Rz. 23

Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Vorliegen

eines Sicherungsanlasses und
eines Sicherungsbedürfnisses ("Fürsorgebedürfnis").

1. Sicherungsanlässe

 

Rz. 24

Das Nachlassgericht kann nach § 1960 Abs. 1 BGB Fürsorgemaßnahmen anordnen, wenn

der Erbe dem Nachlassgericht unbekannt ist,
der Erbe zwar bekannt ist, die Erbschaft bisher aber nicht angenommen hat,
ungewiss ist, ob der Erbe die Erbschaft angenommen hat.

2. Das Sicherungsbedürfnis ("Fürsorgebedürfnis")

 

Rz. 25

Das Vorliegen von Umständen, die einen Sicherungsanlass bedeuten, reicht aber noch nicht aus für das Ergreifen einer Maßnahme zur Nachlasssicherung. Vielmehr ist in allen drei Fällen zusätzlich ein Bedürfnis zur Fürsorge erforderlich. Ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, entscheidet das Nachlassgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei ist das Interesse des endgültigen Erben an der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses maßgebend. Die Bedürfnisprüfung nimmt nicht nur das Nachlassgericht vor, sondern u.U. auch das Prozessgericht in einem Rechtsstreit, den ein Nachlasspfleger führt.[3]

Auf das Interesse von Nachlassgläubigern ist dabei nicht abzustellen, weil diese einen Antrag auf Anordnung der Nachlasspflegschaft stellen können (§§ 1961 BGB).

Geht es um die Wahrnehmung der Rechte der (unbekannten) Nacherben, beispielsweise gegenüber dem Testamentsvollstrecker, so kommt die Bestellung eines Verfahrenspflegers gem. § 1913 BGB in Betracht.[4]

[3] KG ZEV 1999, 395.

3. Zu verneinendes Fürsorgebedürfnis

 

Rz. 26

Ein Fürsorgebedürfnis wird meistens zu verneinen sein, wenn ein Testamentsvollstrecker oder ein Bevollmächtigter vorhanden ist, dessen Vollmacht über den Tod hinaus reicht.[5] Dies gilt jedoch nicht, wenn auch die Person des Testamentsvollstreckers ungewiss ist oder Zweifel an der wirksamen Bevollmächtigung oder der Neutralität des Bevollmächtigten bestehen.[6]

 

Rz. 27

Das Gesetz kennt in einigen Sonderfällen des Bestehens besonderer Rechtsbeziehungen die Fürsorgepflicht einzelner Personen:

bei beendeter Gütergemeinschaft die Fürsorgepflicht des überlebenden Ehegatten nach § 1472 Abs. 4 BGB; dies gilt auch für eingetragene Lebenspartner (§ 6 LPartG)
bei der elterlichen Vermögenssorge die Fürsorgepflicht der Eltern für das Kindesvermögen nach § 1698b BGB
bei bestehender Vormundschaft die Fürsorgepflicht des Vormundes für das Vermögen des Mündels nach § 1893 BGB
bei bestehender Pflegschaft die Fürsorgepflicht des Pflegers für das Vermögen des Pfleglings, soweit sein Wirkungskreis reicht, nach §§ 1915, 1893 BGB
des Betreuers für das Vermögen des Betreuten, soweit sein Wirkungskreis reicht, §§ 1908i, 1893 BGB
bei bestehendem Auftragsverhältnis die Fürsorgepflicht des Beauftragten für das Vermögen des Auftraggebers nach § 672 BGB.

Bei Gefahr im Verzug sind diese Personen berechtigt, weiterhin tätig zu sein. Dies führt jedoch nicht dazu, dass in diesen Fällen ein Fürsorgebedürfnis entfällt, da die vorbezeichneten Vorschriften lediglich einen sehr engen Handlungsspielraum gewähren.

[5] Einzelheiten siehe BGH NJW 1969, 1245; Hopt, Die Auswirkungen des Todes des Vollmachtgebers auf die Vollmacht und das zugrunde liegende Rechtsverhältnis, ZHR 133, 305.

4. Wann ist ein Erbe unbekannt?

 

Rz. 28

Welche Anforderungen sind an den Grad der Gewissheit bzw. der Ungewissheit bezüglich des Erbrechts einer Person zu stellen?

Volle Gewissheit über das Erbrecht ist nicht erforderlich. Ein Erbe kann als bekannt angesehen werden, wenn ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für sein Erbrecht spricht. Zweifel an der Gültigkeit eines Testaments genügen nicht.[7] Ein Erbe ist jedoch dann als unbekannt anzusehen, wenn mehrere Erben in Betracht kommen, und sich der Tatrichter nicht ohne weitere umfangreiche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist, etwa, weil Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Gültigkeit des Testaments besteht.[8]

Fälle des Unbekanntseins des Erben:

Erhebliche, nicht sofort entkräftbare Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bei Vorliegen eines Testaments
Beachtliche Unwirksamkeitsgründe bspw. bei evtl. Sittenwidrigkeit eines Testaments
Die Vaterschaft eines nichtehelichen Kindes ist beim Erbfall noch nicht festgestellt. Hier sei darauf hingewiesen, dass Nachlasssicherung – bspw. die Bestellung eines Nachlasspflegers – auch nur bezüglich eines Erbteils möglich ist, wenn nur insoweit der Erbe/die Erben unbekannt ist/sind
Der Erbe ist vor dem Erbfall gezeugt, aber noch nicht geboren (§ 1923 Abs. 2 BGB "nasciturus")
Bei Einsetzung einer genehmigungspflichtigen Stiftung zur Erbin ist bis zur Erteilung der Genehmigung die Erbfolge ebenfalls unklar

Ist der Erbe zwar bekannt, aber abwesend, so kommt die Bestellung eines Abwesenheitspflegers nach § 1911 BGB in Betracht. Dafür ist allerdings nicht das Nachlassgericht, sondern das Betreuungsgericht zuständig.

[7] OLG Nürnberg BWNotZ 1978, 163.
[8] OLG München, Beschl. v. 29.3.2007 – 31 Wx 6/07, BayObLG FamRZ 1996, 308; Staudinger/M...

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