1. Grundsätzliches

 

Rz. 239

Für den überlebenden Ehegatten aus einer Zugewinngemeinschaftsehe ergeben sich für das Verhältnis von Pflichtteil und Ausschlagung Besonderheiten aus den §§ 2303 Abs. 2 S. 2, 1371 Abs. 3 BGB. Danach kann er ausschlagen und behält dennoch den Pflichtteil, auch wenn dies sonst nach den allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften (siehe Rdn 218) nicht der Fall wäre. Wird der Ehegatte Erbe oder Vermächtnisnehmer, so bemisst sich sein Pflichtteil nach dem gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Ehegattenerbteil (sog. großer Pflichtteil).[433] Wird der überlebende Ehegatte weder Erbe noch Vermächtnisnehmer, so kann er nach der sog. Einheitstheorie der h.M. ausschließlich den sog. kleinen Pflichtteil (berechnet aus dem nicht nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbteil) sowie den güterrechtlichen Zugewinnausgleich, der sich rechnerisch genau nach den §§ 1372 ff. BGB bestimmt, verlangen.[434] Dabei ist es gleichgültig, ob der Erblasser den Ehegatten enterbt hat oder ob der Ausschluss von der Erbfolge durch Ausschlagung der Zuwendung herbeigeführt wurde (§ 1371 Abs. 3 BGB).[435] Die Zugewinnausgleichsforderung rangiert dabei dem Range nach vor Vermächtnisansprüchen und Pflichtteilsansprüchen anderer (arg. e § 327 Abs. 1 InsO) und verringert daher die Höhe des der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legenden Nachlasses entsprechend (§ 2311 Abs. 1 BGB). Daneben beeinflusst natürlich die Höhe des Ehegattenerb- und -pflichtteils die Pflichtteilsquote der anderen Pflichtteilsberechtigten.

 

Rz. 240

Entsprechendes gilt auch für einen eingetragenen Lebenspartner, wenn auch hier die Zugewinngemeinschaft im Erbfall bestand (§ 6 S. 2 LPartG).

 

Rz. 241

Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild:

[433] Palandt/Weidlich, § 2303 Rn 16; dieser "große Pflichtteil" hat auch für den Ehegatten selbst erhebliche Bedeutung, insbesondere für die Bemessung des Pflichtteilsrestanspruchs (§§ 2305, 2307 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB), wenn die ihm gemachte Zuwendung (Erbteil, Vermächtnis) diesen nicht deckt.
[434] BGHZ 42, 182 = NJW 1964, 2404; BGH NJW 1982, 2497; J. Mayer, in: Bamberger/Roth, § 1371 Rn 21.
[435] Palandt/Brudermüller, § 1371 Rn 18.

2. Erbeinsetzung unter dem großen Pflichtteil

 

Rz. 242

Ist der überlebende Ehegatte mit einem Erbteil bedacht, der geringer ist als der sich aus §§ 1931, 1371 Abs. 1 BGB ergebende "große Pflichtteil", so hat der überlebende Ehegatte nach § 2305 BGB einen Pflichtteilsrestanspruch bis zum großen Pflichtteil. Schlägt der Ehegatte das Erbe aus, so steht ihm nach § 1371 Abs. 3 BGB der Anspruch auf den kleinen Pflichtteil, berechnet nach dem nicht gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbteil, und nach § 1371 Abs. 2 BGB der Anspruch auf den rechnerischen Zugewinnausgleich zu.

 

Rz. 243

Ist der Ehegatte bei dieser Situation mit einem belasteten oder beschwerten Erbteil bedacht, kann er für Erbfälle ab dem 1.1.2010 gem. § 2306 Abs. 1 BGB immer ausschlagen, ohne seinen Pflichtteil zu verlieren.[436]

[436] Ausführlich siehe § 3 Rdn 5 ff.

3. Vollständige Enterbung ohne Vermächtniszuwendung, Ausschlagung

 

Rz. 244

Wird der Ehegatte in keiner Weise bedacht oder schlägt er aus, obwohl der hinterlassene Erbteil größer ist als der große Pflichtteil, so erhält der überlebende Ehegatte gem. § 1371 Abs. 2 und 3 BGB den "kleinen Pflichtteil" zuzüglich eines etwa vorhandenen Zugewinnausgleichs ("güterrechtliche Lösung"). Er hat nach ganz überwiegender Meinung in diesem Fall nicht ein Wahlrecht zwischen der güterrechtlichen Lösung und dem großen Pflichtteil ohne Zugewinnausgleich.[437]

[437] BGHZ 42, 182; BGH NJW 1982, 2497; Palandt/Brudermüller, § 1371 Rn 15.

4. Zuwendung eines Vermächtnisses

 

Rz. 245

Wird der Ehegatte ausschließlich Vermächtnisnehmer, so hat er das Wahlrecht zwischen Annahme des Vermächtnisses und Ergänzung hin zum großen Pflichtteil (§ 2307 Abs. 1 S. 2 BGB) oder Ausschlagung mit kleinem Pflichtteil und rechnerischem Zugewinnausgleich. Die Gründe, weshalb der Ehegatte nichts von Todes wegen erwirbt, sind dabei unerheblich.[438] Auch bei einem noch so geringwertigen Vermächtnis muss der überlebende Ehegatten ausschlagen, um zur güterrechtlichen Lösung zu gelangen.[439] Alle gegenteiligen Vorschläge[440] finden im Gesetz keinen Anhaltspunkt und führen zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten. Auch bedarf es keiner Missbrauchskorrektur, weil auch bei einem "Ein-Euro"-Vermächtnis der längerlebende Ehegatte entscheiden kann, ob die erb- oder die güterrechtliche Lösung für ihn die günstigere ist. Auf mehr als den kleinen Pflichtteil und den rechnerischen Zugewinnausgleich hat er im Zweifelsfall auch keinen Anspruch.

 

Praxishinweis

Der Erblasser hat es also bis zu einem gewissen Grad in der Hand, das Verhalten seines überlebenden Ehegatten zu "steuern", indem er ihm ein Vermächtnis einräumt, das für den Überlebenden von besonderer Wichtigkeit ist, etwa ein Wohnungsrecht oder einen Nießbrauch am eigengenutzten Wohnhaus. Dies empfiehlt sich insbesondere bei sehr hohem Zugewinnausgleich. Der Österreicher würde hier davon sprechen, dass man ein "Zuckerl" anbieten sollte.

[438] Staudinger/Thiele, § 1371 Rn 40.
[439] AG Tecklenburg FamRZ 1997, 1013 für Vermächtnis; Palandt/Brudermüller, § 1371 Rn 2, 12; MüKo-B...

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