Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Ob der Erbe unbekannt ist (§ 1960 Abs. 1 BGB) und ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, ist vom Standpunkt des Beschwerdegerichts unter Zugrundelegung des Kenntnisstandes im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme zu beurteilen.

  • 2.

    Unbekannt ist ein Erbe auch dann, wenn nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist; ein Erbe ist auch dann als unbekannt anzusehen, wenn mehrere Erben in Betracht kommen, und sich der Tatrichter nicht ohne weitere umfangreiche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist, weil etwa Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Gültigkeit des Testaments besteht.

  • 3.

    Den Umfang der erforderlichen Ermittlungen bestimmt das Tatsachengericht nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 12 FGG).

  • 4.

    Es ist sachgerecht und regelmäßig geboten, zuerst die Ermittlungen durchzuführen, die erforderlich und möglich sind, um Klarheit über die Anknüpfungstatsachen für die sachverständige Beurteilung der Frage der Testierfähigkeit zu gewinnen.

 

Verfahrensgang

LG München I (Entscheidung vom 20.12.2006; Aktenzeichen 16 T 16495/06)

AG München (Entscheidung vom 21.08.2006; Aktenzeichen 69 VI 15603/05)

 

Gründe

I.

Die verwitwete, kinderlose Erblasserin ist am 15.11.2005 im Alter von 81 Jahren verstorben. Sie war österreichische Staatsangehörige und lebte in München. Der Beteiligte zu 5 ist ihr Neffe, er kommt als gesetzlicher Erbe in Betracht. Die Beteiligten zu 3 und 4 sind die (Stief) Kinder eines langjährigen, am 28.9.2003 verstorbenen Freundes der Erblasserin. Von der Beteiligten zu 1 wurde die Erblasserin, die im November 2000 einen Schlaganfall erlitten hatte, ab Mitte 2001 abwechselnd mit einer weiteren Pflegerin zu Hause betreut.

Die Erblasserin hat am 12.1.2001 dem Vater der Beteiligten zu 3 und 4 sowie ihrem Rechtsanwalt, dem Beteiligten zu 2, eine umfassende Altersvorsorgevollmacht mit Wirkung über den Tod hinaus erteilt. Diese Vollmacht wurde hinsichtlich des Beteiligten zu 2 von der Erblasserin mit Schreiben vom 8.8.2002 widerrufen, wobei streitig ist, ob dies wirksam erfolgt ist. Am 4.11.2003 hat die Erblasserin ihrer Bekannten E. H. eine Altersvorsorgevollmacht erteilt.

Es liegen mehrere letztwillige Verfügungen vor. Mit privatschriftlichem Testament vom 19.10.2003 hat die Erblasserin die Beteiligten zu 3 und 4 als Universalerben eingesetzt. Mit Testament vom 29.10.2003 hat sie ebenfalls die Beteiligten zu 3 und 4 zu Erben eingesetzt, zusätzlich aber für die beiden Pflegerinnen und Frau H. Vermächtnisse in Höhe von je 50.000 EUR angeordnet. Mit notariellem Testament vom 26.3.2004 hat sie die Beteiligte zu 1 zur Alleinerbin eingesetzt und sie mit Vermächtnissen in Höhe von je 50.000 EUR zugunsten der anderen Pflegerin und Frau H. beschwert. Außerdem hat sie Testamentsvollstreckung angeordnet und den Beteiligten zu 2 zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Mit Testament vom 9.7.2004 hat die Erblasserin die Vermächtnisse auf je 25.000 EUR herabgesetzt.

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem renovierungsbedürftigen, teilweise vermieteten Mehrfamilienhaus in München sowie Bankguthaben in Höhe von rund 50.000 EUR. Im Hinblick auf die vom Beteiligten zu 5 vorgelegte Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 16.10.2003, die aufgrund ihrer Untersuchung am 7.10.2003 bei der Erblasserin eine mittelgradige Demenz festgestellt und Geschäftsfähigkeit für nicht gegeben erachtet hat, hat das Nachlassgericht weitere Ermittlungen zur Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin durchgeführt, insbesondere Stellungnahmen der behandelnden Ärzte, des Urkundsnotars und weiterer Kontaktpersonen eingeholt. Mit Beschluss vom 21.8.2006 hat das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft angeordnet und einen Nachlasspfleger bestellt. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 2 hat das Landgericht mit Beschluss vom 20.12.2006 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1.

Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Das Nachlassgericht habe zu Recht Nachlasspflegschaft angeordnet, da der Erbe unbekannt sei und ein Sicherungsbedürfnis bestehe. Es sei zweifelhaft, ob die Erblasserin bei Errichtung des Testaments vom 26.3.2004 testierfähig gewesen sei. Die Neurologin Dr. R. habe bei der Erblasserin im Oktober 2003 ein ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom mit deutlicher kognitiver Verlangsamung festgestellt und die Erblasserin für geschäftsunfähig gehalten. Zwar lägen anderslautende Aussagen von Zeugen, insbesondere vom beurkundenden Notar und vom Hausarzt der Erblasserin vor. Zur Beurteilung der Testierfähigkeit sei jedoch noch ein psychiatrisches Sachverständigengutachten erforderlich. Ohne weitere Ermittlungen könne deshalb nicht festgestellt werden, wer Erbe sei. Es bestehe ein Sicherungsbedürfnis im Hinblick auf das teilweise vermietete Anwesen in München. Die Einsetzung des Beteiligten zu 2 als Testa...

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