Rz. 200

Soweit zum Beweis vergangener Tatsachen oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war, sachkundige Personen zu vernehmen sind, spricht man von sachverständigen Zeugen. Nach § 414 ZPO sind für diese die Vorschriften über den Zeugenbeweis entsprechend zur Anwendung zu bringen.

 

Rz. 201

Im Unterschied zum Sachverständigen soll der sachverständige Zeuge tatsächliche Bekundungen über eigene Wahrnehmungen (deshalb Zeuge) machen, die aufgrund seiner Sachkunde als besonders qualifiziert (deshalb Sachverständiger) angesehen werden können. Dabei ist allerdings von dem Gericht wie von den Bevollmächtigten besonders streng darauf zu achten, dass allein tatsächliche Bekundungen getroffen werden und nicht die allein dem Sachverständigen vorbehaltene Wertung der Beweisfrage vorgenommen wird. Insbesondere ist der Privatgutachter kein sachverständiger Zeuge, weil seine Feststellungen auf nachträglichen Wertungen, nicht aber eigenem Erleben beruhen, es sei denn er soll einen Zustand vor einer Mangelbeseitigung bekunden (vgl. Rdn 206).

 

Rz. 202

Da der sachverständige Zeuge nicht Sachverständiger ist, ist dieser auch als Zeuge und nicht als Sachverständiger zu entschädigen. Wird allerdings ein Sachverständiger nur als sachverständiger Zeuge bezeichnet, tatsächlich aber als Sachverständiger eingesetzt, so ist er wie Letzterer zu entschädigen. So hat das OLG Koblenz in dem Fall, dass ein als "sachverständiger Zeuge" bezeichneter Bausachverständiger auftragsgemäß die Notwendigkeit und Schlüssigkeit von Techniker- und Ingenieurstunden bei Bauvorhaben überprüft hat, entschieden, dass dies eine typische Sachverständigentätigkeit darstellt und die Entschädigung sich deshalb nach den Vorschriften für Sachverständige und nicht nach den Vorschriften für Zeugen richtet.[105] Grundsätzlich ist der sachverständige Zeuge also als "echter" Zeuge zu behandeln. Im Einzelfall soll jedoch auch seine Einstufung als Sachverständiger im Betracht kommen. Dies richte sich nach dem ihm vom Gericht erteilten Auftrag, im Übrigen nach dem Inhalt der Bekundungen. Als Sachverständiger kann auch derjenige erscheinen, der als sachverständiger Zeuge geladen, aber – im Laufe der Vernehmung – von dem Gericht als Sachverständiger angehört und befragt worden ist.[106]

 

Rz. 203

 

Hinweis

Hier sollten die Bevollmächtigten im Einzelfall einschreiten und um Klarstellung bitten, ob der Betreffende nun weiter als sachverständiger Zeuge oder aber als Sachverständiger angehört werde. Nur dies vermeidet prozessuale Nachteile von der Vergütung über das Ablehnungsrecht bis hin zum Wert der Bekundungen für das Ergebnis der Beweisaufnahme und damit den Ausgang des Rechtsstreites.

 

Rz. 204

Der sachverständige Zeuge kann nicht nach § 406 ZPO wie ein Sachverständiger abgelehnt werden. Allerdings ist ein Aspekt, der bei einem Sachverständigen die Ablehnung rechtfertigen würde, im Rahmen der Beweiswürdigung der Aussage zu berücksichtigen.[107] Solche Aspekte sollten in besonderer Weise von dem Bevollmächtigter hervorgehoben werden, da sich die Gerichte von den "sachverständigen" Aussagen häufig beeindrucken lassen und dem Zeugen eine besondere Überzeugungskraft beimessen.

 

Rz. 205

 

Hinweis

Aus Sicht des sachverständigen Zeugen kann es schon vor dem Hintergrund der erheblich unterschiedlichen Vergütung sinnvoll sein, das Gericht aufzufordern, ihn als Sachverständigen und nicht lediglich als besonders sachkundigen Zeugen zu laden.

 

Rz. 206

Als sachverständiger Zeuge kommen etwa in Betracht:

ein Arzt, der eine Erstversorgung eines Unfallopfers am Unfallort vornimmt,
der behandelnde Arzt eines Versicherungsnehmers im Prozess um Versicherungsleistungen,[108]
ein Handwerker, der im Rahmen eines Notdienstes Feststellungen etwa zu einer fehlerhaft errichteten Elektro-, Heizungs- oder Sanitäranlage getroffen hat,
der als Privatgutachter eingesetzte Sachverständige, der im Prozess über die bei seiner Ortsbesichtigung festgestellten Tatsachen zu einem bestimmten Zeitpunkt vernommen wird,[109] nicht jedoch, wenn er allein über seine Bewertung der auch dem gerichtlich bestellten Sachverständigen vorliegenden Unterlagen bekundet.
 

Rz. 207

 

Hinweis

Der sachverständige Zeuge kann grundsätzlich durch eine Streitverkündung als Zeuge "ausgeschaltet" werden, wenn das Beweisthema nunmehr seine Parteistellung betrifft. Die Auffassung des OLG Frankfurt[110] und des vorhergehenden LG Limburg,[111] dass der sachverständige Zeuge als vom Gericht ernannter Sachverständiger vor der Streitverkündung nach § 72 Abs. 2 ZPO geschützt ist, ist abzulehnen. Anders ist nur zu entscheiden, wenn das Gericht den Zeugen formal als Sachverständigen bestellt. In diesem Fall können dann auch alle Ablehnungsgründe gegen ihn geltend gemacht werden.

 

Rz. 208

Will das Gericht von der Aussage des sachverständigen Zeugen abweichen, sind hierfür besondere Anforderungen gestellt. So muss das Gericht im Einzelnen begründen, woraus sich seine eigene besondere Sachkunde ergibt, um von den Ausführungen des Ze...

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