Rz. 31

Für den Fall, dass der minderjährige Geschädigte unter Vormundschaft steht, ist § 1822 BGB zu beachten. Bei dem Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs hat insbesondere § 1822 Nr. 12 BGB eine herausragende Bedeutung, nämlich immer dann, wenn der Streitwert den Betrag von 3.000,00 EUR übersteigt, denn in diesem Fall bedarf es der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung des außergerichtlichen Vergleichs. Die Vormundschaft wird immer dann angeordnet, wenn ein minderjähriger Anspruchsteller keine Eltern mehr hat oder die Eltern die elterliche Sorge für den Anspruchsteller nicht mehr wahrnehmen können oder nicht mehr wahrnehmen dürfen. Die Vormundschaft hat die Personen- und Vermögenssorge für das sogenannte Mündel zum Gegenstand.

 

Rz. 32

Festzustellen ist darüber hinaus jedoch, dass Fälle der Ergänzungspflegschaft häufig übersehen werden. Die Pflegschaft allgemein bezieht sich nur auf die Besorgung einzelner Maßnahmen bzw. eines Kreises von Angelegenheiten, weil ein besonderes Schutzbedürfnis für den Anspruchsteller besteht. Der Pfleger ist bei diesem konkreten Bedarf der gesetzliche Vertreter, der dann für den Anspruchsteller handeln kann, wenn dieser selbst nicht in der Lage ist, seine Interessen wahrzunehmen bzw. ein bereits vorhandener gesetzlicher Vertreter von der Vertretung ausgeschlossen ist. Die Ergänzungspflegschaft wird für einen minderjährigen Anspruchsteller bestellt, dessen Eltern in einem Teilbereich an der Ausübung der elterlichen Sorge verhindert sind (§ 1909 BGB). Hierbei handelt es sich um Sachverhalte, in denen ein Elternteil bzw. der gesetzliche Vertreter an der Schadensentstehung beteiligt war. Dann ist nämlich wegen einer möglichen Gefährdung der Kindesinteressen nach § 1626 i.V.m. § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB für den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung notwendig. Der Wortlaut des § 1795 Abs. 1 S. 3 BGB erfasst zwar lediglich einen "Rechtsstreit", allerdings bedeutet "Rechtsstreit" nicht zwingend, dass es sich um einen Zivilprozess handeln muss. Die Ratio von § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB liegt darin, dass Interessensgegensätze vermieden werden und eine mögliche Gefährdung der Kindesinteressen ausgeschlossen wird. Solche Interessensgegensätze liegen aber auch vor, wenn es sich nicht um einen gerichtlich anhängigen Rechtsstreit handelt, sondern lediglich außergerichtlich Ansprüche geltend gemacht werden. Seitens des Gesetzgebers liegt vermutlich ein redaktionelles Versehen vor. Bei sachgerechter Anwendung des § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist daher auch bei der außergerichtlichen Regulierung eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einzuholen. In diesem Zusammenhang sei erneut auf § 1822 Nr. 12 BGB hingewiesen, sofern der außergerichtliche Vergleich den Gegenstandswert von 3.000,00 EUR übersteigt.

 

Rz. 33

Das Erfordernis dieser vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung wird, wie oben bereits erwähnt, vor allem dann oft übersehen, wenn z.B. die Mutter oder der Vater Halter des Kfz sind und/oder das Auto gefahren haben, in dem der minderjährige Geschädigte saß und verletzt worden ist. In diesen Fällen ist das geschädigte Kind selbst Anspruchsteller. In diesen Konstellationen wird oftmals seitens der Eltern auf das fehlende Mitverschulden verwiesen. Das spielt jedoch wegen des am 1.8.2002 in Kraft getretenen 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften keine Rolle mehr. Von diesem Zeitpunkt an haftet der Fahrzeughalter gegenüber allen Insassen aufgrund von Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG (es sei denn die Haftung ist bei privater Personenbeförderung vertraglich ausgeschlossen), wenn er sich nicht wegen höherer Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG enthaften kann. Fälle der höheren Gewalt treten äußerst selten auf, da es sich hierbei um ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlungen Dritter herbeigeführtes Ereignis handeln muss. Wenn der Unfall also weder durch elementare Naturkräfte noch durch Handlungen Dritter herbeigeführt wurde, haften der Fahrer und der Halter gemeinschaftlich. Der Gesichtspunkt des (Mit-)Verschuldens spielt daher nicht mehr die alleinige Rolle. Folglich ist eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung dann erforderlich, wenn der außergerichtliche Abfindungsvergleich den Gegenstandswert von 3.000,00 EUR übersteigt und ein gesetzlicher Vertreter der Fahrer oder Halter des Kfz war, in dem der minderjährige Geschädigte verletzt wurde.

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