Rz. 42

Die Vertretungsmacht ähnelt denen eines Betreuers in Gesundheitsangelegenheiten. So kann in Gesundheitsuntersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe eingewilligt oder solche Maßnahmen können untersagt werden (§ 1358 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F.). Eine besondere Eilbedürftigkeit ist nicht erwähnt und ist damit keine Bedingung.[63]

 

Rz. 43

Bei Maßnahmen zur Rehabilitation und Pflege wird allerdings eine Eilbedürftigkeit gefordert, § 1358 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. (siehe auch Rdn 28). Danach bestünde also für die ersten Rehabilitationsmaßnahmen wie etwa Physiotherapie nach einer Operation im Krankenhaus eine Vertretungsbefugnis. Wenn aber z.B. zwei Wochen danach eine umfassende, stationäre Rehabilitation beginnen soll, wäre danach eine Betreuung erforderlich. Ob das so beabsichtigt ist, erscheint fraglich.

 

Rz. 44

Das Vertretungsrecht gilt nach der Gesetzesbegründung nicht nur für Behandlungen und Eingriffe bezüglich der Erkrankung, die Grund für das Entstehen des Vertretungsrechts war.[64] Es soll auch für solche Erkrankungen gelten, deren Behandlung aus medizinischer Sicht notwendig und unaufschiebbar sind.[65] Das ist nachzuvollziehen. Allerdings soll es nach der Gesetzesbegründung wiederum eine Einschränkung auf während der Behandlung erstmals diagnostizierte Erkrankungen geben.[66] Dahinter könnte der Gedanke stehen, dass bei schon früher diagnostizierten Erkrankungen es ja in der Hand des betroffenen Ehegatten gelegen habe, diese behandeln zu lassen oder auch nicht, er also eine Entscheidung getroffen habe. Dagegen spricht aber, dass die Situation sich verändert hat und eine Limitierung des Vertretungsrechtes in der Praxis (wenn sie denn beachtet werden sollte) hinderlich wäre für eine umfassende und indizierte Behandlung. Das wird kaum gewollt sein. Schließlich ist der vertretende Ehegatte gem. § 1358 Abs. 6 i.V.m. § 1821 Abs. 2–4 sowie i.V.m. §§ 1827 Abs. 13, 1828 Abs. 1, 2 BGB n.F. ohnehin an den Willen des vertretenen Ehegatten gebunden. Wenn er also eine Heilbehandlung bewusst unterließ und sich die diesbezüglichen Umstände nicht geändert haben, darf auch nach § 1358 BGB n.F. der vertretende Ehegatte keine Einwilligung erteilen.

 

Rz. 45

Lugani spricht sich für einen Vorrang des mutmaßlichen Willens gem. § 630d Abs. 1 S. 4 BGB aus.[67] Den hat der vertretene Ehegatte allerdings ohnehin zu beachten. Ein Handeln gegen den (mutmaßlichen) Willen ist nicht von dem Vertretungsrecht gedeckt. Fraglich ist allerdings zweierlei. Zunächst: Was hat im Zweifel Vorrang? Die Einführung des § 1358 BGB n.F. betont die Wertung des gegenseitigen Einstehens unter Ehegatten. Das spricht dafür, dass – wenn möglich – die Ehegattenvertretung angewandt werden soll. Da sie eine gesetzliche Vertretung ist, entsteht sie auch von selbst, weshalb ihre Existenz und die Konsequenzen daraus von Ärzten nicht ignoriert werden darf. Ein Ausweg für Ärzte wäre allerdings, sich nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen überzeugt zu zeigen und so das Recht abzulehnen.

Als zweites ist zu klären: Was hat der Arzt bei einem Handeln des vertretenen Ehegatten entgegen dem mutmaßlichen Willen des Ehegatten zu tun, geht eine mutmaßliche Einwilligung vor? Es scheint konsequent, dass das Vertretungsrecht keine Vertretung entgegen den Willen des vertretenen Ehegatten zulässt. Allerdings wird gerade dort bei einem mutmaßlichen Willen die Problematik entstehen: Wessen Einschätzung ist maßgeblich – die des Arztes oder die des Ehegatten? Im Zweifel wird ein Betreuer zu bestellen sein. In Eilfällen wird wohl einem Arzt zugebilligt werden müssen, den Patienten nicht entgegen dessen mutmaßlichen Willen zu behandeln, wie ihn der Arzt annimmt.

 

Rz. 46

Die ärztliche Aufklärung nach § 630e BGB darf vom Ehegatten entgegengenommen werden. Ob er auch auf diese verzichten kann, wie der Patient selbst es nach § 630e Abs. 3 BGB könnte, erscheint fraglich. Dies würde wohl gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen, selbst wenn der vertretene Ehegatte eine solche Aufklärung nicht gewünscht hätte, da nur ein informierter Vertreter auch eine fundierte Entscheidung treffen und einschätzen kann, ob er in dem ihm zustehenden Vertretungsrahmen handelt.

[63] Entsprechend: Kraemer, BtPrax 2021, 208, 209.
[64] Kritisch: Szantay, NZFam 2021, 805, 807.
[65] BReg, BT-Drucks 19/24445 (Gesetzentwurf), 179.
[66] BReg, BT-Drucks 19/24445 (Gesetzentwurf), 179.
[67] Lugani, MedR 2022, 91, 94.

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