020 auf einen Schlag eliminiert, weil Beschlussklagen nunmehr gegen die Gemeinschaft zu richten sind. Beseitigt hat das neue Recht auch das mit der WEG-Reform 2007 eingeführte Institut der Beiladung des Verwalters sowie die noch aus der FGG-Zeit stammende Möglichkeit, dem Verwalter in bestimmten Fällen die Prozesskosten einer Anfechtungsklage aufzuerlegen (§ 49 Abs. 2 WEG a.F.). Unvermeidbar hat die WEG-Reform 2020 aber neue prozessuale Probleme im Gepäck, welche die Praxis in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Im Folgenden wird das gerichtliche Verfahren nur insoweit dargestellt, als es um die für WEG-Streitigkeiten spezifisch relevanten Fragen geht. Im Übrigen kann dieses Buch einen ZPO-Kommentar nicht ersetzen. Nur einige wenige allgemeine prozessuale Fragen, die typischerweise in WEG-Streitigkeiten relevant sind, werden nachfolgend angesprochen.

 

Rz. 2

Gem. § 15a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO kann durch landesrechtliche Bestimmungen in bestimmten Fällen ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor einer anerkannten Gütestelle vorgesehen werden. Bis 2013 musste in manchen Bundesländern ein solches Schlichtungsverfahren in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bei "Bagatellfällen" bis zu einem Streitwert von 750,00 EUR durchgeführt werden; aktuell existiert aber in keinem Land eine solche Regelung. Hingegen ist in einigen Bundesländern gem. § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO Vorschriften das obligatorische Schlichtungsverfahren in bestimmten Nachbarstreitigkeiten vorgesehen.[1] Diese Vorschriften gelten richtigerweise aber nicht bei Streitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern bzw. zwischen der Gemeinschaft und Wohnungseigentümern, namentlich bei Unterlassungs- oder Beseitigungsklagen.[2] Die Frage ist aber streitig und noch nicht höchstrichterlich entschieden.[3] Richtigerweise muss ein etwaiges nach Landesrecht für Nachbarstreitigkeiten vorgesehenes obligatorisches Schlichtungsverfahren auch nicht bei einer Klage der Gemeinschaft gegen störende Mieter durchlaufen werden (str.).[4] Anfechtungsklagen muss in keinem Fall ein Schlichtungsverfahren vorangehen, weil sie binnen einer gesetzlichen Frist zu erheben sind (§ 15a Abs. 2 Nr. 1 EGZPO).

 

Rz. 3

Eine Gemeinschaftsordnung kann wirksam eine Schiedsvereinbarung i.S.v. § 1030 ZPO des Inhalts enthalten, dass Streitigkeiten statt von den staatlichen Gerichten von einem Schiedsgericht entschieden werden. Häufig anzutreffen sind derartige Schiedsvereinbarungen indes aus gutem Grund nicht. Eine Gemeinschaftsordnung kann ferner für interne Streitigkeiten als "Vorschaltverfahren", das vor einer etwaigen gerichtlichen Klärung zu durchlaufen ist, eine Schlichtung o.Ä. vorsehen; ein solches "Vorschalterfordernis" gilt aber nicht bei Anfechtungsklagen.[5]

 

Rz. 4

Bei der Auslegung eines Klageantrags ist die Rspr. großzügig. Bei fehlerhaften Anträgen "ist nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten.[6] Ob nach diesen Grundsätzen eine fehlerhafte Parteibezeichnung geheilt werden kann, ist fraglich (→ § 13 Rdn 15)."

 

Rz. 5

Vor den Amtsgerichten besteht (anders als vor den Landgerichten gem. § 78 ZPO) kein Anwaltszwang. Eigentümer können eine Klage demnach ohne Rechtsanwalt gem. §§ 130, 133 ZPO wirksam auf Papier in zweifacher Ausfertigung unterschrieben einreichen. Verwalter können eine beklagte Gemeinschaft selbst vor Gericht vertreten (→ § 10 Rdn 296). Dass es erfahrungsgemäß nicht ratsam ist, Prozesse ohne anwaltliche Hilfe führen zu wollen, steht auf einem anderen Blatt. Rechtsanwälte dürfen seit dem 1.1.2022 Schriftsätze...

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