Rz. 201

 

Beispiel 1

Erblasser E hat ein Testament hinterlassen, wonach A zum Alleinerben eingesetzt wurde; die Kinder K1 und K2 sind enterbt und deshalb lediglich pflichtteilsberechtigt. A lässt sich im Wege der Grundbuchberichtigung als Alleineigentümer des Grundbesitzes des Erblassers im Grundbuch eintragen. Danach erfahren K1 und K2 von Umständen über den Gesundheitszustand des Erblassers, die nach ihrer Meinung den Schluss zulassen, der Erblasser sei im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig gewesen und sie seien deshalb gesetzliche Erben geworden. Sie wollen ihre – zumindest vermeintliche – Rechtsposition als rechtmäßige Grundstückseigentümer so schnell wie möglich sichern lassen.

 

Rz. 202

 

Beispiel 2

Erblasser E setzt in seinem wirksam errichteten Testament A zum Alleinerben ein. A wird im Grundbuch als Alleineigentümer des Grundbesitzes des Erblassers eingetragen. Danach wird ein späteres Testament des E aufgefunden, dessen Inhalt äußerst unklar ist, woraus aber entnommen werden kann, das erste Testament sei widerrufen und B zum Alleinerben eingesetzt. Die Rechtslage ist in hohem Maße unklar. B möchte seine Rechte sichern lassen, bevor A über den Grundbesitz verfügt.

 

Rz. 203

Beiden Beispielen ist gemeinsam, dass geltend gemacht wird, ein Rechtserwerb habe nicht stattgefunden, bezüglich der Eigentümerposition sei das Grundbuch unrichtig, ein Nichtberechtigter sei dort eingetragen.

 

Rz. 204

Im Beispiel 1 wird die Nichtigkeit des Testaments wegen Testierunfähigkeit des Erblassers geltend gemacht (§ 2229 Abs. 4 BGB).[198] Träfe dies zu, so wäre nicht A Alleinerbe des Erblassers geworden, vielmehr wären K1 und K2 je hälftig gesetzliche Erben (§ 1924 BGB). A wäre zu Unrecht als Alleineigentümer im Grundbuch eingetragen, das Grundbuch wäre unrichtig (§ 894 BGB); K1 und K2 könnten von A die Berichtigung des Grundbuchs (§ 894 BGB) und die Herausgabe des Grundstücks nach §§ 985 ff. BGB verlangen.

 

Rz. 205

Im Beispiel 2 wird die Unwirksamkeit des Ersttestaments geltend gemacht, weil es entweder ausdrücklich (§ 2254 BGB) oder konkludent (§ 2258 BGB) widerrufen worden sei. Bei jeder Fallalternative wäre nicht A Alleinerbe geworden, sondern B. A wäre zu Unrecht als Alleineigentümer im Grundbuch eingetragen, B könnte an dessen Stelle seine Eintragung als Eigentümer im Wege der Grundbuchberichtigung verlangen (§ 894 BGB).

Anspruchsgrundlage für einen etwaigen Grundbuchberichtigungsanspruch ist in beiden Fällen § 894 BGB. Soweit auch die Herausgabe des Grundbesitzes in Betracht kommt, ist § 985 BGB Anspruchsgrundlage.

 

Rz. 206

In beiden Beispielsfällen brauchen sich die rechtmäßigen Erben nicht auf die Grundbuchberichtigung zu beschränken. In diesen Fällen ist die gesamte erbrechtliche Position betroffen. Im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens kann die gesamte Erbfolge geklärt werden, und zwar für den Fall, dass bisher ein Erbschein nicht erteilt wurde, im Erbscheinserteilungsverfahren und für den Fall, dass ein (unrichtiger) Erbschein bereits vorhanden ist, im Erbscheinseinziehungs- und -neuerteilungsverfahren. Allerdings führt das Erbscheinsverfahren für sich allein noch nicht zu einer vorläufigen Sicherung der grundbuchrechtlichen Position. Mit evt. dort vorliegenden Sachverständigengutachten, Zeugenvernehmungsprotokollen etc. kann eine Glaubhaftmachung in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Eintragung eines Widerspruchs erfolgen.

Möglich wäre aber auch, parallel eine Grundbuchberichtigungsklage zu erheben und ein Erbscheinsverfahren zu betreiben (zur Grundbuchberichtigungsklage siehe Rdn 206 ff.; zum Erbscheinsverfahren siehe § 7 Rdn 201 ff.).

[198] Zur Aufklärungspflicht des Gerichts bei behaupteter Testierunfähigkeit vgl. BayObLG FamRZ 2002, 1066: "Der objektivierbare Befund einer Geisteskrankheit reicht … für sich allein nicht aus, um schon daraufhin den Erblasser für testierunfähig zu erklären … Für die Beurteilung entscheidend ist nicht die Diagnose einer organischen Störung, sondern Grad und Ausmaß der nachweisbaren psychopathologischen Auffälligkeiten. Eine diagnostische Zuordnung allein genügt daher nicht; es kommt vielmehr auf Ausmaß und Intensität der psychischen Störung an."

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