Rz. 44

Die Ehe von M und F1 wurde nach kurzer Dauer geschieden. M ist seit 2 Jahren mit F2 verheiratet, von der er aber bereits wieder getrennt lebt, und zwar seit einem halben Jahr. M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 2.500 EUR. Die geschiedene Ehefrau F1 hat aus einer Teilzeittätigkeit ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 500 EUR; F1 kann keine Vollzeitstelle finden. F2 ist, wie bereits in der Zeit vor der Trennung, nicht berufstätig. F2 könnte im Falle einer Berufstätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen von 900 EUR erzielen. F1 und F2 verlangen von M Unterhalt.

I. Ehegattenunterhalt für F1

1. Anspruchsgrundlage F1

 

Rz. 45

Bei F1 soll im Fallbeispiel ein Anspruch auf Geschiedenenunterhalt (vgl. hierzu Fall 16, § 3 Rdn 31) bestehen.

2. Bedarf der F1

 

Rz. 46

Die Dreiteilungsmethode auf Bedarfsebene wurde vom BVerfG abgelehnt (vgl. Fall 33, siehe § 9 Rdn 1).

Der Unterhalt ist für beide Frauen getrennt nach dem Halbteilungsgrundsatz zu ermitteln (vgl. Fälle 33 und 35, siehe § 9 Rdn 1, § 10 Rdn 1). Die Rangfrage, also die Frage, ob ein Partner vorrangig bzw. nachrangig ist, erlangt erst im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners Bedeutung – also dann, wenn die festgestellten Unterhaltsansprüche vom Unterhaltsschuldner nicht erfüllt werden können.

 

Rz. 47

Es gilt der Halbteilungsgrundsatz (Grundsatz der gleichen Teilhabe an den ehelichen Lebensverhältnissen).

Ein etwaiger Unterhaltsanspruch von F2 ist bei der Bestimmung des Bedarfs von F1 nicht vom Einkommen des M abzuziehen. Denn diese Unterhaltslast hat die Ehe von M und F1 nicht geprägt (vgl. Fall 33 und 35, siehe § 9 Rdn 1, § 10 Rdn 1).

 

Rz. 48

Zuvor ist jedoch jedes Einkommen, soweit es aus Erwerbstätigkeit (und nicht beispielsweise Kapital oder aus Vermietung oder aus einer Altersversorgung) erzielt wird, um 1/10 zu kürzen (sog. Erwerbstätigenbonus).

Bereinigtes Nettoeinkommen des M: 2.500 EUR

Erwerbstätigenbonus: 2.500 EUR × 10 % = 250 EUR

Bedarfsbestimmendes Einkommen des M: 2.500 – 250 EUR = 2.250 EUR

Einkommen F1: 500 EUR

Erwerbstätigenbonus: 500 EUR × 10 % = 50 EUR

Bedarfsbestimmendes Einkommen F1: 500 – 50 EUR = 450 EUR

Gesamtbedarf: 2.700 EUR (2.250 + 450 EUR)

Bedarf von F1: ½ von 2.700 EUR = 1.350 EUR

3. Ungedeckter Restbedarf (Unterhaltshöhe)

 

Rz. 49

Einen Teil ihres Bedarfs kann F1 mit Eigeneinkommen decken. M muss nur für den ungedeckten Restbedarf aufkommen.

ungedeckter Restbedarf: ermittelter Bedarf abzüglich des um den Erwerbstätigenbonus gekürzten Eigeneinkommens = 1.350 – 450 EUR = 900 EUR

4. Leistungsfähigkeit

 

Rz. 50

Bei Zahlung von 900 EUR Ehegattenunterhalt verbleiben M 1.600 EUR (2.500 – 900 EUR).

a) Ehegattenmindestselbstbehalt

 

Rz. 51

Beim Selbstbehalt gegenüber einem Ehegatten ist zu beachten, dass der in den Leitlinien genannte Betrag von 1.280 EUR nur ein Mindestbetrag ist. Ansonsten entspricht der eigene angemessene Unterhalt i.S.v. § 1581 (eheangemessener Selbstbehalt) betragsmäßig dem eheangemessenen Unterhalt i.S.v. § 1578 Abs. 1 S. 1 (vgl. hierzu auch Fall 18, siehe § 3 Rdn 85).

b) Eheangemessener Selbstbehalt

 

Rz. 52

Zu berücksichtigen ist jedoch auch eine etwaige Unterhaltspflicht gegenüber F2. Bei F2 kommt im Fallbeispiel ein Trennungsunterhaltsanspruch in Betracht.

 

Rz. 53

Eine solche Unterhaltspflicht kann Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des M ­haben.

 

§ 1581 Leistungsfähigkeit

Ist der Verpflichtete nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt zu gewähren, so braucht er nur insoweit Unterhalt zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Den Stamm des Vermögens braucht er nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre.

 

BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09

Die Leistungsfähigkeit gegenüber einzelnen Unterhaltsberechtigten hängt mithin grundsätzlich auch von weiteren Unterhaltsverpflichtungen als sonstigen Verpflichtungen im Sinne des § 1581 Satz 1 BGB ab.

 

Rz. 54

Eine weitere Unterhaltspflicht kann also eine sonstige Verpflichtung i.S.v. § 1581 sein.

 

BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 159/09

Eine sonstige Verpflichtung in diesem Sinne ist auch eine weitere Unterhaltspflicht. Zwar darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Bemessung des Bedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen eine Unterhaltspflicht gegenüber einem nachfolgenden Ehegatten nicht berücksichtigt werden (BVerfG FamRZ 2011, 437). Darauf, dass die Unterhaltspflicht erst nach der Scheidung entstanden ist und sie mit der geschiedenen Ehe und deren Lebensverhältnissen nicht vereinbar ist, kommt es bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit aber nicht an.

 

Rz. 55

Aber eine nachrangige zweite Ehefrau dürfte unberücksichtigt bleiben. Die neue Ehefrau muss also vorrangig oder zumindest gleichrangig sein.

 

BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 159/09

Allerdings muss es sich bei dem hinzugetretenen Unterhalt um eine dem Geschiedenenunterhalt zumindest gleichrangige Verpflichtung handeln (...

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