Rz. 219

Wegzugsklauseln ohne Entschädigungsregelung sind dem Grunde nach zulässig.[492] Der BGH hat dazu entschieden, dass niemand verpflichtet ist, mehr für seine Altersversorgung zu tun, als seine Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten.[493] Die Ausgestaltung bedarf aber in jedem Einzelfall der individuellen Prüfung und Ausrichtung.[494] Insbesondere drittbetroffene, elternunterhaltspflichtige Kinder versuchen manchmal, sich gegen diese Klauseln mit dem Argument der Sittenwidrigkeit solcher Vereinbarungen zu wehren.

 

Rz. 220

 

Fallbeispiel 112: Die Mutter und das vereinbarte Erlöschen des Wohnungsrechts

Der Sozialhilfeträger machte aufgrund übergegangenen Rechts rückständige Ansprüche der Mutter gegen ihren sehr gut verdienenden Sohn S 1 auf Zahlung von Elternunterhalt geltend. Die Söhne S 2 und S 3 sind nicht elternunterhaltsleistungsfähig für die Heimkosten der Mutter, die sich seit Anfang 2013 in einem Seniorenheim befand.

S 1 wendete ein, die Mutter habe ein Erbbaurecht veräußert und dies stelle sich zum Teil als gemischte Schenkung dar. Die Mutter habe sich nicht nur ein Wohnungsrecht vorbehalten dürfen, sondern ein Nießbrauchsrecht. Die Wegzugs- und Erlöschensklausel für den Fall der Heimpflegebedürftigkeit sei sittenwidrig.

 

Rz. 221

Falllösung Fallbeispiel 112:

Das OLG Hamm[495] hat die behauptete gemischte Schenkung nach dem Grundsatz der subjektiven Äquivalenz auf der subjektiven Tatbestandsebene des Schenkungsrückforderungsanspruchs verneint.

Die vereinbarten Wegzugsklauseln hat das OLG trotz der BGH-Entscheidung nicht ohne weiteres akzeptiert, sondern die Umstände der Vereinbarung umfassend beleuchtet und erst dann akzeptiert. Die Beteiligten hätten mehr als verständliche und zu billigende Gründe dafür gehabt, mit der Wegzugsklausel einen zusätzlichen Erlöschenstatbestand in Bezug auf das Wohnungsrecht zu schaffen. Von einer geplanten Abwälzung aufgrund absehbarer Pflegebedürftigkeit der Mutter könne keine Rede sein. Den Vertragsparteien habe die Vertragsgestaltung aufgrund der Vertragsfreiheit im Rahmen der durch die Rechtsordnung gezogenen Grenzen auch freigestanden. Eine Verpflichtung, sich weitergehende oder "bessere" Rechte vorzubehalten, habe nicht bestanden.

Nach dieser Entscheidung muss wohl auch weiterhin damit gerechnet werden, dass Wegzugsklauseln von der Praxis nicht einfach "durchgewunken" werden, sondern im Einzelfall einer Rechtfertigungsprüfung standhalten müssen.

[492] Vgl. hierzu ausführlich Grziwotz, Vermögensübertragung vor Pflegebedürftigkeit und Heim, in: Richter/Doering-Striening/Schröder/Schmidt, Seniorenrecht in der anwaltlichen und notariellen Praxis, § 8 Rn 54 ff. (I. Hausübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge); Muster bei von Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 3. Kap., S. 140 f.; Heinemann/Fackelmann, Kölner Formularbuch Grundstücksrecht, Rn 303 ff.; OLG Hamm v. 30.10.2017 – Az.: 13 UF 256/16, Rn 38.
[493] BGH v. 6.12.2009 – Az.: V ZR 130/08, ZEV 2009, 254 m. Anm. Litzenburger; Zimmer, ZEV 2009, 382, 383.
[494] Vgl. hierzu z.B. ausführlich J. Mayer, Pflegeklauseln und Sozialhilferegress – Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und praktische Formulierungsvorschläge, in: Preis/Schmoeckel, Rechtliche Risikoabsicherung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit, 2012, S. 45, 68 ff.; Heinemann/Fackelmann, Kölner Formularbuch Grundstücksrecht, Rn 303 ff.

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