Rz. 70

Weil im Gegensatz zum Erbschein bzw. dem ENZ dem notariellen Testament bzw. dem Erbvertrag und der Eröffnungsniederschrift nicht die inhaltliche Richtigkeitsvermutung nach § 2365 BGB und auch nicht die Rechtsscheinwirkung nach § 2366 BGB zukommen, gehen, wenn der Unrichtigkeitsnachweis auf die bezeichnete Weise geführt wird, die Prüfungskompetenzen des Grundbuchamts weiter als bei der Vorlage eines Erbscheins. Das Grundbuchamt hat Formgültigkeit und Inhalt der ihm vorgelegten Verfügung zu prüfen. Es kann aber keine eigenen Ermittlungen anstellen, weil das Grundbuchverfahren beweisrechtlich ausschließlich das in § 29 GBO normierte Nachweisverfahren mittels öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunden kennt.[68] Eine Einziehung der beglaubigten Abschriften wegen Unrichtigkeit analog § 2361 BGB ist nicht möglich.[69]

 

Rz. 71

Wird der Beweiswert einer notariell beurkundeten Verfügung von Todes wegen deshalb erschüttert, weil sich bei der Prüfung der Erbenstellung Zweifel an der Erbfolge ergeben, so reichen die Abschriften der Verfügung von Todes wegen und der Eröffnungsniederschrift zum Nachweis der Erbfolge nicht aus; vielmehr kann das Grundbuchamt in einem solchen Fall die Vorlage eines Erbscheins verlangen. Dies gilt insbesondere dann, wenn tatsächliche Ermittlungen über den Erblasserwillen durchzuführen sind.[70] Die Bedenken des Grundbuchamts sind von diesem in einer Zwischenverfügung (§ 18 GBO) im Einzelnen darzulegen.[71] Allerdings hat das Grundbuchamt auch rechtlich schwierige Auslegungsregeln des Testamentsrechts in eigener Prüfungskompetenz anzuwenden.[72]

 

Rz. 72

Die Rechtsprechung lässt im Grundbuchverfahren unter Hinweis auf § 352 Abs. 3 FamFG, der streng genommen nur im Erbscheinserteilungsverfahren gilt, sogar die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Erben über das Fehlen weiterer Erben genügen[73] und greift auf diese Weise wiederum auf eine notarielle Urkunde mit ihrem Beweiswert gem. § 29 GBO, § 415 ZPO, § 30 FamFG zurück.

Das Grundbuchamt kann bei Vorliegen eines notariellen Testaments nur dann die Beibringung eines Erbscheins verlangen, wenn ihm nach Auslegung der letztwilligen Verfügung nebst darin in Bezug genommener Urkunden und Auswertung der Nachlassakten Zweifel zur Erbfolge verbleiben, die weitere Ermittlungen des Nachlassgerichts erfordern. Es steht nicht im Belieben des Grundbuchamts, ob es einen Erbschein verlangen oder die in § 35 Abs. 1 S. 2 GBO genannten Beweismittel genügen lassen will.[74]

 

Rz. 73

Gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass zur Feststellung der Erbfolge tatsächliche Ermittlungen erforderlich sind, so ist die von einem überlebenden Ehegatten oder einem Abkömmling vor dem Notar abgegebene eidesstattliche Versicherung zum Nachweis für die negative Tatsache, dass außer einem bestimmten, zum Erben eingesetzten Abkömmling des Erblassers keine weiteren, das Erbrecht dieses Berufenen schmälernden Abkömmlinge vorhanden sind, im Grundbuchantragsverfahren grundsätzlich als Beweismittel zu berücksichtigen.[75]

Im nachfolgenden Abschnitt sollen die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Sachverhaltskonstellationen behandelt werden, bei denen Zweifel an der Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen aufkommen können.

[68] OLG Schleswig Rpfleger 2006, 643 m. Anm. Peißinger, Rpfleger 2007, 195.
[69] OLG Köln, Beschl. v. 23.12.2013 – 2 Wx 304/13, ErbR 2014, 339 m. Anm. Knauss, ErbR 2014, 310 = FamRZ 2014, 2031 = ZErb 2014, 116 = ZEV 2014, 329.
[70] OLG Hamm ZEV 2000, 456.
[71] OLG Hamm DNotZ 1970, 160; OLG Stuttgart Rpfleger 1975, 135.
[72] OLG Naumburg ZEV 2020, 125; OLG Köln Rpfleger 2000, 157.
[73] OLG Schleswig NJW-RR 1999, 1530 = Rpfleger 1999, 533; BayObLG FGPrax 2000, 179 = ZEV 2000, 456 = BayObLGZ 2000 Nr. 34; LG Stuttgart ZEV 2005, 402.
[74] OLG Naumburg ErbR 2014, 38 = Rpfleger 2013, 532.
[75] OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 928 = ZEV 2010, 98.

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