Rz. 670

 

Fallbeispiel

Dem Vermächtnisnehmer VN hat der Erblasser eines seiner Grundstücke zugewandt. Der Erbe erfüllt in formgerechter Weise den Vermächtnisanspruch, ohne vorher ein Aufgebot der Nachlassgläubiger veranlasst zu haben. Nach Bekanntwerden einer großen Zahl von Nachlassverbindlichkeiten beantragt er die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens. Das Insolvenzgericht gibt dem Antrag statt.

Bei der Klärung der Insolvenzmasse stellt der Nachlassinsolvenzverwalter fest, dass die nach Insolvenzrecht bevorrechtigten Forderungen zum großen Teil nur mit einer geringen Quote, teilweise aber auch gar nicht erfüllt werden können.

Welche Rechte hat der Nachlassinsolvenzverwalter

a) gegenüber dem Vermächtnisnehmer VN

b) gegenüber dem Erben?

Lösung

Den Nachlassgläubigern gegenüber besteht nach § 1980 Abs. 1 S. 1 BGB eine unverzügliche Insolvenzantragspflicht, wenn der Erbe Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung erlangt. Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung steht die auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis gleich, § 1980 Abs. 2 S. 1 BGB. Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Erbe das Aufgebot der Nachlassgläubiger nicht beantragt, obwohl er Grund hat, das Vorhandensein unbekannter Nachlassverbindlichkeiten anzunehmen. Den Erben trifft gem. §§ 1978, 1980 BGB eine Schadensersatzpflicht. Grund zur Annahme, es gäbe unbekannte Nachlassverbindlichkeiten, hat der Erbe so gut wie immer.

Der Erbe ist Schuldner des Nachlassinsolvenzverfahrens.[532]

Bei der Ermittlung der Überschuldung sind neben den Masseverbindlichkeiten nach § 334 InsO alle in §§ 325 ff. InsO genannten Verbindlichkeiten, also auch Vermächtnisse, Auflagen und Pflichtteilsansprüche, zu berücksichtigen. Hat der Erbe vor der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens aus dem Nachlass Vermächtnisse oder Auflagen erfüllt, so sind diese Rechtshandlungen in gleicher Weise insolvenzrechtlich anfechtbar wie eine unentgeltliche Leistung des Erben (§ 322 InsO), da die Begünstigten zu den nachrangigen Insolvenzgläubigern gehören (§ 327 InsO) und nicht besser gestellt werden sollen als der Erbe selbst, § 327 InsO. Nach erfolgter Anfechtung kann der Nachlassinsolvenzverwalter den Vermächtnisbetrag gem. §§ 134, 143 InsO nach Bereicherungsrecht zur Nachlassmasse als Insolvenzmasse zurückholen.

Der Nachlassinsolvenzverwalter kann die Vermächtniserfüllung wie eine unentgeltliche Leistung anfechten und den Vermächtnisgegenstand nach Bereicherungsgrundsätzen zur Insolvenzmasse zurückholen. Sollte dieser Anspruch aus irgendeinem Grund nicht durchsetzbar sein, so haftet der Erbe für den entstandenen Schaden. Der Schadensersatzanspruch gehört gem. § 1978 Abs. 2 BGB zum Nachlass.

Erfüllung einer nachrangigen Nachlassverbindlichkeit ohne Aufgebot der Nachlassgläubiger kann zum Schadensersatz gegen den Erben führen, für den er persönlich mit seinem Eigenvermögen haftet (gesetzliche Vermutung der Fahrlässigkeit).

[532] BGH ZEV 2005, 112; BGH NJW 1969, 1349; Küpper, Rpfleger 2001, 260 m.w.N. Vgl. auch zum Nichtbestreiten einer Insolvenzforderung von Seiten des Erben, über die ein Rechtsstreit gegen den Erblasser geführt wurde, BGH ZEV 2005, 112.

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